Auf Nebenstrassen durch die Automobilgeschichte (2): Das “Recht”, Tiere zu überfahren
Es ist doch so: Die schönsten, interessantesten und manchmal auch schrägsten Entdeckungen macht man immer auf Nebenstrassen. Das gilt auch für die Nebenstrassen der Automobil-Geschichte. Diese Serie bringt Überraschendes aus früheren Zeiten zu Technik, Design und Leben mit dem Auto.
Einem französischen Zeitungsbericht aus dem Jahr 1904 kann folgende Geschichte entnommen werden:
      
 
Test mit einem «Räumungsgitter» für Fussgänger (Archiv Gerhard Schütz)
      “Wenn ein Hund beneidenswert genüsslich in seiner ganzen Länge ausgestreckt auf der Strasse liegt, verlangsamt der korrekte Fahrer, umfährt ihn oder hält, wenn das nicht geht, vollständig an. Es gibt keine Alternativen zu diesem Verhalten. Man überfährt kein Tier, man überfährt kein Tier. Sagen wir es noch ein drittes Mal: MAN ÜBERFÄHRT KEIN TIER.
 
    
      Muss ich extra betonen, dass diese Schonung, welche die geringste Rücksichtnahme verlangt, nicht nur für meine geliebten Hunde, sondern für jedes Lebewesen auf der Strasse gilt, selbst, wenn es kein Recht hat, sich dort aufzuhalten? 
Gewiss, die Strasse ist kein Hühnerhof. Aber hat man das Recht, wie ich es selbst mit ansehen musste, eine Schar von Entenküken zu überfahren, diese seidigen kleinen Wesen mit ihren gelben winzigen Schnäbeln? Nein, hundert mal nein! Und der Friedensrichter, der den brutalen Fahrer verurteilt, wird bei allen Menschen Zustimmung finden, die das Herz auf dem rechten Fleck haben.
 
    
      Ich gehe noch weiter. Ich glaube, dass jeder feinfühlige Fahrer das Überfahren von freilebenden Tieren tief verachten wird. Manchmal, an heissen Tagen, sieht man etwas Kleines über die Strasse huschen, von einer Bruchsteinmauer zur anderen, so schnell sie es auch schaffen mit ihren vier winzigen Beinen, die den Staub aufwirbeln: Das sind Eidechsen, welche das Nahen eines Auto- Monsters in Panik versetzt. Jeder aufmerksame Fahrer kann sie sehen. Oder es hüpft schwerfällig eine Kröte von Pfütze zu Pfütze. Ich verlange nicht, dass man vor einer Eidechse oder eine Kröte bremst, aber ich verlange, dass man nicht noch absichtlich Haken schlägt, um diese bedauernswerten Tiere zu überfahren. Wenn man sie verschont, gibt uns das immer eine tiefe innere Befriedigung.
 
    
Kurz – meine Ausführungen wollen nichts anderes, als festzuhalten, dass das Automobil ein friedliches Gerät ist und keine Kriegsmaschine, kein Mordinstrument, wie klein und bescheiden oder gar verachtenswert das Opfer auch sein mag.
      
 
Fussgängerschutz anno dazumal… (Archiv Gerhard Schütz) 
 
    
Die Freude zu töten ist eine so kranke Freude, dass sich in jedem Autobesitzer dagegen Abscheu regen muss, zumal diese heute meist der sozialen Oberschicht angehören, die man auch als herrschende Klasse bezeichnet. Niemals würde ein ehrlicher Mensch auf Reifen das Recht akzeptieren, unschuldige Tiere zu überfahren, Es gibt kein «Recht», welches das Automobil mehr hassenswert macht, als dieses. Sonst würde es völlig zurecht als öffentliche Plage bezeichnet. Es gibt kein vergifteteres Geschenk, das man unserem Sport machen könnte.”
Was der Chefredaktor von «La Vie automobile» hier schrieb, lässt tief blicken. Offensichtlich hatte der Hass, der vielerorts dem Automobil entgegenschlug, schon auch seine konkreten Gründe und war nicht nur ein diffuser, fortschrittsfeindlicher Reflex. Interessant der Hinweis auf die Vorbildfunktion der sozialen Oberschicht, die als erste Autos besass.
P.S. Die Bilder haben mit dem Text direkt nichts zu tun, sondern zeigen eine technische Lösung, wie das “Überfahren” von Tieren oder Menschen verhindert werden könnte.




















