Die Fotos von damals
Ist ihnen auch schon aufgefallen, dass in alten Stadtansichten, solchen des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, oft ganze Strassenzüge menschenleer sind? An wichtigen Knotenpunkten sind kaum Menschentrauben oder Fahrzeugkolonnen zu sehen, nur einige Fuhrwerke, eine wartende Strassenbahn oder vereinzelte, verstreute Gestalten? Dass die wenigen Menschen, die sich auf der Fotografie ausmachen lassen, allesamt statisch scheinen, stehen oder sitzen? Nun, ich vermute, dies hat mit der damaligen Fototechnik zu tun, respektive mit der Belichtungszeit. Denn ein Schnappschuss war oft gar nicht möglich.
Bahnhofplatz Zürich, Ende des 19. Jahrhunderts © ETH e-pics
Um eine Fotografie ordentlich hin zu kriegen brauchte es viel Licht und eine lange Belichtung. Das heisst: Alles, was sich mit einer gewissen Geschwindigkeit von dannen bewegt hat, ist kaum oder gar nicht auf dem Bild sichtbar oder nur als halbtransparente Geistererscheinung. Also jene Fuhrwerke, Handwagen und Menschen in den Strassen in Bewegung, sind dem Chronisten so abhanden gekommen, so meine These.
Nur die ruhenden Passanten sind auf diesem Bild sichtbar, wer sich bewegt wird zur Geistererscheinung © ETH e-pics
Ich vermutete, dies führte heute zu einer Wahrnehmungsverschiebung und suggeriert, dass man in den Städten der Vergangenheit, jenen «ohne Auto», in nahezu idealen Verhältnissen gelebt hat. Grosse, weite, menschenleere Plätze und freie Strassen dominierten, man fragt sich, wo den all die Bewohner der Neubausiedlungen von damals geblieben sind, nachdem uns die Geschichte lehrt, dass Ende des 19. Jahrhunderts ein grosser Zuwanderungsdruck auf die Städte durch die Bevölkerungsexplosion geherrscht habe.
Meine Antwort lautete damit: Sie haben sich im langwierigen Entwicklungsprozess früher Fotografien mangels Zeit innezuhalten, nicht erhalten können.
Obwohl, der Verkehr früherer Tage war langsamer und darum auch für einen Fussgänger leichter einschätzbar. Es blieb ihnen eine gewisse Zeit, bis das sich nähernde Objekt tatsächlich bei ihm angekommen war. Das Auto verkürzte diese Zeit zwischen seiner Wahrnehmung und dem Moment als es tatsächlich eine Gefahr darstellte doch erheblich. Darum hat die Eile noch zugenommen,. Doch auch die Fototechnik wurde erheblich besser!
Mehr Autos – und viel mehr Fahrräder um 1939 wiederum vor dem Zürcher Hauptbahnhof © ETH e-pics
Gewiss, die Massen an Automobilen haben immer mehr Platz auf den Strassen in Anspruch genommen – teilweise wohl auch zu viel. Andererseits hatten sie einen riesigen Anteil daran, diese Infrastruktur umfassend zu erneuern und auszubauen oder zumindest dazu angeregt, es zu tun. Denn das Strassennetz der Schweiz war zuvor während Jahrhunderten in etwa gleichgeblieben. Erst dank dem Automobil hat dieses einen unglaublichen Ausbauschub in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfahren und damit Städte und Orte verbunden, die – trotz nahezu menschenleer wirkenden Fotografien – ganz gewiss nicht menschenleer und verkehrsarm waren. Im Gegenteil, Chaos, das belegt das letzte Bild, herrschte auch schon vor mehr als 80 Jahren...
























