Der Einkaufswagen und der Kofferraum
Grosse Räder, kleine Räder, die Welt steckt voller Zusammenhänge. Doch häufig ist man sich dessen nicht bewusst. Die Erfindung von Linoleum beispielsweise ermöglichte es, fugenfreie Böden in Gebäuden zu verlegen. Zudem war dieser Bodenbelag hygienisch, da er porenfrei und einfach zu reinigen ist. Nicht nur in Spitälern, sondern auch in Bürogebäuden und öffentlichen Einrichtungen war er ab Ende des 19. Jahrhunderts omnipräsent. Dies ermöglichte die Verwendung einer weiteren Erfindung des 19. Jahrhunderts, der Lenkrolle, des schwenkbaren, kleinen Rädchens, wie es beispielsweise an Bürostühlen Verwendung findet.
Linoleum wurde aber auch in Läden und besonders in den in den USA ab den 1930er-Jahren immer beliebteren Supermärkten verwendet. Diese hatten bereits damals meist einige Parkplätze zu bieten, denn die Kundschaft suchte diese Orte immer mehr mit dem Auto auf. Diese Tatsache brachte Sylvan Goldman (unten), Inhaber einer Supermarktkette in Oklahoma City, auf die Idee, den Kunden und insbesondere Kundinnen eine Erleichterung zu bieten, damit sie mehr Einkäufe pro Besuch in seinem Laden tätigen konnten. Zudem sollte den Frauen die Handhabe von Einkauf und Kindern gleichzeitig erleichtert werden. Bis dato war es nämlich üblich gewesen, mit einem Handkorb soviel mitzunehmen, wie man zu tragen vermochte. Goldman aber suchte einen Weg, wie man bequem zwei Körbe gleichzeitig mit sich durch die Gestellreihen nehmen konnte. Er experimentierte mit einem hölzernen Klappstuhl, den er auf kleine Räder setzte und in den sich zwei Einkaufskörbe einhängen liessen. Der Einkaufswagen war geboren!
Sylvan Goldman mit Modellen des Ur-Einkauswagen und einem Standard-Wagen der 1970er-Jahre
Ab sofort liess sich die doppelte Menge an Einkäufen vom Laden zum Auto bringen. Zwar fand die Männerwelt dies zunächst befremdlich, mit einer Art umgebauten Kinderwagen durch einen Laden zu schreiten. Attraktive Models, von Goldman extra in seine Läden geschickt, konnten jedoch das Eis für den Einkaufswagen brechen. Und die Grösse der Körbe war alsbald nicht mehr darauf limitiert, was Mann respektive Frau zu tragen imstande war. Zudem ersetzten in den 1940er-Jahren zusammenschiebbare Einkaufswagen nach Patent Watson (unten) jene Klappwagen von Goldman, die jedes Mal bei Nichtgebrauch demonitert und zusammengeklappt werden mussten.
Die Patentschrift des zusammenschiebbaren Einkauswagens von Orla Watson, 1949, damit entfiel das Zusammenklappen wie bei Goldmans Pionier-Einkaufswagen
Nun fragt man sich, was das mit dem Auto zu tun hat? Die Antwort ist einfach: Das Vorhandensein eines Einkaufswagens im Supermarkt, dessen Parkplatz und der Umstand, dass der Kühlschrank zuhause auch eine grössere Einkaufsmenge über längere Zeit frisch halten konnte, liess in den 1960er-Jahren den täglichen Einkauf zu einem wöchentlichen Einkauf werden. Und dieser schlug sich auf die Bedürfnisse der Autokäufer nieder. Dass Heckklapen-Limousinen immer beliebter wurden, war kein Zufall, eine weitere Rolle spielte allerdings auch die Entwicklung der Freizeitgesellschaft. Doch das ist eine andere Geschichte. Marcello Gandini aber hat diese Ereignisse antizipiert und in seinem Entwurf eines Familien-Coupés auf Basis des Fiat 128 (unten und Titelbild) bereits 1969 einen darin integrierten Einkaufswagen vorgesehen!
Bertones Designer Marcello Gandini sah in seiner Studie eines familienfreundlichen Coupés auf Fiat 128-Basis einen integrierten Einkaufswagen vor
Foto Goldman: © Oklahoma Historical Society





















