Geh doch rüber!
24.09.2019
Ulf Poschardt, den sicherlich viele “Petrolheads “ kennen, hat in der "Welt am Sonntag" vom 15. September 2019 eine wortstarke Kolumne zum Thema “Befreiung der Strasse” geschrieben (illustriert mit Bildern aus dem Kurzfilm "c'était un rendez-vous" von Claude Lelouch, wir publizierten dazu auch schon eine Filmbesprechung ). In seinem Text geht Poschardt auf die aktuelle Verhärtung der Fronten zwischen Autofreunden und Autogegnern ein, auf die Umweltprobleme und auf die Fahrfreude, die einige Menschen ja immer noch empfinden, wenn sie sich hinter’s Steuer setzen.
Er nimmt dann Bezug auf vergangene Diskussionen, als man links-orientierten Kritikern nahe legte, doch “rüber zu gehen”. Damit war die DDR gemeint damals und die dazugehörigen sozialistischen Gegebenheiten. Dies ist natürlich alles Geschichte, aber das “Geh’ doch rüber” könnte man gemäss Poschardt eben nun in “wage doch den Schritt in die autofreie Zukunft” ummünzen. Er empfiehlt den Leuten, die eigentlich gar nicht unbedingt autofahren wollen, auf dieses Vehikel zu verzichten und stattdessen auf Zug, Bus oder Fahrrad umzusteigen und damit mitzuhelfen, die Strassen zu entstopfen.
Hier ein Auszug: “Die ideale Mobilitätswende sortiert Mobilität entlang von Lebensqualitäten. Wer nicht fahren will, sollte baldmöglichst darauf verzichten können. Auf dem Land ist das noch schwierig, aber auch hier kann mit künstlicher Intelligenz und innovativen Mobilitätsanbietern jenen Milieus geholfen werden, die keinen Bock auf Kfz-Steuer, Tankstellen und schlechtes Gewissen haben. Autoliebhaber bekommen leerere Strassen, und aus Autobahnen werden sieder Freizeitparks für jene Menschen, die Schönheit und Geschwindigkeit nicht spüren. Deswegen sollte auch Güter tuner von der Strasse, rauf auf die Schiene. Das ‘Geh doch rüber’ der Gegenwart ist, statt der ewigen Denunziation des Autos selbst den Schritt in eine autofreie Zukunft zu wagen. Die Politik muss auf kommunaler, regionaler, aber auch nationaler Ebene die Alternativen zum Auto privilegieren. Gleichzeitig sollten die Sammler, Jäger und Führer prächtiger rollender Kulturgüter voller Wertschätzung behandelt werden, weil sie das Leben der Anwohner in der Stadt bereichern. Mit Symphonien aus flachen Zwölfzylindern oder grölenden Sechzylinder-Boxern muss es ebenso liebenswert sein wie der Anblick von alten Käfern, polierten Pagoden und antiken Land Rovern auf den spärlichen Parkplätzen. Wer das Auto benutzt, ist in der Bringschuld, die Stadt schöner und aufregender zu machen.”
Noch selten hat jemand so für automobile Ästhetik argumentiert und sich gegen die Aktivisten, die an der IAA auf nagelneue Autodächer stiegen, um ihren Punkt zu machen, in Position gebracht. Danke, Herr Poschardt.