Fast jeder von uns ist vermutlich schon einmal 10 Stunden mehr oder weniger am Stück autogefahren an einem Tag. Ist ja auch keine grosse Sache, zum Beispiel die Strecke Zürich-Essen-Zürich innerhalb von knapp 10 Stunden zurückzulegen, also etwa 1300 km. Gut ausgebaute Autobahnen und zahlreiche “Assistenten” (bis hin zur Warnanzeige, dass nun ein Kaffeehalt angezeigt wäre) machen es einem leicht, auch lange Strecken zurückzulegen.
Früher aber war das anders. Stirling Moss siegte 1955 bei der Mille Miglia zusammen mit Denis Jenkinson auf dem Mercedes-Benz 300 SLR in der Zeit von 10 Stunden 7 Minuten und 48 Sekunden. 157,65 km/h betrug der Schnitt und eine Kaffeefahrt war dies weiss Gott nicht. Zwar konnten auch Moss und Jenkinson einige Male kurz Pause machen und sogar eine längere Rast in Rom (1 Minute 4 Sekunden) lag drin, wie uns Hartmut Lehbrink mitteilt, der für die aktuelle Nummer der Zeitschrift Motor Klassik den inzwischen 85-jährigen Sir Stirling interviewte, ansonsten aber war härteste körperliche Arbeit und volle Konzentration angesagt.
Überhaupt hatten die Sieger mit einigen Problemen zu kämpfen. Sie hatten die Strecke vorher mehrfach mit Serienfahrzeugen abgefahren und dabei immerhin zwei Wagen geschrottet, aber als sie im Renntempo (bis weit über 250 km/h) durch Italien rasten, gestaltete sich manche Passage dann doch etwas anders. So wurden Moss und “Jenks” bei einem Bahnübergang komplett aus den Sitzen gehoben (Gurten gab es damals noch nicht), dass sie bei ihrer unsanften Landung dachten, der Rückgrad sei gebrochen ...
Während der zehn Stunden war bei Renntempo auf teilweise rudimentären Landstrassen höchste Aufmerksamkeit angesagt. Während Jenkinson ab seinem rollenden Wegaufschrieb Gefahrenstellen und freie Fahrt herüberschrie, fuhr Moss ansonsten weitgehend auf Sicht und knüppelte den knallharten und sehr lauten 300 SLR mit seinem Achtzylindermotor und ohne Servohilfen über die Bahn. Viele Konkurrenten fuhren übrigens ohne Beifahrer ...
Nach dem Zieleinlauf wussten die beiden Engländer erst gar nicht, dass sie gewonnen hatten, Stirling Moss beschreibt diese Phase als “absolute Antiklimax”.
Aber für lange Feiern war sowies keine Zeit, denn um Mitternacht setzte sich Moss mit seiner Freundin wieder in einen Serienwagen und fuhr von Brescia nach München, wo er frühstückte, bis nach Stuttgart weiterfuhr, wo er dann mit Mercedes-Direktoren zum Mittagessen verabredet war. Von da da ging es weiter nach Köln. Am Ende waren es also rund 40 Stunden Autofahrt in knapp zwei Tagen, da wird selbst der moderne Langstreckenfahrer ratlos ...
Den Siegerwagen, also den Mercedes-Benz 300 SLR von 1955, kann man aktuell noch an der Techno Classica besichtigen. Wer die Fahrtstrecke nach Essen nicht unter die Räder nehmen will, findet auch in unserem Messebericht einige Fotos davon.
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