Am längeren Hebel
Seit diesem Sommer mache ich ein Praktikum bei Zwischengas – und dabei bin ich vorher noch nie ein Auto gefahren, das älter war als ich (also 22). Höchste Zeit, das zu ändern!
Am Sonntag, 28. September unternehmen die Austin-Morris-Wolseley-Freunde (AMWF) ihre letzte Ausfahrt der Saison, und ich bin eingeladen. Weil mein Praktikantenlohn nicht ganz für einen Oldtimer reicht, stellen sie mir netterweise ihr Clubfahrzeug zur Verfügung: einen Austin A30 Kastenwagen, Baujahr 1958. Mit diesem Auto ist auch schon meine Vorgängerin Leandra gefahren; sie hat ihre Fahreindrücke ebenfalls in einem Blog festgehalten.
Als man mir den Autoschlüssel – der eher wie ein Briefkastenschlüssel aussieht – in die Hand drückt, ist mir schon ein wenig mulmig zumute. Dieses bald 70 Jahre alte Vehikel soll ich also von Bülach bis nach Wohlen bewegen. Ob das gutgeht?
Vor dem Einsteigen lasse ich mir die Eigenheiten des Austin erklären. Der Schalthebel ist im hochbeinig wirkenden Lieferwagen sehr lang, so dass der Knauf nur eine Handbreit vom Lenkrad entfernt liegt. «Es braucht halt ein bisschen Gefühl, damit die Gänge reingehen», meint Martin, der Mann von Vereinspräsidentin Gudrun Tognella. Und die Türen müsse man mit Schwung zuschlagen, damit die Schlösser richtig einrasten.
Auf dem Fahrersitz fasse ich automatisch nach hinten, um mich anzuschnallen – und greife prompt ins Leere. Gurte gab es in den 50ern natürlich ebensowenig wie Kopfstützen oder eine Sicherheitslenksäule. Dafür kann der Austin beim Abbiegen nicht nur blinken, sondern auch winken – ganz zur Belustigung der Leute am Strassenrand.
Und dann geht's auch schon los: rückwärts aus der Einfahrt und gleich am Hang anfahren. Überraschenderweise klappt das ohne Abwürgen, der 0,8-Liter-Motor mit 28 PS ist geduldig mit mir (was vielleicht auch am Choke liegt). Überhaupt staune ich, wie gut sich der A30 bändigen lässt. Bloss der dritte Gang braucht beim Runterschalten reichlich Zwischengas, damit er reinrutscht. Umso schöner das Gefühl, wenn die Drehzahl stimmt und die Zahnräder geräuschlos ineinandergreifen.
Konzentriert tuckere ich einem Austin Princess hinterher. Mit 28 PS unter der Haube und einem Beifahrer neben mir habe ich manchmal Mühe, mit dem vergleichsweise modernen Auto Schritt zu halten, obwohl der A30 sogar eine Autobahnvignette hat. Bloss eine Pferdekutsche ist noch langsamer unterwegs als wir.
In einer Kurve scheppert es plötzlich. Im Innenspiegel kann ich bloss noch zuschauen, wie die Hecktür aufschwingt und geräuschvoll wieder zuschlägt. Jetzt ist sie auf jeden Fall richtig zu und macht sich danach auch nicht mehr selbständig.
Das Schalten klappt je länger je besser. Der Austin wehrt sich jedes Mal lautstark, wenn ihm die Drehzahl beim Gangwechsel nicht passt. So bringt er einem ganz von selbst richtiges Schalten bei. Etwa bei Kilometer 20 fängt es an zu nieseln, und mein Beifahrer schaltet den Scheibenwischer ein. Bei Kilometer 21 fällt das Wischerblatt ab. Zum Glück hört der Regen bald wieder auf, und wir erreichen heil und gerade noch rechtzeitig unser Ziel: die Kartbahn Wohlen.
Bis jetzt war ich noch nie auf einer Kartbahn, aber nach der Anfahrt im Austin fühle ich mich bestens aufgewärmt. Tatsächlich fährt sich der Gokart gar nicht viel anders als der Austin, nur dass er besser in der Kurve liegt und die Schalensitze mehr Seitenhalt bieten. Nach ein paar rasanten Runden mit quietschenden Reifen ist der Spass auch schon vorbei.
Kartfahren macht Hunger, darum begeben wir uns auf den Weg durchs Freiamt Richtung Mittagsrast. Da in den 50ern das Navi leider nicht zur Standardausstattung gehörte, sind wir auf den Orientierungssinn des Austin Princess vor uns angewiesen. Dieser erweist sich jedoch als trügerisch, sodass wir an diesem Tag zweimal den Rückwärtsgang bemühen müssen, um zu wenden. Dabei fällt mir auf, wie leichtgängig die Lenkung ist, obwohl es keine Servounterstützung gibt. Nach dem unfreiwilligen Wendemanöver schaffen wir es auf direktem Weg zur Besenbeiz, wo wir mit einem Cordon bleu für unsere Anstrengungen belohnt werden.
Auf dem Rückweg machen wir einen kurzen Boxenstopp an der Tankstelle. Dass sein Tank gleich voll ist, gibt der Austin zu verstehen, indem er zufrieden einen Gutsch Benzin aus dem flachen Einfüllstutzen auf den Boden schwappen lässt. Einen Schluck Bleiersatz gönnt sich der Feinschmecker hinterher natürlich auch noch. «Cools Auto», meint die Kassierin beim Bezahlen. Kurz darauf sind wir wieder auf der Strasse und bald zurück in Bülach, wo wir den Austin schweren Herzens stehenlassen müssen.
Als ich auf dem Heimweg wieder in einem modernen Auto sitze, fällt mir auf, wie leise es ist. Man hört keine Getriebegeräusche und kein Klappern, sondern nur das dumpfe Dröhnen der Auspuffanlage. Es ist fast, als würde etwas fehlen. Während der Austin genau weiss, was er will, und seinen Fahrer das auch wissen lässt, verrichten moderne Autos ihren Dienst pflichtbewusst, unterwürfig – und schweigsam.