Risikofaktor Bequemlichkeit
Über die Jahrzehnte wurden Automobile immer einfacher in der Nutzung und komfortabler. Manchmal waren die Weiterentwicklungsschritte evolutionär, manchmal revolutionär. Der elektrische Anlasser, der automatische Choke, Intervallscheibenwischer, das automatische Getriebe, der Tempomat, elektronisch gesteuerte Klimaanlagen, Navigationssysteme, auf Knopfdruck oder durch Annäherung öffnende Türschlösser oder selber einschaltende und ausschaltende Beleuchtungseinheiten gehören neben vielen anderen zu den Errungenschaften, die das Automobil über die Zeit immer komfortabler machten.
Das Elektroauto der Neuzeit legt in dieser Hinsicht noch einen Zacken zu. Es lässt sich per Fernsteuerung vorklimatisieren, heizt vom Start weg, benötigt keine Warmlaufphase, lässt sich mit einem Pedal (fast) vollständig fahren und bietet dazu noch einen stupenden Geräuschkomfort. Die Vorzüge aus Sicht Komfort lassen sich sofort erkennen. Als Kritik werden dafür oft die Seelenlosigkeit, die fehlende mechanische Haptik oder auch eine gewisse Langweiligkeit vorgebracht.
Die Frage, die sich hier stellt, ist allerdings, ob uns das Elektroauto zu noch bequemeren und komfortbedürftigeren Menschen macht. Im Vergleich zum modernen Elektrofahrzeug verlangt ein 50 oder 70 Jahre älterer Klassiker nach sehr viel mehr Voraussicht, Erfahrung und einer gewissen Leidensfähigkeit. Vor dem Start will der Öl- und gegebenenfalls der Kühlwasserstand geprüft sein, dann muss der Motor mit Gefühl und Choke zum Laufen gebracht werden und am Leben erhalten werden. Auf den ersten Kilometern wird es oftmals nicht mit eifriger Gasannahme überzeugen und sowieso sollte man ihn auf den ersten Kilometern schonen, um der Schmierung bei kaltem Öl das Leben nicht zusätzlich zu erschweren. Auch das Getriebe kann sich auf den ersten Kilometern störrisch zeigen und mit Heizen ist sowieso nicht viel los, sollten die Aussentemperaturen kühl sein. Ist dann noch das Dach offen oder der Innenraum mit Zugluft durchlüftet, hilft nur noch warme Kleidung. Eben Voraussicht.
Natürlich entschädigt der Klassiker dafür durch seinen Charakter, die unnachahmliche Geräuschkulisse und das Gefühl, Teil eines mechanischen Wunderwerks zu sein. So etwas wird man im Elektroauto nie erleben. Aber manchmal will man halt nur ein paar Brötchen holen oder eine nahe wohnende Tante besuchen. Und da stellt sich die Frage, ob wir immer bequemer werdenden Menschen dann nicht immer häufiger das moderne, einfache und superkomfortable Neuzeitmobil dem Klassiker vorziehen werden.
Das Phänomen ist übrigens nicht nur dem Elektroauto geschuldet. Auch der Youngtimer in der Sammlung macht es manchem Vorkriegsklassiker schwer, auf grössere Kilometerleistungen pro Jahr zu kommen. Nur allzuoft wird halt das modernere Auto, das im Zweifelsfall auch einen Stau ohne Überhitzung übersteht und im Hochsommer dank Klimaanlage willkommene Kühlluft auf die Insassen fächelt, dem älteren Wagen vorgezogen.
Ja, es ist so, manchmal muss man als Klassikerbesitzer den eigenen Bequemlichkeitsdrang überwinden und sich fast zwingen, auf das weniger komfortable ältere Auto zurückzugreifen. Aber es lohnt sich, denn der Fahrgenuss unserer Klassiker ist eben doch ein ganz anderer als das, was Tesla, Taycan, Ioniq 5 oder Fiat 500e bieten können. Und nur so bleiben unsere alten Autos auf der Strasse, werden gesehen und hoffentlich als Kulturgut wahrgenommen.
Was meinen Sie dazu? Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht oder sehen Sie das alles komplett anders? Kommentieren Sie, teilen Sie sich mit. Es konnte zu einer interessanten Diskussion führen …






















