Es war Auto-Fan Neil Young der in den 70ern musikalisch verkündete: „Rust Never Sleeps“. Diese Erkenntnis könnte – in leicht abgewandelter Form als „Rust Sometimes Sleeps“ (manchmal schläft der Rost) – das Firmenmotto der bei uns weithin unbekannten Reliant Motor Company gewesen ein, die ihre Produkte ausschließlich mit Karosserien aus glasfaserverstärktem, rostfreiem Kunststoff (kurz „GFK“, englisch „GRP“) auslieferte.
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Unbekannt? Naja, wer hat nicht über Mr. Bean gelacht, der mit seinem Mini den dreirädrigen Konkurrenten um einen begehrten Parkplatz mehrfach weggeschoben und dabei oft auch umgeworfen hat?! Diese grundpragmatischen, heute bei Sammlern begehrten Dreiräder machten Reliant in den '70ern zum – nach Kritisch Elend – immerhin zweitgrößten Autoproduzenten der Insel! Wenn man diese Trabbi-ähnlichen Gefährte – Enthusiasten mögen mir verzeihen – denn zu den Autos zählen mag …
Kaum jemand weiss, dass Reliant – in der Blüte seiner wirtschaftlichen Geschichte – auch richtig tolle und schnelle Autos gebaut hat. Und die hatten 33 % mehr Räder (nämlich 4) und sechsmal so viele Zylinder (nämlich 6), von Hubraum (2800 bzw. 3000 ccm) und Leistung (ab 138 BHP – da geht einiges nach oben) mal ganz zu schweigen.
Entwickelt im Unterauftrag von dem renommierten Studio Ogle Design und dem genialen Tüftler und Designer Tom Karen (unlängst leider verstorben), entstand Ende der '60er der Reliant Scimitar GTE, der wohl erste in nennenswerter Stückzahl gebaute "Shooting Brake", womit dieses bis heute populäre und vielfach kopierte Konzept wohl seine Großserien-Geburtsstunde hatte. Okay, okay ... Schwedenfans fangen hier gern das Diskutieren an und verweisen auf ein in der Märchenabteilung eines schwedischen Herstellers entwickeltes Fahrzeug von ähnlichem Konzept; aber das ging eben deutlich später in Produktion. Und es ist zwar von großem, barocken Anmut (Snowwhite‘s Coffin), aber es ist langsamer und irgendwie fehlt ihm diese fast schon italienisch anmutende Leichtigkeit des "Scimi". Wer mehr wissen will, dem sei die aktuelle Ausgabe der Auto-Bild Klassik empfohlen, wo beide Fahrzeuge verglichen werden.
Die Eckdaten sind schnell beschrieben: Eine schnittige, wohlproportionierte Form, ein Kombiheck mit Glasklappe (in das, nebenbei bemerkt, ein nichtklappbares 28er Fahrrad passt – das versuche man mal mit einem Passat!), ein Rahmen aus Stahlprofilen mit aufgesetzter Plastikhülle, vorn Einzelradaufhängung mit Scheiben, hinten Trampelachse mit Trommeln, zwei Sitze vorn, zwei weitere, umklappbare für kleinere Leute (am besten Kinder) hinten, ein weit nach hinten gerückter Dreiliter-Ford-Essex-V6 mit Vierganggetriebe und optionalem, elektrischem Overdrive, 138 PS und 1200 kg Lebendgewicht. Technik aus dem Großserienregal und recht problemlos verfügbar, von den GFK-Teilen mal abgesehen. Das würde wohl sogar Lincoln-Freak und Hubraum-Junkie Neil Young gefallen, wenn er denn davon wüsste.
Das alles fügte sich irgendwie gut zusammen und fand dann auch umgehend das Interesse des Königshauses in persona HRH Princess Anne, die dem Vernehmen nach mehrere Scimis hatte, noch hat – und sogar fährt! Auch der schräghumorige Queengemahl Phillip (RIP) fand offenbar Gefallen am Krummsäbel (der Scimitar ist eine orientalische Hieb- und Stichwaffe) fahren, wie bis heute etliche Fotos im Netz belegen. Mein persönlicher Scimitar-Held war (leider auch schon RIP) Keith Emerson – einer der genialsten Musiker und Synthi-Pioniere des 20. Jahrhunderts – der auch so ein Auto fuhr.
Was die Gnade der Royal Family findet, ist auf der Insel ein Selbstläufer, seien es nun karierte Socken oder bittere Orangenmarmelade. Auch das "MGB-, Midget-, TR- oder Spitty-Fahrer-gründet-Familie-braucht-Platz-für-Kind-und-Hund-will-keinen-spiessigen-Saloon-fahren"-Konzept passte in die Zeit, und so kam Reliant mit dem in den einschlägigen Gazetten als "Mile-Eater" und "Load-Swallower" beworbenen Scimitar SE zu guten Verkaufszahlen und beachtlichem wirtschaftlichen Erfolg.
Soviel zur frühen Geschichte. Aber was ist aus den bummelig 15'000 gebauten Autos – überwiegend Rechtslenker, wenige Umbauten – nun bloss geworden? Auf der Insel sind die guten Exemplare bereits fast ganz abgegriffen. Hin und wieder findet man noch einen schönen Scimi von Privat ("must be seen", "probably one of the best") oder vom Händler, für den dann auch gern mal Pfunde im unteren fünfstelligen Bereich aufgerufen, aber wohl kaum bezahlt werden. Der Rest fällt in die Kategorie "Barnfind" und es vergeht kaum eine Woche, in der meine automatische ebay.uk-Suche keine neue Halbleiche hervor bringt … oft ohne Motor/Getriebe, manchmal zum Hot Rod zerschnippelt und jenseits jeglicher, vernünftiger (??) Erwägung.
Nur die Karosserie ist meist noch recht gut erhalten – "Rust Sometimes Sleeps" – wenn man vom Scimitar-typischen Crack-and-Blister-Desease mal absieht. Die Jungs*innen in Tamworth waren ja GFK-Pioniere*innen und haben damals munter in die Formen gejaucht, was an Harzchemie gerade so verfügbar war … dementsprechend unterschiedlich und fast immer schlecht ist die Qualität der Oberflächen, die nur in den ersten Jahren ihres Lebens toll aussahen und dann unter dem Wechsel von erbarmungsloser Sonne, Nieselregen und Meersalz auf ihre ganz eigene Art zu "rosten" anfingen. Besonders dunkle Exemplare sind – mit Oberflächentemperaturen im Spiegelei-Bratbereich – meistens grottenschlecht. Und neulackierte Scimis werden schnell wieder zum "ten feet car", wenn der Lackierer auch keinen Schimmer von GFK hatte. Empfohlen seien hier Bootswerften; die kennen sich aus mit dem Zeugs.
In Deutschland und Holland – wo mit Geert van Hout ein renommierter Teile-Händler und berufener Experte ansässig ist – gibt es jeweils eine kleine Szene, deren Präsenz im letzten Jahrzehnt allerdings stark rückläufig war. Das einst gut frequentierte Internetforum ist ziemlich vereinsamt, und zu den "Treffen" kamen mal drei Autos, mal vier und auch mal nur eins. Was dann wohl irgendwie kein Treffen ist. So um die 100 Exemplare dürften es aber nach vorsichtigen Schätzungen wohl noch sein in D und NL, davon aber bestimmt nur die Hälfte angemeldet.
An einem Wochenende im Juli hatte nun der "Scimitarian" erster Stunde Friedrich Fäsing – ein für die Oldie-Szene typischer, umtriebiger Tüftler voller Energie und Ideen – zu einem Treffen nach Bernkastel-Kues geladen. Das liegt recht zentral in der Republik, und so gab es an die 20 Zusagen, von denen 15 dann auch tatsächlich gekommen sind. Friedrich, das hast Du wirklich gut hinbekommen – Chapeau! Mehr Scimis auf einem Haufen hat man hier in Deutschland lange nicht mehr – wenn nicht niemals – gesehen.
Da passte einfach alles: das Wetter ohne Regen mit moderater Sonne, das wirklich toll bestückte und professionell geführte Oldie-Museum "Zylinderhaus" mit Schwerpunkt deutsche Autos im Wirtschaftswunder als passende Location, der eigens freigehaltene Parkplatz vor dem Museumsportal, die Führung mit dem netten und sachkundigen Museumsdirektor (der auch einen Scimitar fährt – deutsche Autos hin oder her!), die gemeinsame Ausfahrt mit quietschenden Reifen und heissen Aggregaten um wunderschöne, moselige Serpentinen, der abendliche Tech-Talk im Museumsrestaurant und die insgesamt grandiose Stimmung!
Erwähnt sei hier, dass die Scimitars – wie inzwischen viele Artgenossen – fast ausschließlich im Besitz älterer Herren sind, diese aber durchweg jugendlichen Geistes und vor allem mit überaus charmanten und toleranten Ehefrauen ausgestattet sind. Sicher ist das nicht zuletzt dem genialen Konzept der Fahrzeuge geschuldet, die auch für heutige Verhältnisse alltagstauglich und komfortabel sind. Da wird auch die teilweise ob eingesparter Vorschalldämpfer und nachgerüsteter Fächerkrümmer kernige Akustik duldsam hingenommen; ein bisschen Spaß muss ja sein für den Mann. Und wenn der Essex die Passagiere dann V6-grollend mit der ganzen Kraft seiner drei Liter Hubraum aus dem Drehzahlkeller den Berg hochreisst, gibt es nur noch lachende Gesichter. Aber dabei bitte immer schön auf die Wassertemperatur schauen; wenn der elektrische Lüfter ausfällt, ist schnell Exitus!
Auch über die Zukunft dieses bemerkenswerten Autos und ähnlicher Old- und Youngtimer wurde in froher Runde viel diskutiert und spekuliert. Fragen über Fragen: Vergreist die Szene? Wie werden sich die Preise entwickeln? Gibt es noch Leute, die sich so wunderbar selbst belügen können ("ist doch alles nicht teuer...") und mal locker salamimässig 10 oder 20'000,– € plus in ein Auto stecken, das dann am Besitzer klebt und für das es mit viel Glück irgendwann vielleicht ein paar Tausend Euro gibt? Gibt es denn keinen Nachwuchs? Haben unsere Kinder alle diese "wir schaffen uns nichts an"-Mentalität, die uns professionellen Verzettlern so fremd ist?
Ich habe aus diesem tollen Wochenende jedenfalls mitgenommen, dass ich – mit nunmehr 65 Lenzen – meinen Scimitar dringend wieder zusammenbauen und damit zum nächsten Treffen fahren will bzw. muß. Sonst findet man ihn irgendwann in einem der Oldtimer-Journale in der Rubrik "Scheunenfund" …
Naja, mit meiner Frau muss ich wohl vorher noch reden. Aber – s. o. – dies sollte doch kein Problem sein?!?
"f not now, then when?" (Tracy Chapman)