Adriano Cimarosti erinnert sich an Jo Siffert
Es gibt Ereignisse, da steht die Zeit still. Und alle können sich später noch genau an den Moment erinnern. Der 24. Oktober 1971 war so ein Datum. Die (Schweizer-) Rennsportwelt hielt den Atem an und verstummte: Am Sonntag Nachmittag verunglückte Jo „Seppi“ Siffert bei einem nicht zur WM zählenden Formel-1-Rennen in Brands Hatch tödlich – ausgerechnet auf jenem Kurs, auf dem er drei Jahre zuvor seinen ersten, ganz grossen Sieg feiern konnte.
Auf zwischengas.com wurden bereits mehrere Berichte über Jo Siffert publiziert, die sein Leben und seine Leistungen umfangreich beleuchten:
- Jo Siffert, das Schweizer Ausnahmetalent
- Jo Siffert - Tod auf dem Karrierehöhepunkt
- Mario Illien, Prof. Dr. Ferdinand Piëch, Klaus Bischof, Jacques Deschenaux und Paul Blancpain über Jo Siffert
Die Wege von Jo Siffert und Adriano Cimarosti kreuzten sich erstmals 1961 am Grand-Prix von Monaco. Nein, nicht in der Formel 1 – Siffert fuhr im Rennen der Formel Junior mit einem Lotus 18. „In einer Autoeinstellhalle hatten Siffert und seine zwei Mechaniker ihre kleine Werkstatt eingerichtet. Dort schliefen sie auch, behelfsmässig, auf mitgebrachten Matratzen! Von Hotel keine Spur. Essen wurde auf einem kleinen Gaskocher zubereitet“, hat der Doyen der Schweizer Rennsportjournalisten seine erste Begegnung in Erinnerung. Im Laufe der Jahre entstand eine freundschaftliche Beziehung zwischen dem Rennfahrer und dem Journalisten. „Einige Male sind wir nach einem Grand Prix zusammen im gleichen Flugzeug nach Zürich gereist, da hatten die meisten Flugpassagiere viel Freude, wenn er einstieg. Auf der Fahrt im Auto in Richtung Bern haben wir dann viel zusammen gesprochen und auch gelacht“, fährt Cima, wie ihn gute Freunde nennen dürfen, fort.
„Bei allen Rennen, die ich besuchte, haben wir uns natürlich auch immer miteinander unterhalten. Er hatte ein unglaubliches Charisma, war immer nett. Man musste aber schon den richtigen Moment abpassen. Bei technischen Problemen an seinen Rennwagen liess er sich nicht stören, aber da versteht es sich von selbst, dass man nicht dazwischen ging“, schildert Cimarosti. Dass es damals noch recht beschaulich zu und her ging, macht Cimarosti an folgender Episode fest: „1964 fuhr Dan Gurney mit seinem Brabham eine Runde lang hinter dem Brabham von Siffert und beobachtete, wie sich der Wagen des Schweizers verhielt. Beim nächsten Boxenstopp ging er hin zu Sifferts Mechaniker, Heini Mader, und erklärte ihm, wie er den Brabham des Fribourgers anders einstellen müsse – heute undenkbar“.
Cimarosti bescheinigt Siffert eine grosse Geschäftstüchtigkeit und erklärt dies am Beispiel der Rennwagen-Beschaffung für Steve McQueens Le Mans Film. „Siffert organisierte für die Film-Produktionsfirma eine unzählige Anzahl von Rennwagen, die er gegen gutes Geld vermietete“, erzählt er und fährt fort: „Für solche Gelegenheiten hatte Siffert einen besonders guten Riecher. Über den Inhalt von Verträgen, auch mit Sponsoren oder Rennwagenfirmen wurde aber nie gesprochen. Absolute Diskretion! Dass er ein guter Geschäftsmann war, kommentierte seine Mutter immer mit Stolz und ‚das hat er von mir gelernt‘“, schmunzelt der Journalist. Er führt dies auch darauf zurück, „dass Siffert aus einem Fribourger Quartier stammte, in dem weniger begüterte Leute wohnten. Sein Vater betrieb einen Milchhandel, seine Mutter verdiente als Putzfrau etwas Geld hinzu. Die Familie musste vorsichtig mit Geld umgehen“. Cimarosti erinnert sich auch an einen Deal von Siffert mit der Uhrenfirma Heuer. „Siffert holte sich Heuer als persönlichen Sponsor und trug das Firmen-Logo prominent an seinem Renn-Overall. Er hat sich vom Firmenchef Jack Heuer das Recht zusprechen lassen, Heuer-Uhren zu einem Vorzugs-Einkaufspreis beziehen zu können. Der geschäftstüchtige Rennfahrer wurde sogleich aktiv – innert kürzester Zeit trugen unzählige Leute in den Fahrerlagern eine Heuer Uhr. Vermutlich wurden sie nicht zum Einstandspreis weiterverkauft…!“.
Adriano Cimarosti blickt zurück an die Anfänge von Sifferts automobilistischer Rennfahrer-Karriere (vorher bestritt er Motorradrennen): „Mit einem Occasionshandel hat er zu Beginn seine ersten Rennfahrzeuge finanziert. Dies sehr erfolgreich. Und im Verlauf der Jahre entstand daraus die Firma ‚Jo Siffert Automobiles‘ mit einer offiziellen Alfa-Romeo- und Porsche-Vertretung“. Wenn Siffert und seine Teammitglieder knapp bei Kasse waren, dies war nicht nur ab und zu, sondern oft der Fall, griffen sie auch mal zu unorthodoxen Mitteln, wie Cimarosti mit einem Schmunzeln erzählt: „Auf der Fahrt zum Grand Prix von Syracusa auf Sizilien, 1963, mussten sie den Zugwagen samt Anhänger mit dem darauf mitgeführten Lotus-BRM in Reggio Calabria auf die Fähre nach Messina stellen. In der Annahme, um den Kauf der Tickets herumzukommen, verschwanden sie blitzschnell im Schiff, um versteckt die Abfahrt des Schiffes abzuwarten. Plötzlich ertönte aber aus dem Lautsprecher: Der Besitzer des Wagens mit Schweizer Kontrollschildern wird gebeten, bei der Kasse vorbei zu kommen…“.
Eine andere Reminiszenz aus Cimarostis Erinnerungskiste geht so: Mit einem eben in England abgeholten neuen Lotus 18 auf dem Anhänger fuhr Jo Siffert am 19. März 1961 in aller Frühe beim Schweizer Zoll in Basel vor. Da Sonntag war, wurden keine Autos verzollt. Siffert sollte aber am gleichen Tag am Bergrennen in Mont-sur-Rolle teilnehmen. Dem Fribourger Siffert kam in den Sinn, dass auch Bundesrat Jean Bourgknecht, Vorsteher des Finanz- + Zolldepartementes, ein Fribourger war. Über diverse Telefonate (es gab noch keine Handys!!!) kam man an den Bundesrat heran, woraufhin Bourgknecht veranlasste, dass Siffert in die Schweiz einfahren konnte. In Mont-sur-Rolle stellte er dann die Kategorienbestzeit auf…!
Mit seinen Mechanikern, Teammitgliedern und auch gegenüber Journalisten war er immer korrekt. „Bei Persönlichkeiten, beispielsweise den Teamchefs Rob Walker, Ferdinand Piech oder John Wyer war er vorsichtig. Er wusste, dass man mit solchen Persönlichkeiten freundlich umgehen muss“ erzählt Cimarosti und erinnert sich auch an Treffen zwischen Siffert und Enzo Ferrari: „Es kam aber zu keinem Abschluss, denn Porsche hatte sich dazwischengeschaltet“.
Die Situation der beiden Porsche-Werksfahrer Jo Siffert und Pedro Rodriguez im Team von John Wyer beurteilt Cimarosti so: „Beide waren im Rennen in dieser Beziehung Hitzköpfe. Beide wollten gewinnen – keiner wollte nachgeben. So entstand manches heisse Duell um die Führung und um den Sieg. In Spa 1970 und 1971 beim 1000km-Rennen war ich zwar nicht dabei, dies sind aber durchaus passende Beispiele, welche dies aufzeigen“.
Siffert hatte zu seinen unmittelbaren Begleitern wie Jacques Deschenaux, Paul Blancpain oder zu seiner Schwester Marguerite, die das Sekretariat führte und natürlich zu seinen Rennmechanikern Jean-Pierre Oberson und Heini Mader ein freundschaftliches Verhältnis. Mit dem Künstler Jean Tinguely, ein grosser Motorsport-Fan, war er eng befreundet. Er begleitete Siffert oft zu den Rennen. „Tinguely kaufte sich mal einen ausgedienten Formel-1-Lotus 24-Climax und liess diesen an der Wand seines Schlafzimmers befestigen…“, schmunzelt Cimarosti. Und auch zu Jack Heuer, dem Uhrenfabrikanten aus Biel, gab es eine Beziehung, die über das rein Geschäftliche hinausging.
Am 24. Oktober 1971 war Adrian Cimarosti zu Hause und nicht in England an der Rennstrecke von Brands Hatch. „Es war schrecklich, wie ich vom Tod Jo Sifferts erfahren habe. Ich machte mich am Montag auf den Weg in die Redaktion der Automobil Revue in Bern. Als ich an einem Kiosk vorbeischritt, stand da auf einem Zeitungsplakat in grossen Lettern: „So starb Jo Siffert“. Es traf mich wie ein Hammerschlag, ich war wie vor den Kopf geschlagen – ich wollte und konnte gar nicht begreifen, dass dies tatsächlich geschehen ist“, schildert der Journalist diesen Moment. Aber – es war das Ende.
Steckbrief Adriano Cimarosti
Adriano Cimarosti ist der Grandseigneur der schweizerischen Motorsportjournalisten. Einem grossen Publikum wurde er dank der TV-Sendung "eifach, dopplet oder nüt" von Mäni Weber Ende der 50er Jahre bekannt. Diesem Auftritt als Quiz-Kandidat folgte von der Strasse weg das Engagement der Automobil Revue, die damit den Posten des Rennsportredaktors von 1961 bis zu seiner Pensionierung 2001 während 40 Jahren kompetent besetzen konnte. Cimarosti ist Verfasser zahlreicher (Rennsport-) Bücher, ist ein wandelndes Rennsportlexikon, Oldtimer-Liebhaber mit Modellen ausschliesslich italienischer Provenienz (wie es sich für einen gebürtigen Italiener auch gehört!) und natürlich im tiefsten Herzen immer noch mit seinem Heimatland verbunden. Cimarosti wurde, nicht wie Enzo Ferrari, einem weiteren berühmten Italiener, der Titel «Commentatore» verliehen, aber «zu einem Cavaliere hat es dennoch gereicht», wie Cima schmunzelnd anmerkt. Geboren 1937 im Friaul in Italien, seit 1941 in der Schweiz lebend, heute in einem Vorort von Bern, verheiratet, hat einen erwachsenen Sohn.
















