Das Wunder von Zürich
13.06.2018
Das “Wunder von Bern” ist bekannt, es wurde schliesslich verfilmt und handelt vom Fussball in der Nachkriegszeit, als Deutschland in Bern unerwarteterweise Fussball-Weltmeister wurde.
Das “Wunder von Zürich” aber fand am letzten Wochenende statt und es ging dabei nicht um Fussball, sondern um ein Autorennen, um ein Rundstreckenrennen genaugenommen. Solche sind nämlich seit dem tragischen Unfall bei den 24 Stunden von Le Mans im Jahr 1955 verboten in der Schweiz. Damals wurden sie zunächst wegen ihrer Gefahren provisorisch untersagt, doch im Gegensatz zu den umliegenden Ländern erwirkten kirchliche Kreise ein permanentes Verbot, das trotz mehrerer Vorstösse über die letzten Jahrzehnte nicht wieder aufgehoben werden konnte. Und dies, obwohl das Sicherheitsargument heute kaum mehr zählt.
So fand also das letzte grosse Schweizer Rundstreckenrennen 1954 in Bern statt, Fangio siegte damals auf Mercedes-Benz auf dem Bremgartenring.
Seither durfte zwar selbst in der Schweiz ab und zu im Kreise gefahren werden, so sind Motocross-Rennen zugelassen und auch Kleinstveranstaltungen in Lignières durften durchgeführt werden. Aber ein grosses internationales Rennen mit Automobilen, das gab es seit 1954 nicht mehr, bis eben am letzten Wochenende, als die Formel-E-Boliden mit dem Segen der Politik (und einer Ausnahmegenehmigung) über die Strassenbahnschienen der Zürcher Innenstadt bretterten.
Wenn man schon einmal mit dem Fahrrad zum Grand Prix fahren kann, dann war ich natürlich auch vor Ort, erhaschte in der Gratiszone einen kurzen Blick auf die vorbeipfeifenden Rennwagen, die kaum mehr Lärm verursachen als ein Staubsauger zuhause, so wurde kolportiert. Dem Trend der Zeit gehorchend fahren diese E-Renner natürlich rein elektrisch, nur gerade das Sicherheitsauto vor dem Start, ein BMW i8, musste seinen Dreizylinder bemühen und tönte daher denn auch wie ein richtiges Auto.
Rund um die zur Rennstrecke umfunktionierte Innenstadt gab es ausreichend Möglichkeiten, sich mit der E-Mobilität zu beschäftigen. Die grossen Autohersteller nutzten die Bühne, um auf ihre Anstrengungen in Richtung Elektromobile aufmerksam zu machen. Bei Porsche gab es immerhin auch noch einen benzinverbrennenden 356 zu sehen, ein Tribut an die Tradition. Danke!
Der Formel-E-Grand-Prix soll nicht schlechtgeredet werden. Er zeigte immerhin, dass nicht alles in Stein gemeisselt sein muss und dass selbst in der störrischen Politikerszene hierzulande eine gewisse Offenheit für Neues vorhanden ist. Und vielleicht war ja Zürich der Startschuss für einen neuen Versuch, endlich dieses Rundstreckenverbot vom Tisch zu kriegen. Denn darunter leidet auch die historische Rennszene, die meist ins Ausland ausweichen muss oder auf reine Demofahrten mit grossen Einschränkungen wie in Lenzerheide beschränkt wird. Dann könnte man wirklich von einem “Wunder von Zürich” sprechen.