Ist die Zeit der Gentlemen vorbei auf der Strasse?
03.04.2014
Mit einem Handzeichen dem Einbiegenden den Vortritt lassen, den Fussgänger freundlich über den Zebrastreifen winken, den Rechtsfahrenden unbehindert auf die Überholspur der Autobahn wechseln lassen, all dies waren vor Jahrzehnten noch ganz normale Manöver für den Gentleman auf vier Rädern. Werbekampagnen für Verkehrssicherheit motivierten zum freundlichen Handzeichen, es galt als edel, anderen die freie Fahrt zu geben oder zu lassen.
Wer heute unterwegs ist, spürt davon immer weniger. Dies liegt allerdings nicht an den Autofahrern alleine, sondern auch an der Verkehrsdichte und an der Technik sowie an den gesetzlichen Rahmenbedingungen und deren Durchsetzung. Wenn immer mehr Fahrzeuge auf immer gleich viel Strassen rollen wollen, wird es eng. Ein “Nachgeben” im Verkehr führt automatisch zu Zeitverzögerungen, die sich nicht mehr aufholen lassen.
Die Autos werden immer mehr durch die Elektronik und nicht durch den Fahrer gesteuert. Auf konstant 125 km/h wird der Tempomat in der 120 km/h-Zone eingestellt, da bleibt wenig Freiraum für ein freundliches Einspurenlassen. Im Gegenteil, Überholmanöver ziehen sich teilweise unendlich in die Länge, weil der Fahrer links knapp drei km/h schneller fährt als der rechts und dies dank Elektronik konstant, und blockieren die links Spur der Schnellstrasse.
Ein zuvorkommendes Beschleunigen auf der Überholspur, damit der Wagen rechts die Spur wechseln kann, liegt auch nicht mehr drin, denn bei der heutigen Radar-Anlagen-Dichte wird dem Gentlemen mit Blitzlicht der Schneid abgekauft, die Freundlichkeit kann schnell ins Geld gehen.
Das freiwillige Anhalten am Fussgängerstreifen mit freundlichem Herüberwinken des wartenden Wanderers ist (in der Schweiz zumindest) auch passé, denn mit dem im Gesetz verbrieften Vortrittsrecht der Fussgänger warten diese gar nicht mehr am Strassenrand, sondern laufen einfach drauflos, egal, ob sie das einzige Automobil weit und breit fast zur Vollbremsung zwingen oder ob sie ihren Beitrag zum gleichmässig rollenden und ökonomischen Verkehr mit ein wenig Warten leisten könnten.
Es gibt also viele Gründe für das Verschwinden des Gentleman im Strassenverkehr, immerhin verboten ist das freundliche Handzeichen und das zuvorkommende Bremsmanöver nicht, und als täglicher Verkehrsteilnehmer freut man sich, wenn es doch noch Leute gibt, die beim Fahren mitdenken und mithelfen, den Verkehrsfluss am Laufen zu halten ...