Der idealisierte Volks-Sportwagen
29.03.2013
In vielen Autoprospekten fand man bis in die sechziger Jahre hinein häufig Illustrationen anstelle von Fotos. Schmissige Zeichnungen waren nicht nur modisch. Sie hatten auch den Vorteil, dass man gewisse Bereiche idealisieren und hervorheben konnte. Ausserdem waren sie bis in die hinterste Ecke gestochen scharf, was man von den damaligen Fotos nicht immer sagen konnte. Sie machten teure und langwierige Studioprojekte sowie das Aufschneiden und Zerlegen der Autos überflüssig. Der Zeichner konnte das damals schneller und günstiger.
Der Prospekt des VW Karmann Ghia Typ 14 in der ersten Facelift-Version ab 1959 – erkennbar an grösseren „Nüstern“ vorn und länglichen Heckleuchten – ist ein tolles Beispiel, wie ein Fahrzeug durch wahre Prospektkünstler ideal dargestellt wird. Weil im Photoshop-Zeitalter mittlerweile jedermann sich solcher Tricks bedienen kann, ist diese Kunst völlig ins Hintertreffen geraten.
Bereits die Titelseite sagt alles: ein gut aussehender Kerl in voller Fahrt im eleganten und in den Proportionen leicht übertriebenen Karmann-Coupé, mit dem man die Damenwelt beeindruckt. Denn die Hauptrolle spielt das hübsche Frauengesicht, das als retuschiertes Foto mit viel Farbe die Szene überstrahlt und dem grauen Ghia und seinem Besitzer erst Sinn und Zweck einhaucht. Mit diesem Auto möchte Frau gerne abgeholt werden. Verstehst Du, Mann?
Die erste Innenseite zeigt dann den Fahrer noch etwas genauer. Typ James Dean, der mit Handschuhen bewehrt einen technisch hochwertigen Sportwagen zu bändigen weiss und dank windschnittiger Frisur offensichtlich auch schnell unterwegs ist. Der Text darunter ist dann aber viel ernüchternder als das idealisierte Fahrerbild und erklärt in wenigen Sätzen, dass der Karmann Ghia auf dem millionenfach bewährten Käfer basiert. Gut, dass das gesagt wird. Die schwarz-weisse Cockpitsilhouette hätte auch zu einem hochmotorisierten Sportwagen gepasst.
Die Proportionen sind auf der dritten Seite schon weit weniger idealisiert als auf dem Umschlag und zeigen die schlichte Eleganz des Entwurfs von Luigi Segre, Chef-Designer von Ghia in Turin. Das Design ist übrigens nicht neu, sondern stand bereits in Form des – ebenfalls von Luigi Segre gezeichneten - Chrysler D'Elegance-Prototyps am Pariser Salon 1952 .
Aus dem Chrysler entstand allerdings nie ein Serienauto, VW schnappte sich das Konzept, und 1955 wurde daraus der Karmann Ghia.
Das kleine Interieurbild unten rechts verrät noch nicht viel, zeigt aber schon mal das Wichtigste. Es wartet auf zwei Passagiere, die sich gerne in edlen, grün-in-grün ausstaffierten Sitzen mit weissen Nähten vor das Elfenbein-Lenkrad platzieren möchten.
Der schwarze Karmann Ghia will maskulin wirken wie der Herr hinter dem Lenkrad. Nix Sekretärinnen-Porsche. Doch ansonsten werden alle Klischees bedient, denn auf der gleichen Seite wird wiederum die praktisch veranlagte Weiblichkeit (oder der frauenverstehende Mann) befriedigt. Der Kofferraum im Fond ist dazu wieder leicht überzeichnet, die störenden Vordersitze weggelassen und alles schön hell und luftig. Wenn man den Illustrationen glaubt, könnte kein Kombi besser!
Nach so viel Vernunft wieder Emotionen: Coupé und Cabrio mit geschlossene Verdeck in eleganten Farben und perfekten Formen sind als Zeichnungen dargestellt, welchen ein Foto als Unterlage gedient haben muss. Denn sie sind – im Gegensatz zur Titelseite - in den Proportionen realistisch dargestellt. Um das Fahrzeug so perfekt zu fotografieren, wären aufwendige Studioaufnahmen mit viel Hilfsmaterial für Ausleuchtung, Hintergrund und korrekte Blech-Reflektionen notwendig. Oder jede Menge Nachbearbeitung.
Das abgebildete Auto sieht etwas trist aus. Das Hellblau wirkt in Wirklichkeit weit hübscher. Im Prospekt ist es leicht angegraut und bräuchte mal wieder eine Waschanlage. Diese wird übrigens im ganzen Prospekt nirgends erwähnt. Waschstrassen schienen anno 1959 noch keine Rolle gespielt zu haben.
Der Text streift die schönen Formen nur kurz. Gekonnt ist der Satz: „ Mit dem Karmann-Ghia-Cabriolet hat man (…) das rassige offene Automobil für sommerfrohes Fahre in Licht, Luft und Sonne.“ Aber dann wird schnell wieder auf die hohe Praxistauglichkeit und Vernunft umgeschwenkt. Schliesslich ist man Volkswagen!
Das offene braune Cabrio mit elegantem, beigem Interieur wirkt schon wesentlich edler und illustriert hervorragend, was ein guter Grafiker herausholen kann. Ein dunkler künstlicher Horizont, der sich im Blech spiegelt, erläutert das Wellenspiel vom vorderen Kotflügel, der in der Türe ausläuft und dem angesetzten hinteren Seitenteil. Die Dreidimensionalität der Formen kommt dadurch perfekt zur Geltung. Dazu der elegante Ghia-Schriftzug auf dem Motordeckel. Luigi Segre dürfte mit einer solchen Darstellung seines Werks höchst zufrieden sein.
Die beiden sauber gezeichneten Seitenansichten von geöffnetem und geschlossenem Cabriolet wirken etwas verloren auf der Seite. Die Anordnung ist wohl vom Drucker ohne genaue Anweisung des Künstlers entstanden. Das obere Fahrzeug ist von einem höheren Augpunkt aus gezeichnet, das untere von einem tieferen. Das sollte genau umgekehrt sein und wirkt sehr unnatürlich. Aber das zieht sich durch den ganzen Prospekt: kein einziges Fahrzeug wird in seiner natürlichen Umgebung auf der Strasse oder vor einer Reihenhaussiedlung gezeigt. Alle sind ausgeschnitten auf weissem Hintergrund. Den Rest muss man sich denken.
Die Zitate weisen darauf hin, dass der Karmann Ghia trotz seiner sportlichen Auslegung kein Macho-Auto ist. Der zarte Damenfuss steht „maßgerecht auch für alle Absatzhöhen“ auf der grossflächigen „Trittplatte“, wie das Gaspedal schön benannt wird. Zu diesem Thema/Detail haben wir schon früher einmal "gebloggt".
Das Frauengesicht unten rechts ist wiederum eine interessante Mischung aus Foto und Retusche. Als Basis dient ein Schwarz/Weiss-Foto, wie an den Instrumenten zu erkennen ist. Diese sind zusammen mit dem Lenkrad ausgeschnitten und teilweise koloriert. Der Rest wurde weggelassen oder nur als Linienzeichnung nachgezogen. Eine interessante Komposition, die das Ghia-Cockpit schlicht und übersichtlich und (Achtung Klischee) auch für die nicht technikorientierte Dame beherrschbar darstellt. Vermutlich auch für die weibliche Kundschaft sind die beiden Schnittbilder, die unter anderem Wärmeverteilung und Sitzverstellung erklären.
Auf der letzten Seite kommt dann endlich die volle Wahrheit zu Tage: 30 PS und 115 km/h Höchstgeschwindigkeit. Naja! Und die Beschleunigung von 0 – 100 wird gar nicht erst angegeben. Die Karmänner in Osnabrück versteckten unter dem eleganten italienischen Kleid nur Hausmannskost vom Mittellandkanal. Der Karmann Ghia wurde trotz des schwachen Motors zum Erfolg. Die Klischees des Werbezeichners trafen offensichtlich das Herz des Käufers. Oder vielmehr: der Käuferin.
Der Originalprospekt ist natürlich im Zwischengas-Archiv zu finden.