Kleiner, aber oho - der Bentley von Hedley Studios
Der Wind tost durchs Cockpit, die Lenkung zittert, die Vorderräder laufen Strassenunebenheiten nach. Der Blick schweift über die Motorhaube mit den handwerklich geformten Luftauslässen und die freistehenden Kotflügel. Die Geschwindigkeit beträgt vielleicht 60 km/h und doch fühlt sich das alles viel schneller an. Fast wie im originalen Bentley 4 1/2 Litre Blower der späten Zwanzigerjahre, der einst die 24 Stunden von Le Mans dominierte. Einen der damaligen Rennwagen konnte ich allerdings noch nie fahren, aber so komplett anders kann sich das nicht angefühlt haben.
Allerdings ist unser “Bentley” etwas kleiner, 15 % kleiner um genau zu sein. Das Lenkrad ist in der Mitte montiert, der Beifahrer sitzt hinter dem Piloten, Tandemsitze wie in einem Messerschmitt Kabinenroller. Und, dies ist vermutlich der entscheidende Unterschied zum Original, fungiert als Antrieb ein Elektromotor und kein aufgeladener 4,5-Liter-Vierzylinder. Wer jetzt schon zur Tastatur greift, um einen geharnischten Kommentar zu schreiben, der sei daran erinnert, dass Ettore Bugatti selbst eine kleine Version seines Grand-Prix-Bugattis baute und ihn damals ebenfalls mit Elektromotor ausrüstete. Jener Bugatti Baby war allerdings für Kinder gedacht, im Massstab 1:2 gehalten und musste mit relativ wenig Vortrieb und einem 12-Volt-Akku auskommen.
Der Bentley Blower Jnr (für Junior), wie ihn die Hedley Studios bauen, hat Batterien mit 10,8 kWh Kapazität für eine Reichweite von gegen 100 km an Bord und läuft mit dem 15 kW (20 PS starken) Antriebsmotor über 70 km/h schnell. Vor allem aber, findet man als normalgrosser Mitteleuropäer problemlos auf einem gut stützenden Sitz hinter dem Lenkrad Platz und dahinter findet ein weiterer Passagier Platz, der ebenfalls nicht kleinwüchsig sein muss.
Um den 85%-Bentley zu fahren, wir hatten dank Schmohl Exclusive Cars , dem Schweizer Importeur für den strassenzugelassenen (!) Bentley Blower Jnr., das Vergnügen mit dem zweiten von sieben Prototypen, stellt keine grossen Ansprüche. Es reicht, den Schlüssel dabei zu haben, den Starterknopf zu drücken und dann durch Verschieben eines kleinen Drehschalters den Vorwärtsgang zu wählen. Nun noch die mechanische Handbremse rechts aussen an der Karosserie lösen und los geht's. Man kann zwischen drei Fahrmodi (Comfort/Bentley/Sport) auswählen und damit die Maximalleistung des Motors aber auch die Reichweite beeinflussen.
Elektroautotypisch legt der kleine Bentley dynamisch los, Drehmoment von unten halt. Ab 50 km/h tut er sich dann schon etwas schwerer, spätestens jetzt würde der grosse Bruder, der immerhin rund das Dreifache wog, davonziehen, schliesslich produzierte der 4,5-Liter-Motor dank Rootskompressor bis 243 PS. Voraussetzung für ein gutes Vorkommen im historischen Auto waren allerdings ein zielführender Umgang mit dem unsynchronisierten Vierganggetriebe und der Pedalerie mit vertauschten Gas- und Bremspedalen. Zudem musste der Ölhaushalt von Motor und Kompressor immer im Auge gehalten werden, wenn die Fahrt nicht verfrüht zu Ende sein sollte.
Solche Probleme hat man im “Junior” nicht. Schalten muss man überhaupt nicht und das Gaspedal ist wie gewohnt ganz rechts. Es entscheidet auch über Rekuperation, aber allzu viel Energie lässt sich im Elektro-Bentley nicht zurückgewinnen, zumal das Bremspedal nur auf die hydraulisch angesteuerten Scheiben- und Trommelbremsen (vorne/hinten) wirkt.
Vom Antrieb ist wenig zu hören, das meiste würde sowieso im Tosen des Windes untergehen. Bis 30 km/h ca. erzeugt der Prototyp ein futuristisches Rauschen, die 99 Serienfahrzeuge der “First Edition” – Nummer 1 konnte von Schmohl Exclusive Cars in der Schweiz verkauft werden – werden dann ein an den Le-Mans-Bentley erinnerndes Motorengeräusch ertönen lassen.
Keine Abkürzungen
Jetzt mag man die Nase rümpfen ob der modernen Nachahmung der Le-Mans-Legende. Aber erstens hat Bentley selber mit seinen “Continuations”, allerdings im Massstab 1:1 und mit Verbrennungsmotor, bereits nostalgiebehaftete Kopien erstellt und zweitens kann man den Enthusiasmus und die Passion der Leute von Hedley Studios beim Bau des “Juniors” nur bewundern.
Wir konnten uns mit John, dem Verantwortlichen für den zweiten Prototyp und auch der Erbauer des Fahrzeugs, unterhalten, und wir konnten seinen Stolz über das Ergebnis regelrecht fühlen. Natürlich fehlt der Verbrennungsmotor und zur Unterbringung der Batterien sowie zur Sicherstellung der Strassenzulassung sind Kompromisse nötig, aber wo immer es möglich ist, wird dem Original Tribut gezollt. So verfügt der kleine Wagen über Starrachsen, Blattfedern und Reibungsstossdämpfer wie das Original.
Auch die Lenkung wurde dem Teamcar Nummer 2 nachempfunden. Und die aussenliegende Handbremse ist wie beim Le-Mans-Bentley durch Löcher erleichtert.
Das Armaturenbrett imitiert den grossen 4,5-Liter ebenfalls, Instrumente wurden für den Anwendungszweck modifiziert. Natürlich fehlt der Tropfenzähler für die Ölzufuhr des Kompressors und auch die Handbedienung für die Benzinzufuhr ist nicht nötig, aber insgesamt wurden die Anzeigen des Originals liebevoll nachgebaut. Aus dem Hebel zur Einstellung von Vor- und Nachzündung resultierte der Vorwärts-/Rückwärts-Schalter.
Künstlerhandwerk
Die Serienexemplare werden, wie bereits die Prototypen, komplett von Hand gebaut. Dabei sind wahre Künstler am Werk. Kotflügel und Motorhauben bestehen aus Aluminiumblech, das von Handwerkern über Holzböcke in die richtige Form getrieben wird. Wie beim Original damals. Auch der Kühler wird von Hand gebaut. Die Sitze sind mit besonders widerstandsfähigem Leder bezogen, wie es auch bei den Continuation-Blowers von Bentley eingesetzt wurde. Die Startnummern werden sorgfältig von Hand aufgemalt. Ebenfalls wie in den Zwanzigerjahren.
Zusammengebaut werden die Serien-Junioren (ab Ende 2024, anfangs 2025) von Kleinstteams. Dies dauert dann nicht Stunden, sondern Tage und Wochen.
Das Ergebnis ist zumindest so sehr ein Kunstwerk wie ein Automobil. Die anderen miniaturisierten Autos (z.B. Bugatti, Ferrari) von Hedley Studios (früherer Name “The Little Car Company”, in Entwicklung ist dort auch der auf 1:1 vergrösserte Tamiya Wild One ) sind oft in Bürogebäuden und Privathaushalten als Skulptur ausgestellt. Dafür ist der Bentley mit 3,72 Meter Länge und 1,48 Meter Breite allerdings fast ein wenig gross.
Kaum Vergleichbares
Natürlich ist der Bentley Blower Junior kein Oldtimer, auch kein Klassiker, auch wenn er so aussieht. Er erinnert eher an Nostalgiefahrzeuge wie jene von Excalibur (Mercedes-Benz SSK und Bugatti 35) oder an die Wiederauferstehung des Messerschmitts (KR 202 E und Co.) und der Isetta (Microlino). Man könnte sogar den Fiat 500e zum Vergleich heranziehen, schliesslich zitiert dessen Form ja auch den Fiat Nuova 500 der Sechzigerjahre.
Im Gegensatz zum Bentley Blower Junior, dessen Bau die Firma Bentley offiziell unterstützt, sind die anderen Nostalgiefahrzeuge aber hauptsächlich optische Kopien oder Design-Weiterentwicklungen, während die Technik und die Funktionalität den modernen Ansprüchen genügen muss. Hedley Studios sind dem Original von damals viel stärker verpflichtet, haben zum Beispiel das originale Kompressorgehäuse massstabsgerecht heruntergerechnet und darin den Anschluss zum Aufladen der Batterien untergebracht.
Auch der Tank am Heck ist vorhanden, dient aber primär als Stauraum für Ladekabel und Kleinkram. Die Motorhaube kann nach Lösen der Ledergurten wie beim Original geöffnet werden und beherbergt darunter in der Serienversion ebenfalls einen Stauraum.
Manches, wie die L7e-Strassenzulassung, erinnern an den Microlino oder auch den Renault Twizy. Der Nutzwert dürfte denn auch ähnlich sein, sprich typische Pendler- oder Ausflugsfahrten in der näheren Umgebung. Allerdings verlangt das Bentley-Blower-Jnr-Fahren nach deutlich mehr Nehmerqualitäten, denn es gibt kein Dach, keine Heizung und die Mini-Brookland-Scheibe hält den Wind nur beschränkt vom Zerstören der Frisur ab. Dafür hat der kleine Bentley aber auch viel mehr Charme und Stil. Wem dies eine sechsstellige CHF- oder Euro-Summe wert ist, der kann noch versuchen, eines der 99 First-Edition-Exemplare zu ergattern.
Die Fahrt im verkleinerten Le-Mans-Auto jedenfalls bereitet viel Freude, macht aber auch richtig Lust, einmal den grossen Bruder von damals erproben zu dürfen. Doch offensichtlich kommen nur wenige Leute in den Genuss, bei Teamcar Nummer 2, heute mit über 20 Millionen Pfund bewertet, ins Lenkrad zu greifen. Aber man darf ja noch träumen …
P.S. Wer mehr und grössere Bilder anschauen möchte, für den wurde eigens eine Bildersammlung zum Bentley Blower Junior eingerichtet.




























