Ein (un)bekanntes Auto
Edward Hopper schuf Bilder, aus denen eine tiefe Einsamkeit spricht, wie sie nur malen kann, wer die unendliche Weite der amerikanischen Landschaft kennt. Geboren 1882 in New York, war Hopper ein wichtiger Vertreter des sogenannten amerikanischen Realismus. Jedes seiner Bilder ist eine flüchtige Momentaufnahme aus dem Schicksal eines Menschen, verloren in einer rasch sich wandelnden Gesellschaft.
«Western Motel» von 1957 ist eines seiner bekannteren Bilder und zeigt eine Frau, die im eleganten roten Kleid auf der Kante eines Hotelbetts sitzt. Angespannt hält sie sich mit der Hand am Bettende fest, um jeden Moment aufzustehen. Vermutlich hat sie bis eben aus dem Fenster geschaut, jetzt wendet sie ihren Blick erwartungsvoll zum Betrachter hin, vielleicht Richtung Zimmertür. Ob in diesem Moment jemand hereintritt? Etwa ihr neuer Mann, mit dem sie aus ihrer Heimatstadt fortzieht?
Im Zentrum des Bildes steht aber nicht etwa die Frau, sondern ein Auto. Halb verdeckt ist im Fenster die dunkelgrüne Kühlerhaube Fahrzeugs zu sehen, das vor dem Motel parkt. Das Markenemblem fehlt. In den Beiträgen zu Hopper «Western Motel» hat sich darum bisher niemand die Mühe gemacht, das Auto näher zu identifizieren. Das wäre jedoch gar nicht so schwer, denn mit seiner auffälligen Silhouette und den ovalen Scheinwerfern gibt sich der Buick Special mit Baujahr 53 leicht zu erkennen – der letzte Buick mit Reihenachtzylinder. Nur knapp zu sehen ist sein auffälliger «Wasserfallgrill» mit senkrechten Chromstäben.
Der Buick Special war damals am unteren Ende der Modellpalette angesiedelt, aber dennoch teurer als ein Chevrolet oder Ford. Trotzdem wurden zwischen 1945 und 1953 fast 900'000 Exemplare verkauft. Das Klientel waren wohl vor allem mittelständische Paare und Familien, die sich ein nobles Fortbewegungsmittel leisten wollten. Das Gepäck vor dem Bett legt die Vermutung nahe, dass Hopper sich den Buick beim Malen in Kombi-Ausführung vorgestellt hat.
Typisch für Hopper ist das Spiel mit Licht und Schatten. Der Stand der Sonne verrät, dass es noch früh am Morgen ist. Nach einer wenig erholsamen Nacht im Motel sind die Taschen gepackt und das Bett gemacht. Der Mann, der vielleicht in diesem Moment zur Tür hereinkommt, wird nun das Gepäck zum Kofferraum des Buick tragen und seiner Frau die Beifahrertür aufhalten. Danach brausen sie auf der Landstrasse der Sonne entgegen, nach Osten also.
Links ziehen kahle Hügel vorbei, die in der Sonne goldig leuchten. Diese Hügel werden in Kalifornien als «Golden Hills» bezeichnet und entstehen jeweils, wenn das Gras, das im Frühling noch grün war, im Spätsommer verdorrt. Hopper selbst hatte mit dem Auto die Westküste bereist und kannte diese Landschaften darum gut. Die Strasse trägt den Buick weg von den grossen Küstenstädten wie San Francisco oder Los Angeles und immer weiter ins dünn besiedelte Hinterland.
Das würde zumindest die Wehmut erklären, welche im Blick der Frau liegt. Die pulsierende Stadt ihrer Jugend verschwindet im Rückspiegel, die Strasse führt in eine ungewisse Zukunft auf dem Land. Ob sie es beim Aussteigen wohl bereuen wird, die hochhackigen Schuhe angezogen zu haben? Der Buick fährt weiter, ein Sinnbild der Träume jener aufstrebenden Mittelschicht, die sich eine neue Existenz aufbauen will: ein Auto, ein Haus, eine Familie.





















