Der besondere Blick zurück ins Jahr 2021 – Lancia Trevi
31.12.2021
"Du wolltest doch bestimmt schon immer mal einen Lancia Trevi fahren." Mit dieser geballten Ladung Ironie werde ich eines Morgens von meinem werten Chefredaktor im Büro empfangen. An seinem Gesichtsausdruck ist kurz darauf zu erkennen, dass er wohl eine etwas andere Antwort erwartet hatte, als er mir den nächsten Kandidaten für einen Fahrbericht vorschlägt – eine, die entweder blankes Entsetzen verkündet oder nur aus bitterbösem Sarkasmus besteht. Stattdessen bekommt er ein begeistertes und gänzlich un-ironisches "Ja, schon ewig!" zu hören, mit dem ich mich unvermeidlich dem Risiko aussetze, für einen automobilgeschmacklichen Pflegefall gehalten zu werden.
Was in den Augen vieler Oldtimer-Enthusiasten sicher auch stimmt, denn ich mochte den Trevi schon immer irgendwie. Um ehrlich zu sein, finde ich ihn sogar hübsch – innen wie aussen. Dass alle Welt immer nur auf ihn eindrischt, hatte mich stets nur noch neugieriger gemacht. Kann ein Auto wirklich so schlimm sein? Und wie schlimm ist "schlimm" in diesem Fall?
Nach einem heissen Junitag in Obfelden habe ich dann endlich Gewissheit: der Trevi ist nicht schlimm. Er ist nicht einmal schlecht – aber auch nicht gut. Er ist grandios! Selten hat mich ein Auto so begeistert wie das taschentuchgepflegte, quasi neuwertige goldmetallic-beige-braune Limousinchen, das wir für unseren Artikel fahren und fotografieren durften. Begrenzt auf 2021 ist er der einsame Spitzenreiter meiner persönlichen Fahrbericht-Hitliste, obwohl das Jahr an automobilen Kostbarkeiten (zu denen ich im Übrigen auch meinen Opel Omega B zähle – was meine Geschmacks-Pflegestufe wahrscheinlich abermals erhöht) nun wirklich nicht arm war.
Aber gegen den Trevi zieht sogar ein Ferrari F355 den Kürzeren. Weil der Ferrari ganz genau so war, wie man ihn sich vorgestellt hat und wie ihn alle Welt kennt: rot, gutaussehend und mit kreischendem Flatplane-V8. Herrlichkeit ist eben langweilig, wenn man Herrlichkeit erwartet. Der Lancia hingegen hat alle Vorurteile nicht nur abgeschwächt oder mit Mittelmässigkeit widerlegt, sondern überraschte gar mit ungeahnten Qualitäten: das Handling ist sportlich, der Motorklang kernig und das Armaturenbrett übersichtlich.
So viel Begeisterung bei seinem Fahrer auszulösen schien dem Foto-Trevi aber dann doch irgendwie unheimlich zu werden. Nachdem die ersten paar Fotos im Kasten waren, kapitulierte die Benzinpumpe, und der Lancia tat keinen Mucks mehr. Erwartungsdruck nennt man das wohl...
Wer die Rehabilitierung des Stufen-Beta noch einmal in voller Länge lesen möchte, kann das hier tun. Aber beschweren Sie sich bitte nicht, wenn Sie hinterher selbst einen haben wollen.