Auf Nebenstrassen durch die Automobilgeschichte (3): Sind Chauffeure Hauspersonal oder angestellte Mechaniker?
Es ist doch so: Die schönsten, interessantesten und manchmal auch schrägsten Entdeckungen macht man immer auf Nebenstrassen. Das gilt auch für die Nebenstrassen der Automobil-Geschichte. Diese Serie bringt Überraschendes aus früheren Zeiten zu Technik, Design und Leben mit dem Auto.
      
    
Einem französischem Zeitungsbericht war im Jahr 1911 zu entnehmen:
"Wir stellen unseren Leser folgende Fragen:
- Wie wählt man seinen Chauffeur? Ist es besser, wenn er eine professionelle Ausbildung als Mechaniker hat, oder wenn er einfach ein geschickter Mann mit einer mechanischen Begabung ist? Oder ist ein Hausangestellter vorzuziehen, der ans Haus gewöhnt ist, intelligent, aber nicht fähig, eine grössere Reparatur durchzuführen?
 - Ist es besser, wenn er verheiratet oder ledig ist?
 - Wenn ein Mechaniker Kost und Logis hat, was kann er dann für eine Gage beanspruchen?
 - Hat er Anrecht auf Geschenke oder eine Gratifikation, und wenn ja, zu welchen Bedingungen?
 - Es ist üblich, seinen Mechaniker einzukleiden. Welche Kleidung schuldet man ihm? Man schuldet ihm beispielsweise Handschuhe, aber auch die Schuhe?
 - Wenn der Mechaniker auf Reisen nicht Kost und Logis hat, was schuldet man ihm dann?
 - Kann man auf Reisen verlangen, dass der Mechaniker den Wagen jeden Tag wäscht, wenn der Tag nicht zu hart war, wenn man frühzeitig ankommt und der Mechaniker sich ausruhen kann?
 - Welchen Platz weisen Sie ihm auf Reisen zu, wenn der Mechaniker nicht fährt?
 - Soll der Mechaniker Pneus, Treibstoff etc. selber einkaufen? Wenn ja, welche Kontrolle hat der Patron?
 - Ist es üblich, dass der Mechaniker einen Teil der Wiederverkaufseinnahmen für gebrauchte Pneus, alte Accessoires etc. für sich behalten kann?
 - Wenn ein Mechaniker nachts spät heimkommt, zum Beispiel um ein Uhr, wann darf man verlangen, dass er, den Wagen in Bereitschaft, wieder fährt?
 - Wenn man den Mechaniker nicht mehr braucht, gesteht die Rechtssprechung ihm acht Tage Salär zu. Aber wie ist das mit der Kleidung, gehört die ihm?
 
      
    
Die Antwort eines Lesers lautete:
- Einen professionellen Mechaniker zu wählen, ist absolut unnötig, ja sogar schädlich. Unnötig, weil ein Professioneller ein Fabrikarbeiter ist, der sich kaum der korrekten Diensthaltung eines jeden guten Bediensteten unterziehen wird, und der Chauffeur ist ein Bediensteter, nicht mehr, nicht weniger.
 - Ein Professioneller wird immer seine Gewohnheiten beibehalten: Nachlässige Kleidung, sich gehen lassen, unkorrekte Haltung auf dem Sitz während Wartezeiten, grobe Sprache etc. Schädlich ist dies besonders, weil es das übrige Personal negativ beeinflussen kann, und schlechte Gewohnheiten verbreiten sich schneller als gute.
 - Der Kutscher oder der Kammerdiener, den man zum Chauffeur macht, hat meines Erachtens kein Anrecht auf ein zusätzliches Gehalt. Als Kutscher reinigte er die Pferdehufen, als Kammerdiener putzte er das Silber und wichste das Parkett; warum sollte man zusätzlich bezahlen, dass er die Reifen aufpumpt oder Treibstoff einfüllt?
 - Bei Kost und Logis verdient der Chauffeur höchstens 100 Francs im Monat, und das ist ein hohes Maximum. Ein guter Kutscher verdiente so viel. Worin sollte ein Chauffeur einem Kutscher überlegen sein? Ist es nicht sogar schwieriger und delikater, ein Pferd zu pflegen, zu führen und zu dressieren, als eine Anlass- Kurbel zu drehen, Benzin einzufüllen, Gänge zu wechseln, die Kupplung zu fetten oder ein Ventil einzustellen?
 - Geschenke oder Gratifikationen? Gratifikationen sicher nicht. Geschenke- ja, weil das so üblich geworden ist, auch wenn Ihnen der Bedienstete für das Neujahrsgeschenk kaum danken wird, weil er dies gemäss seiner Mentalität als Selbstverständlichkeit betrachtet.
 - Auf Reisen: Wenn Kost und Logis nicht dabei sind, genügt es, dem Chauffeur ungefähr 7 Francs pro Tag zu geben. Und wenn ihm das nicht genügt, kann man ihn rauswerfen oder ihn an die Zeiten erinnern, als er auf seinem Bauernhof 50 Centimes pro Tag verdiente, Steine klopfte oder totes Holz einsammelte und am Abend Specksuppe und ein Glas klares Wasser bekam, bevor er sich dann in einem Dachzimmer zur Ruhe legte, das weniger komfortabel als ein Hotelzimmer war.
 - Autowaschen: Das kann man, wenigstens an nicht besonders anstrengenden Tagen, verlangen, zumal es dem Auto gut tut und dem Chauffeur auch, der dann nicht im erst besten Bistrot trinken geht.
 - Wenn er nicht fährt, setze ich meinen Chauffeur auf den Platz, wo er mich am wenigsten stört. Das ist mein einziges Kriterium.
 - Pneus und Benzin kaufe ich immer selber, da ich damit viel Geld spare.
 - Gebrauchte Pneus etc.: Ich weiss, dass gewisse Patrons das so halten. Aber es ist ein Fehler, der nur zu unsorgfältigem Fahren verführt. Bekamen etwa Kutscher die Verkaufseinnahmen von gebrauchtem Sattelzeug? Eben.
 - Wenn man das eine oder andere durch den Chauffeur besorgen lässt, dann nur gegen datierte und unterschriebene Rechnungen. Sonst ist eine Kontrolle unmöglich.
 - Wenn man um ein Uhr Nachts zurückgekommen ist, kann man den Wagen problemlos um neun Uhr morgen verlangen. Der Mechaniker wird etwas früher aufstehen oder etwas weniger schlafen - das ist alles.
 - Bei der Entlassung: Die Kleidung ist Eigentum des Wagenbesitzers. Das sollte nicht einmal diskutiert werden.
 - Der Besitzer gibt dem Chauffeur die Livrée und bestimmt deren Schnitt und Farbe selber. Was die Schuhe angeht: Man gibt sie ihm nur dann, wenn die Seinen zu lächerlich sind. Er soll sie aber nur zum Fahren tragen.Ich rate aus Erfahrung, die Uniform so zu gestalten, dass sie dem Chauffeur nicht gefällt. So trägt er sie nur während der Arbeit, was die Abnützung verringert.
 - Zum Schluss halte ich fest, dass man im Allgemeinen den Chauffeuren zu viel durchlässt. Er ist ein simpler Hausangestellter, aber in den Anfängen des Autos hat man sie zu sehr als technische Magier betrachtet und damit verzogen. Es gibt genug Individuen unter den Chauffeuren, die nonchalant auf dem Trittbrett stehen, wie wenn ihnen der Wagen gehörte, und eine Zigarette rauchen - wenn es nicht die des Patron sind.
 - Kurz: Man sollte sich nicht zu sehr um sie kümmern, sie spielen sich dann auch weniger auf."
 
      
    
Das waren noch Zeiten. Zwischen den Zeilen wird klar, dass die Chauffeure einen eigenen Berufsstolz zu entwickeln begannen, was den Patrons offensichtlich gar nicht passte.
      
    































