Tod eines Heimwärtsrasenden
Für gewöhnlich können Sie das, was aus der thematischen Überschneidung von alten Autos und alten Filmen hervorgeht, in unserem Themenkanal "Vergessene Filmautos" nachlesen. Aber dieses Mal sind die Folgen des lustigen Stöberns in grossen Klassikern und ulkigen B-Streifen ein wenig weitreichender. Denn zielloses Umherstreifen in den verästelten Ausläufern der Autokino-Kultur lieferte am Ende womöglich neue Erkenntnisse über die Historie eines Porsche-Einzelstücks.
Der Schauspieler Tom Pittman (unten mit Virginia Aldridge in seinem letzten Film High School Big Shot) gilt unter Freunden des Fünfzigerjahrefilms als eine Art "zweiter James Dean": blond, talentiert, rebellisch, mit Mitte 20 in einem Porsche 550 Spyder verunglückt und erst postum in seinen zwei grössten Rollen zu sehen. Soweit so romantisch – zumal Pittman Dean als sein Idol verehrt haben soll –, aber maximal zu 85 Prozent korrekt.
Die Umstände von Pittmans Tod in aller Kürze und gleichzeitig in voller Länge: Nach einer Party im San Fernando Valley macht er sich am Abend des 31. Oktober 1958 gewohnt rasant auf den Weg nach Hause in Richtung West Hollywood. Im nördlichen Benedict Canyon kommt er von der Strasse ab, durchbricht die Leitplanke und stürzt mit seinem Auto gut 90 Meter in die Tiefe. Erst drei Wochen später wundert sich ein Polizist über das Loch in der Leitplanke und findet daraufhin den toten Pittman sowie den auf der Seite liegenden Porsche, in dessen Windschutzscheibe noch immer das zweieinhalb Meter lange Stück Leitplanke steckt. Am nächsten Tag melden die Zeitungen den Unfalltod des jungen Schauspielers und nennen als Unglücksauto einen "Porsche Spyder".
Das macht den filminteressierten Altauto-Journalisten natürlich neugierig. Aber während von James Deans todbringendem 550 Spyder immerhin die Fahrgestellnummer überliefert ist und jüngst sogar das Getriebe auftauchte, fehlt von Pittmans Porsche bis heute jede Spur. Ein zweites Schicksal wie jenes von 550-0055 ist jedoch von keinem weiteren Spyder bekannt, auch wenn die Dokumentationen gerade aus der Blütezeit des Amateur-Rennsports in den USA häufig sehr lückenhaft sind. Um die Verwirrung perfekt zu machen, schreibt die Los Angeles Times in ihrem einspaltigen Artikel, dass der Wagen eine Sonderkarosserie aus der Schweiz gehabt hätte. Auch von einem solchen 550 Spyder weiss heute niemand etwas.
Des Rätsels Lösung findet sich in Form eines Fotos von Pittman, das ihn neben einem Porsche-ähnlichen Coupé mit der kalifornischen Autonummer "NBZ 633" zeigt und das uns freundlicherweise von "35 Millimeter Retro-Filmmagazin" aus Saarbrücken zur Verfügung gestellt wurde. Schon auf den ersten Blick ist eines klar: das ist kein 550 Spyder, dafür sitzt der Motor zu weit hinten. Es scheint sich aber tatsächlich um eine Spezialkarosserie zu handeln – mit den Rückleuchten des Opel Kapitän. Die eigene Expertise endet aber hier.
Ein in Porsche-Dingen deutlich belesenerer Freund identifiziert den geheimnisvollen Wagen auf den ersten Blick. Die schräge Zierleiste, die bis ins Dach gezogenen Seitenfenster, die dreiteilige Panorama-Heckscheibe – ganz klar: das ist das Glöckler-Coupé von 1954, das nach seiner kurzen Rennkarriere in Europa nach Amerika verkauft wurde, dort verunfallte und anschliessend auf dem berühmten Edel-Schrottplatz von Rudi Klein in Los Angeles ein trauriges Dasein bis zu seiner Wiederentdeckung Ende der Achtzigerjahre fristete.
Allerdings nennen heute viele Artikel über den Glöckler-Carrera (wenn überhaupt) einen gewissen Tom Shipman als Erstbesitzer in den USA. Wer er genau war und was er so machte, um sich einen solchen Wagen leisten zu können, schreibt allerdings niemand. Steile These: Irgendwann in Vor-Internet-Zeiten hat jemand 'mal nicht richtig zugehört oder nicht genau hingesehen, und so wurde aus Pittman eben Shipman, was nun seither jeder vom anderen abschreibt. Gewagt, sicher, allerdings durchaus plausibel, da der Wagen ein Einzelstück ist, die Unfall-Geschichte passt und es doch ein ziemlich grosser Zufall wäre, wenn nacheinander zwei Herren mit so ähnlichen Namen den einmaligen Porsche besessen hätten. Allerdings begann Pittmans Schauspiel-Karriere erst 1956 langsam mit Nebenrollen in Fernsehserien. Somit war er vielleicht wirklich schon der zweite Glöckler-Besitzer in den USA – oder das Coupé kam erst später als gedacht über den grossen Teich. Immerhin ist auf dem obigen Bild das "Zoll-Ei", das deutsche Ausfuhrkennzeichen, noch montiert.
Das Foto, wie er lässig am Glöckler-Coupé lehnt, ist aber ein starkes Indiz dafür, dass Tom Pittman der unbekannte Unfallfahrer war und sich die beiden Einzelschicksale von Schauspieler und Sportwagen so zu einem gemeinsamen verknüpfen. Obendrein lässt sich aus Pittmans Porsche-Pose eine zweite Sache ableiten: der Glöckler-Porsche wanderte nicht direkt nach dem Unfall zu Rudi Klein, wie gelegentlich zu lesen ist. Was schon deshalb nicht sein kann, da Klein erst 1968 mit dem Sammeln edler Wracks begann. Zur Zeit des Unfalls trug das Coupé nämlich ein gelbes Kontrollschild der ab 1956 in Kalifornien ausgegebenen Form, das auch auf dem Bild mit Pittman zu sehen ist. Auf Fotos, die das Coupé auf Kleins Schrottplatz zeigen, hängt jedoch ein schwarzes Schild (mit der Nummer "JRR 584") am Heck, wie es erst ab 1963 ausgegeben wurde.
Bleibt die Sache mit der Schweizer Karosserie. Auch darin hätten sich die Amis folgerichtig geirrt. Wie schon bei seinen Roadster-Kreationen liess Walter Glöckler die Aluminiumhülle für Porsche-Chassis Nummer 12213 vom Frankfurter Karosseriebauer C. H. Weidenhausen dengeln.
Nachtrag vom 21. November: Wie sich nun herausstellte, wurde das Porsche-Foto 1957 von einem Freund Pittmans, dem Jazz-Fotografen William Claxton (1927–2008), aufgenommen und ist in dessen Bildband "Photographic Memory" (Powerhouse Books, 2002) im Grossformat abgebildet. Neben dem Zulassungs-Siegel für 1958 zeigt es, dass der Porsche – ähnlich wie der von James Dean – schon vor dem finalen Unfall ein paar leichte Blessuren erlitten hat.