Modell und Wirklichkeit oder: Überraschung, der B.V.R.T. Vita-Min existiert!
Die 70er-Jahre waren nicht nur ein Segen für Kinder wie mich, die sich vorzugsweise mit dem Spiel mit kleinen Autos beschäftigten. Ich mochte die originalgetreuen, herrlichen Modelle der 1960er-Jahre um ein Vielfaches mehr als die in knallig-bunten Farben und mit zum Teil absurd überdimensionierten Rädern ausgerüsteten Hot-, Whizz- oder Speedwheels, Superfast oder wie sie sonst noch hiessen. Viele wirken auf mich bis heute wie ein Fiebertraum.
Nicht mein Ding! Auf Fantasiemodelle konne ich schon als Kind dankend verzichten. Sie wirkten auf mich verlogen da ohne reales Vorbild.
Im Rückblick, so als Halbwüchsiger, hatte ich den Eindruck, dass wir da irgendwie betrogen worden waren. Denn die meisten dieser knallbunten «Racer» existierten gar nicht in Wirklichkeit. Es war somit völlig überflüssig, auf der Strasse oder gar bei einem Besuch am Autosalon Genf nach dem Pendant in Wirklichkeit Ausschau zu halten.
Studebaker Wagonaire von Matchbox – das aufschiebbare Dach schien mir als Kind unglaubwürdig und nur eine Form von extra hinzugefügtem Spielwert.
Allerdings gab es da immer wieder Überraschungen. Denn ganz selten, meist unerwartet, bekam ich Autos zu Gesicht, von denen ich glaubte, sie seien dem Hirn eines Spielzeugmachers entsprungen, nur um dann festzustellen, dass es dafür ein wirkliches Vorbild gab.
Tatsächlich: Es gibt den Wagonaire mit Einschiebe-Dach wirklich, so wie diesen aus einem unserer Verkaufsinserate
Ein solches Auto war der Studebaker Wagonaire. Als Kind war ich der Überzeugung, dass das im Kofferraumbereich einschiebbare Dach nur für die Erhöhung des Spielwert dieses Modells erfunden worden war. Bis ich dann feststellte, dass der Wagonaire ein reguläres Modell mit diesem Extra war.
Bei gewissen Modellen dauerte es etwas länger, sehr lange sogar. Von Corgi Juniors gab es einen Violett-Metallic lackierten Mini, dessen Proportionen hinten und vorne nicht stimmten, mit einem durch die Motorhaube ragenden Motor und einem zu flachen Aufbau. Das einzig Gute an dem Ding war, dass er stets die Rennen auf meiner eher rudimentären Hot-Wheels-Bahn gewinnen konnte. Warum er das tat weiss ich bis heute nicht. Lange kümmerte ich mich auch nicht sonderlich darum, was bei dem Ding auf dem Wagenboden geschrieben war: «B.V.R.T. Vita-Min». Nun, das hätte mich wohl ebensowenig dazu bewogen, einmal nachzusehen, ob es für diesen Fantasie-Mini ein Vorbild gab. Doch, Sie mögen es erahnen, es gibt ihn! Und die Geschichte dazu ist mehr als bemerkenswert.
Hot Rod als Vorbild
Die ursprüngliche Idee, einem Mini nicht nur das Dach tiefer zu legen, im Stile eines Hot-Rods, sondern gleich seine ganze Karosserie um einige Zentimeter abzusenken, die horizontal herausgeschnitten wurden, stammte von Neville Trickett. Um rund 7.5 Zentimeter legte der Brite einen ersten, gebrauchten Mini tiefer. Bald war dieser Umbau in aller Munde und Trickett wurde eingeladen, in Rob Walkers Corsley Garage 50 weitere solche Autos zu bauen. Der Whisky-Erbe Walker war nicht nur Besitzer einer Garagenkette, sondern auch Chef seines eigenen Rennstalls. Dieser errang unter Anderem mit Stirling Moss 1960 in Monaco den ersten GP-Sieg für Lotus – mit einem Type 18. Jo Siffert siegte mit Rob Walker beim British-GP 1968 in Silverstone, ebenfalls auf einem Lotus, dem erstmals mit dem legendären Cosworth DFV angetriebenen Lotus 49.
Doch zurück zum Flachdach-Mini: Der MiniSprint genannte Umbau war von den meisten Rennklassen ausgeschlossen, denn sowohl im Tourenwagen- wie im Rallyesport war es damals verboten, Hand an die Karosseriestruktur anzulegen.
B.V.R.T. im Erfolgsrausch
Jeff Goodliff nutzte die Idee eines Flachbau-Minis deshalb zum Bau eines Bergrennwagens. Seine Firma hiess ursprünglich British Racing and Tuning BRT, doch British Vita, der marktführende – und immer noch existierende – Hersteller von Schaumstoffkernen für die meisten Autositze aus britischer Produktion, wollte in den Motorsport einsteigen. Aus dieser Zusammenarbeit entstand British Vita Racing and Tuning B.V.R.T. 1968 gewann das Team die britische Bergmeisterschaft, die Sektion Nord der britischen Tourenwagenmeisterschaft und die Klasse bis 1000 Kubik der europäischen Tourenwagenmeisterschaft, alles mit eigens dazu präparierten Mini Cooper.
1969 sollte ein Mini in der GT-Klasse bis 1300 Kubik antreten, denn Goodliff schnitt seinen Siegerwagen von 1968 in Stücke und modifizierte ihn umfangreich. Das Ziel war es, möglichst viel Leistung aus dem Motor herauszuquetschen und Gewicht zu sparen. So flog der hintere Hilfsrahmen raus und an dessen Stelle wurde eine leichte Starrachse an Längslenkern und einem Reaktionsdreieck samt Schraubenfedern verbaut. Und sogar die Bremsankerplatten wurden zur Gewichtserleichterung mit Löchern versehen. Tank, die Batterie und alle wichtigen Komponenten wanderten nach vorne, so dass die angetriebene Vorderachse gut belastet war. Die geschoppte Karosserie erhielt soviele Aluminiumbleche wie möglich. Der Motor mit einem von B.V.R.T. entwickelten 8-Kanal Querstrom-Zylinderkopf erhielt zusätzlich einen Kompressor von Godfrey. So leistet der BMC-A-Motor, oder was von ihm übrig ist, rund 180 PS. Die Maschine sollte sich als dermassen zuverlässig erweisen, dass sie während der gesamten Saison 1969 angeblich nie hat revidiert werden müssen.
Die vordere Motorhaube bestand aus Fiberglas und musste, um dem voluminösen Ansaugtrakt des Motors samt Kompressor Platz zu lassen, ausgeschnitten werden. Beim Original-Mini saugt der Motor sich sein Gemisch in Fahrtrichtung hinter dem Zylinderkopf an an. Wer damals einen Querstromkopf verbaute, liess oft die Motorhaube einen breiteren Spalt geöffnet, weil die nun vor dem Motor sitzende Vergaserbatterie, meist Weber statt SU, nicht mehr unter den Deckel passte. Goodliff aber schnitt kurzerhand einfach ein Loch in seine Wagenfront.
Der Corgi-Juniors «Vita-Min» ist eine bis auf die Aufschriften, hier mit Papier-Stickern, im Rahmen der Möglichkeiten der Whizzwheels-Serie ziemlich akkurate Abbildung dieses Rennwagens. Der Umfang der Modifikationen an diesem im Vereinigten Königreich in Motorsportkreisen ziemlich bekannten Auto haben mich sehr lange in der Überzeugung gelassen, das Spielzeugauto sei ein Fantasieprodukt. Es ist an der Zeit, dieses wieder einmal aus seiner Kiste hervor zu holen.






















