Automobiler Wanderer zwischen Zukunft und Vergangenheit
28.10.2021
Mehrere Jahrzehnte meines Autolebens fühlte ich mich als Gebrauchtwagen- und Oldtimerfahrer in einigen Glaubenssätzen sicher:
- Der automobile Fortschritt ist eine Schnecke und es ändert sich nichts Wesentliches
- Ich schalte von Hand besser als eine Automatik und es macht mir mehr Freude
- Ein Neuwagen kommt auf Grund des hohen Wertverlustes in den ersten Jahren für mich nicht in Frage.
Doch mein Weltbild ist ins Wanken geraten, seit ich vor Jahren einen Tesla zur Probe gefahren bin und mir schließlich vergangenes Jahr einen gekauft habe. Seitdem kommen mir selbst aktuelle Neufahrzeuge wie Oldtimer vor. Doch meine offenen Young- und Oldtimer (u.a. Mercedes SLK, Alfa 1750 Spider) machen mir noch immer Freude. Der Wechsel zwischen der automobilen Zukunft und Vergangenheit bringt jedoch neue Herausforderungen und Einsichten.
Nach längerer Abstinenz kommt mir als Tesla-Alltagspilot jede Fahrt im handgeschalteten Verbrenner wie eine Fahrt in die automobile Vergangenheit vor. Auf einmal muss man wieder an alles selber denken und die Technik bewusst bedienen. Es beginnt damit, dass ich vorher daran denken muss, den Schlüssel mitzunehmen und aus der Tasche zu kramen, um schließlich in das nicht vorklimatisierte Innere des Wagens zu gelangen, das zwangsläufig immer zu warm oder zu kalt ist. Erst nach einer umständlichen Startprozedur, die eine inzwischen ungewohnte Koordination einer Drehbewegung mit der rechten Hand und dem Einsatz beider Beine bedarf, kann es dann endlich losgehen.
Während der Fahrt bedürfen die Oldies permanenter Eingriffe und die Betätigung aller möglicher Schalter, Hebel und Pedale. Beim Betätigen des Gaspedals passiert – im Gegensatz zum Elektroauto – erstmal nichts! Dann erhöht sich die Lautstärke, die nur durch regelmäßige L-förmige Bewegungen des Schalthebels an der Stelle, wo beim Tesla nur ein Staufach sitzt, einigermaßen reduziert werden kann, und schließlich setzt auch die vergleichsweise bescheidene Beschleunigung ein. Auch an das Bremsen muss ich mich nach mehreren Monaten des One-Pedal-Drivings erst wieder gewöhnen.
Schon bald befällt mich eine gewisse Reichweitenangst, da die Verbrenner nicht automatisch zu Hause aufgeladen werden, ich ohne die Anzeige der Restkilometer überhaupt nicht abschätzen kann, wie weit ich mit der Anzeige “½” im Display wohl kommen und welche Tankstelle ich dann gegebenenfalls vorfinden würde. Die immer höheren Spritpreise hatte ich schon fast vergessen, wo doch der mit Solarstrom „betankte“ Tesla quasi gratis fährt.
Richtig brenzlig wurde es einmal, als auf der Autobahn ein Lieferwagen von hinten angeschossen kam, und mein Oldtimer mich nicht wie inzwischen gewohnt warnte. Auch in einer Baustelle fühlte ich mich in der engen Spur ohne die gewohnten Sensoren sehr unsicher, mal davon abgesehen, dass es auf Dauer sowieso sehr anstrengend ist, permanent ohne Autopilot selbst die Spur halten zu müssen und mich immer wieder per schmerzhaftem Schulterblick davon überzeugen zu müssen, dass sich kein anderes Fahrzeug im toten Winkel befindet.
Zurück im ländlichen Bereich muss ich (mit meinen 1,92 m) an Ampelkreuzungen bei geschlossenem Dach unangenehme Verrenkungen unternehmen, um die Ampel über mir erkennen zu können, da es kein Display gibt, das mir diese anzeigt. Selbst scheinbar nebensächliche Funktionen wie das Einschalten des Lichts, und die manuelle Betätigung der Scheibenwischer erforderten meine Aufmerksamkeit, auch wenn Letztere trotz aller Bemühungen immer zu schnell oder zu langsam wischen.
Doch das Offenfahren ist etwas, das mir im modernen E-Auto noch fehlt. Es verleiht den Wochenend- und Urlaubsfahrten über kurvige Landstraßen ihren ganz besonderen Reiz. Dafür nehme ich die erhöhten Bedien- und Aufmerksamkeitsanforderungen im Oldtimer noch gerne in Kauf, auch wenn ich dieses Jahr mehr mit deren Wartung als mit dem Fahren beschäftigt war. Aber das ist ja auch Teil unseres Hobbys, der beim modernen Elektroauto entfällt. Immerhin grüßen sich die immer noch wenigen Tesla-Fahrer, so wie ich es von den Oldtimern gewöhnt bin.
Als Wanderer zwischen den Epochen merke ich, dass ich mich schnell an viele Annehmlichkeiten der automobilen Zukunft gewöhnt habe und mich dennoch gerne hie und da in die Vergangenheit zurückversetze.