Der Oldtimer/Youngtimer “Tipping Point”
29.12.2018
Wir versuchen hier bei Zwischengas ja soweit wie möglich auf Anglizismen zu verzichten. Für den Ausdruck “Tipping Point” fiel uns aber wirklich keine gute Übersetzung ein. Die deutsche Wikipedia spricht von “Kipppunkt”. Gemeint ist eigentlich der Zeitpunkt, an dem eine bisherig gradlinige Entwicklung plötzlich abbricht/aufhört. Und die Frage, die sich hier stellt, ist, ob es auch beim Oldtimer/Youngtimer diesen “Kipppunkt” gibt, also den Zeitpunkt, wo nachfolgende Autos trotz Erreichen des nötigen Alters keine Youngtimer/Oldtimer mehr werden (können).
Manche Oldtimer-Enthusiasten sehen bekanntlich die Elektronik als grossen Feind für zukünftige Klassiker. Mit dem zunehmenden Einsatz von Elektronik-Komponenten im Auto werden die Fahrzeuge komplexer, Fehler schwieriger identifizierbar und reparierbar, bis zum Punkt, an dem eine Wiederinstandstellung ökonomisch nicht mehr zu rechtfertigen ist. Reparaturen werden dadurch noch zusätzlich erschwert, indem Elektronik-Komponenten sogar im Lager altern und funktionsunfähig werden können. Ein Ersatz kann also zur Verschlimmerung des Problems führen.
Erste Elektronik-Komponenten wurden bereits in den Sechzigerjahren verbaut, seither nimmt ihre Präsenz im Automobil zu. Niemand würde aber davon ausgehen, dass ein VW 411 E nicht repariert werden kann. In den Siebziger- und Achtzigerjahren fand immer mehr Rechenleistung ihren Weg in die Automobile, bald wurden die verschiedenen Prozessoren auch im Wagen verknüpft/vernetzt. Bus-Systeme sorgten für standardisierte Verbindungen. Sensoren begannen die Steuerung zu beeinflussen.
Versagt eine Komponente am einen Ende des Fahrzeugs, können sich Effekte komplett woanders zeigen. Es kann sogar sein, dass kleine Fehler den ganzen Wagen immobilisieren.
Heute spricht man (fast schon) vom Automobil als fahrenden Computer. Die Rechenleistung, die in einem modernen Personenwagen vorhanden ist, hätte vor Jahrzehnten noch ganze Turnhallen gefüllt.
Die Systeme sind so komplex geworden, dass bei der Fehlersuche schnell das Werk eingeschaltet werden muss. Dies alles ist möglich, solange das Knowhow und die Diagnosesysteme noch vorhanden sind, aber was, wenn diese fehlen?
Bereits in den Neunzigerjahren benötigten Autos fahrzeugspezifische Diagnosegeräte, die genauso der Alterung unterworfen sind wie die Autos selber. Was tun, wenn diese nicht mehr funktionieren?
Sind alle diese Schwierigkeiten überwindbar? Wird man in 30 Jahren einen VW Golf GTE mit Hybridantrieb noch reparieren können? Und falls nicht, wann war dieser “Tipping Point” und ist er von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp verschieden und an unterschiedlichen Punkten auf der Zeitachse anzutreffen? Können die heutigen Youngtimer, die in den Neunzigerjahren gebaut wurden, noch in Ruhe altern?
Wir haben die Antworten auch nicht, es würde uns aber sehr interessieren, wie Sie darüber denken? Und dazu ist ja unsere Kommentar-Sektion am Ende des Artikels ein guter Startpunkt!