Philippe Siffert denkt über seinen Vater Jo nach
24.10.2021
Es gibt Ereignisse, da steht die Zeit still. Und alle können sich später noch genau an den Moment erinnern. Der 24. Oktober 1971 war so ein Datum. Die (Schweizer-) Rennsportwelt hielt den Atem an und verstummte: Am Sonntag Nachmittag verunglückte Jo „Seppi“ Siffert bei einem nicht zur WM zählenden Formel-1-Rennen in Brands Hatch tödlich – ausgerechnet auf jenem Kurs, auf dem er drei Jahre zuvor seinen ersten, ganz grossen Sieg feiern konnte.
Auf zwischengas.com wurden bereits mehrere Berichte über Jo Siffert publiziert, die sein Leben und seine Leistungen umfangreich beleuchten:
- Jo Siffert, das Schweizer Ausnahmetalent
- Jo Siffert - Tod auf dem Karrierehöhepunkt
- Mario Illien, Prof. Dr. Ferdinand Piëch, Klaus Bischof, Jacques Deschenaux und Paul Blancpain über Jo Siffert
Geburtsjahr und Todesjahr sind identisch, dazwischen liegen gerade mal neun Monate: Gemeint sind Philippe und Jo Siffert. Der Sohn des Rennfahrers wurde am 28. Januar 1971 geboren. Ende Oktober war er noch zu klein, um zu begreifen, was geschehen war, als sein Vater in Brands Hatch bei einem Formel-1-Rennen tödlich verunglückte.
«Ich habe keine wirkliche Erinnerung an meinen Vater. Ich habe immer nur viel über ihn erzählen gehört. Mein Kinderzimmer zierte lange Jahre ein Foto mit dem Formel-1-March-Cosworth. Und in der Schule raunte man immer ‘ah, der Sohn Sifferts’, wenn es um mich ging», erinnert sich Philippe. Familienintern wurde nicht allzu oft über den tödlich verunglückten Vater gesprochen. Im Laufe der Jahre wollte er mehr «über den Menschen Jo Siffert erfahren – über den Rennfahrer ist ja sowieso alles bekannt», führt er aus.
Mit 19 Jahren («viel zu spät», wie er sagt), lancierte er eine eigene Rennsportkarriere. Früh faszinierte ihn die Technik von Autos und Rennwagen, da war es fast logisch, dass der Weg zu Autorennen führte. Dass er in einem technischen Beruf landete und auch Rennen fuhr, führt er auf seine DNA zurück. «Wäre mein Vater Konzertpianist gewesen, wäre aus mir vielleicht auch ein Pianist geworden», philosophiert er. Formel-Ford, Formel 3, Tourenwagen und ein Einsatz mit einem Porsche 911 beim legendären 24-Stunden-Rennen von Le Mans waren seine Stationen in einer knapp zehnjährigen Karriere.
«Der Name Siffert hat mir sicher geholfen, einige Türen zu öffnen. Oftmals war es aber so, dass alle dachten, ihnen würde ein Millionär gegenüber stehen – das war ja bei weitem nicht der Fall», blickt er zurück. Wie sein Vater zum Beginn seiner Karriere war auch Philippe chronisch unterfinanziert. «Es gab Jahre, da konnte ich mir nur gerade ein Rennen finanziell leisten», bilanziert er. Keine gute Ausgangslage für eine grosse Karriere. «Und von Anbeginn weg war der Druck, sofort erfolgreich zu sein, gigantisch» erinnert er sich und fährt weiter: «Dabei versäumte ich es, professionelle Strukturen aufzustellen, eine der Voraussetzungen, Erfolg zu haben». Mit 32 Jahren zog er die Reissleine. «Ich wurde damals Vater und die Prioritäten verschoben sich», erzählt er.
Heute arbeitet der Fünfzigjährige erfolgreich in der Automobilbranche. Parallel dazu hat er ein Uhren- und Bekleidungslabel «Jo Siffert» aufgebaut. Und hier zeigt sich die Geschäftstüchtigkeit, die er sowohl von seiner Grossmutter wie auch von seinem Vater geerbt haben dürfte.
Nach dem kleinen Fotoshooting mit dem Porsche 917 bittet er mit einem entwaffnenden Lächeln, doch auch noch Fotos von ihm in seinem «Shop-in-shop» zu machen – dort wo die Uhren und die Kleidung des Labels ‘Jo Siffert’ präsentiert sind. Seine Grossmutter pflegte erfolgreiche Geschäfts-Verhandlungen ihres Sohnes jeweils mit einem «das hat er von mir gelernt» zu kommentieren… Seit mittlerweile 15 Jahren baut sich Philippe Siffert hier ein zweites Standbein auf. «Es geht nicht darum, auf die Schnelle ein bisschen Business zu machen. Ich will hochwertige und sorgfältig designte Uhren und Kleider mit dem Label ‘Jo Siffert’ auf den Markt bringen», erklärt er.
Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50. Todestag von Jo Siffert zeigt das Swiss Viper Museum in Givisiez nahe Fribourg eine Dauerausstellung mit Autos, die von Jo Siffert gefahren wurden. Philippe Siffert stellt fest, dass der Mythos seines Vaters ungebrochen ist. Verblüfft meint er: «Zwei Drittel der Besucher sind unter 65 Jahre alt, ein Drittel liegt über diesem Alter. Eigentlich gingen wir anfänglich davon aus, dass das Verhältnis genau umgekehrt sein müsse und sich vor allem ältere Personen noch an meinen Vater erinnern».
Und erfreut verzeichnet er über 4000 Besucher der sorgfältig kuratierten Ausstellung: «Das ist sehr viel, wenn wir keine Corona-Massnahmen hätten, wären es noch viel mehr». Er führt den Mythos seines Vaters auf den tragischen Unfall von Brands Hatch zurück. «Um in der Bevölkerung einen solchen Status zu erlangen, muss man wohl erst sterben», stellt er sarkastisch fest. Sein Vater vereinigt für ein Idol wichtige Kriterien. «Er war jung, als er starb, sehr erfolgreich, im Zenit seiner Karriere, sehr charismatisch und trotzdem immer bescheiden geblieben», charakterisiert Philippe.
Aus dem Umfeld seines Vaters pflegt er noch Kontakt mit Derek Bell und seinem Sohn Justin und Heini Mader. Dann drehen sich die Gespräche vorwiegend um seinen Vater – dort ist das letzte Wort immer noch nicht gesprochen. Dass sich Philippe Siffert aus dem Schatten seines Vaters ins eigene Leben begeben hat, illustriert er an einem Satz seines Sohnes Jeremy. Die Frage nach dem Idol-Charakter seines Grossvaters beantwortete der Jugendliche «Ich habe meinen Vater als Vorbild, meinen Grossvater kenne ich nicht…».
Steckbrief Philippe Siffert
Dieses Jahr wurde der Vater von zwei Söhnen (Jeremy und Julien) und einer Tochter (Michelle) 50 Jahre alt. Er lebt in einem Fribourger Vorort, ist seit 20 Jahren mit Silvie verheiratet und in der Autobranche tätig. Früh begeisterte er sich für alles Technische. Ursprüngliche Berufswünsche waren Maschinen- oder Automobil-Ingenieur. Nach einer mechanischen Ausbildung begleitet er heute auch die Herstellung der Jo-Siffert-Uhren und -Bekleidung. Weitergebildet hat sich Siffert in Marketing und IT. Er betrachtet seine Familie «als das Wichtigste in meinem Leben» und freut sich, seine Kinder ins Zeitalter des Erwachsen-Werdens aktiv zu begleiten. Auto-affin ist er natürlich immer noch. Sein erstes Auto, ein Alfa Romeo 33, ist längst abgelöst, heute fährt er einen Alfa Romeo Stelvio und verweist stolz darauf, dass sein Vater in Fribourg eine Vertretung der Mailänder Marke führte.