Es war eine ausgeklügelte Logistik, das Vorgehen jedes Jahr dem gleichen Muster folgend. Mutter hatte einen Wäschekorb voller Geschenke breitgestellt und einige Taschen dazu. Vater war regelmässig damit beschäftigt, den Christbaum im Ständer zu fixieren, immer war der Baum zu gross und jedes Jahr stellte sich die Frage, ob man die Tanne auf Kosten einiger ihrer Äste unten oder aber doch lieber an ihrer Spitze, die dann unter einer Schmuckspitze verschwand, gekürzt werden sollte. Mutter fürchtete um die Harmonie der Spitze, Vater sich vor der Hackerei am Stamm, irgendwie fand man sich aber stets – nein, für einmal nicht in der Mitte, da wäre es dann schwierig geworden bei dem Baum…
Dann, wenn die Tanne zum Schmücken bereit war, machten wir uns – Vater und wir zwei Kinder – auf den Weg zur Päckli-Tour.
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Der Kofferraum unseres Kombi, damals ein Toyota Corona Mk II Station Wagon von 1972, war immer dicht bepackt, wenn wir das Haus kurz nach Mittag verliessen. Ich weiss bis heute nicht, ob es für oder eher gegen unsere Familie spricht, aber fast alle Mitglieder, Grosseltern, Onkel, Tanten und in welchem Verwandtschaftsverhältnis auch immer all die Menschen zu uns und meinen Eltern standen, sie alle lebten in der Stadt oder der Region Luzern. Nur eine einzige Familie war nach Bern gezogen, doch auch für diese Lieferung – respektive Übergabe, manche nennen es profan oder gar verächtlich «Tausch» – der Geschenke hatten wir eine ausgeklügelte Vorgehensweise ausgetüftelt.
Der erste Stopp lag meistens in Malters. Dort brachten wir der Patin meines Vaters, einer Grosstante, und ihrem Mann die Bescherung. Dafür gab es jedes Jahr von ihr Masshemden für alle, für meine Eltern, meine Schwester und für mich. Allerdings musste die gute Tante nie Mass nehmen, sie hatte ein geschultes Auge als gelernte Schneiderin und arbeitete für den damals grössten Uniformenschneider der Schweiz. Das reichte, alles passte – immer! Immer gab es zudem Zopfbrot und Streichbutter und dazu Süssgetränke, die Küche war ein langer Schlauch an deren Ende neben einem selten im Einsatz stehenden Elektroherd immer ein richtiger Holzofen brannte. Daraus stammte das frische Zopfbrot. Derweil erzählte uns ihr Mann von den Zeiten der späten 1940er und 1950er-Jahre, als die zwei zunächst mit dem Motorrad (AJS) und später einem Fiat 600 auf grosse Tour durch Europa fuhren. Die Grosstante war die einzige Frau ihrer Generation aus meiner Familie, die damals bereits einen Führerschein besass. Er hingegen hatte die berufliche Laufbahn als Chauffeur bei einer grossen Schweizer Zwiebackfabrik in Malters begonnen, auf einem bereits Ende der 1930er-Jahre schon arg mitgenommenen Ford AA.
Bestens gesättigt fuhren wir weiter nach Kriens, hier meist verbunden mit dem Duft einer Schuhmacher-Werkstatt, denn genau eine solche – es gibt sie noch, geleitet von der nächsten Generation – führte ein Onkel. Dies war in manchen Jahren eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen man sich mit diesem Familienteil traf, oft holten oder brachten wir neben den Geschenken auch noch gleich einige abgelatschten oder zu neuer Frische erstrahlten Schuhe. Immer spannend waren die hinter dem Jugendstil-Gebäude an der Hauptstrasse parkierten Autos. Der fragliche Onkel war der erste in der Familie mit einem «richtigen» Geländewagen: Zuerst hatte er einen Lada Niva, der uns bereits mächtig Eindruck machte, dann gar einen Mitsubishi Pajero, von dem ich der Überzeugung war, dass so ein Wagen durch nichts aufzuhalten wäre. Dann ging es an die nächste Adresse, zu meinem Paten, nur einige Strassenzüge weiter. Mein kleiner Cousin, sein Sohn, hatte zwar kaum je ein grosses Interesse an Spielzeugautos, ich aber dafür umso mehr an seinen und warf stets einen Blick in seine Spielkiste.
Und immer bei dieser Tour durch und rund um die Stadt direkt vor Heiligabend, war das Familienauto unser Raumschiff, unser Transporter der kindlichen Vorfreude und ein Ort voller allerhöchster Spannung vor Weihnachten. Doch die Fahrt ging zunächst noch ein Stück weiter.
Eben frisch geschmückt, stand der Christbaum der Grosseltern väterlicherseits für uns Kinder immer schon am Nachmittag vor Heiligabend zum «Angriff» bereit. Denn daran hing stets ganz viel Schokolade oder: «Schoggi» – mit einem ganz weit ausgesprochenen «O» wie unsere Grossmutter zu sagen pflegte. «Baba» hingegen, unser Grossvater, sass IMMER auf dem Sofa mit überschlagenen Beinen, drückte am Fernseher herum und beschwerte sich über das, was da über den Bildschirm flimmerte – meist das Kinderprogramm um dem Nachwuchs in Höchstspannung das Warten etwas zu erleichtern.
Das erste Auto hatte unser Grossvater sich 1947 noch direkt in Mulhouse F über die Werksvertretung besorgt, die Reifen seines Citroën Traction 11BL mussten extra bezahlt werden und es soll nur deren vier gegeben haben, die Felge sei ohne Pneu unter ihrer Abdeckung auf der «Malle Plate» montiert gewesen. Als ich ein Kind war, war aber sein «Légère» längst Geschichte. Baba fuhr damals einen knallorangen Renault 12. Oft war aber der Traction ein Thema bei den Besuchen vor Heiligabend, das Auto erschien wie ein grosses Abenteuer und Baba erzählte von Reifenpannen auf dem Weg nach Paris oder einem Dorfschmied in Trun GR, der ihn am Kotflügel aus dem Graben gehoben habe, nachdem das Kreuzen auf der engen Bergstrasse mit einem Lastwagen schief gegangen war.
Die letzte Station unserer Päcklitour war immer das Haus meiner Patin und ihres Mannes. Beide waren sehr bescheidene Leute, redlich und aufrichtig, trotz schwierigster Familiärer Bedingungen, unter denen sie in der Depressionszeit aufgewachsen waren. Dennoch wussten sie am besten, was uns Kinder erfreute: Es stand vor Heiligabend immer für mich ein Legoauto bereit, eines dass meine Patin immer soweit demontiert hatte, dass es zurück in die Originalschachtel passte, aber nur soviel, dass ich es im Nu wieder zusammengebaut hatte.
Währenddessen brummelte ihr Mann, der Bruder meiner Grossmutter auf Vaterseite, meist kurz etwas in sich hinein, hob sich von seinem exklusiv für ihn reservierten Stuhl neben seinem heiligen Radio und seinem Zeitungsständer mit Rätselmagazinen und holte irgendeine Schachtel von einem Nebenraum herbei. Als passionierter Flohmarktjäger hatte er ein Auge für Schnäppchen – meistens alte Modelleisenbahnen – oft so alt, dass sie mir völlig unbekannt waren. Die Krippe des Blogbeitrags zu den Fundstücken stammt übrigens von ihm. Zu essen gab es immer Walliser Trockenfleisch, kein Vergleich zu Bündnerfleisch, und dies oft in Mengen, die dafür sorgte, dass wir gar nicht mehr sehr heisshungrig auf das Weihnachtsmahl waren. Dieses Völlegefühl begleitete immer das Ende unserer Geschenketour, denn mit dem Eindunkeln hiess Vater uns jeweils bereit zur Heimfahrt zu machen.
Zurück im Auto, frisch gefüllt mit den abgeholten Geschenken, ging es nach Hause. Vater überreichte dann Mama den überreichlich gefüllten Wäschekorb, damit sie dessen Inhalt unter den Christbaum legen würde.
Nein, das Christkind war bei uns Kindern nie ein Thema, wir wussten ja, woher die Geschenke stammten – denn WIR waren das Christkind! Aber diesen vorweihnächtlichen Zauber, diese freudvolle Erwartung, die erlebten wir bei unseren Besuchen und auf dem Weg dazwischen in unserem Auto. Dieses Gefühl, mit Vater vorne am Lenkrad und uns zwei Geschwistern hinten auf der Rückbank, auf der Fahrt dem Heiligabend entgegen, ist in besonderer Erinnerung geblieben. Und dieser einzigartige Zauber und diese Spannung in unserem «Schlitten», mit uns als Weihnachtsmännern, hat sich seit wir Kinder erwachsen geworden sind nie mehr wiederholt.
Frohe Weihnachten!