Replica? Das tönt nach Plastik wo Blech sein müsste, nach missratenen Proportionen, nach VW-Motor im Heck statt Reihenachtzylinder vorne unter der Haube. Mit Replicas verbindet man, besonders als Klassik-Liebhaber, den Gang durch das Tal des Grauens, hinein in die automobilen Abgründe, die man sich, ausser man ist Masochist, kaum antun möchte.
Doch das ist im Falle des Frazer Nash TT Replica der völlig falsche Ansatz! Denn erstens wurde diese Replica fast zeitgleich zum Vorbild gebaut, und zweitens wäre die Bezeichnung «Production Racer» wohl treffender gewesen. Der Frazer Nash TT Replica ist nichts anderes als eine Kleinserie, gebaut nach jenem Vorbild, das in der 1931er Tourist Trophy mitgefahren ist. Damals hiess das Auto noch Frazer Nash Boulogne II und schlug sich wacker. Im Jahr darauf war daraus ein eigenes Modell geworden, eben der Frazer-Nash TT Replica.
Konfektionär mit eigenständigem Charakter
Archibald Goodman Frazer-Nash hatte seine Karriere im «Automobilbau» begonnen, indem er mit seinem College-Kollegen Ron Godfrey 1910 eine Firma zum Bau von Cyclecars gegründet hatte. Der Einfachheit halber nannten sie die Firma GN – für Godfrey und Nash. Diese Fahrzeugkategorie war ein Zwischending auf halbem Weg vom Motorrad zum Auto. Einfach gebaut und leichtgewichtig, schafften es manche dieser Konstruktionen, ernsthaft gegen «richtige» Autos bei Rennen zu bestehen, allerdings zu einem Bruchteil der Kosten.
Als Antrieb entwickelte Frazer-Nash mangels Budget und entsprechendem Maschinenpark ein Kettengetriebe, das sich leicht und schnell schalten liess und dessen Gänge sich jederzeit ohne Komplikation einlegen liessen. Die Gänge konnten fast ohne Unterbruch gewechselt werden und das Anpassen der Übersetzungen war äusserst einfach. Je nach Anzahl der Gänge, drei oder vier, lief die entsprechende Anzahl Ketten auf verschieden grossen Kettenblättern zwischen der starren Antriebsachse und einer Zwischenwelle. Für Kraftschluss sorgten zwei Schaltklauen, je eine zwischen dem 1. und 2. sowie dem 3. und 4. Gang.
Das System war nicht nur günstig in der Produktion, sondern auch sehr einfach in der Bedienung, die Bewegung des Schalthebels erfolgte linear. Das funktionierte zumindest solange, wie jeweils nur eine Klaue im Eingriff stand. Ein klitzekleiner Nachteil war, dass die Hinterachse ohne Differenzial auskommen musste. Aus diesem Grund war die Spurbreite der Hinterachse wesentlich schmaler als jene vorne. Doch das fehlende Differenzial hatte auch Vorteile, so bringt immer eines der beiden Hinterräder die Kraft irgendwie auf die Strasse.
Nachdem sich Archie Frazer von Godfrey getrennt hatte (Ron Godfrey sollte sich darauf an der Entwicklung des HRG beteiligen) und GN aufgelöst, gründete er 1923 seine eigene Firma, übernahm die Bestände von GN und nannte sein neues Unternehmen gemäss seinem Doppelnamen Frazer Nash. Damit setzte er im Prinzip die Entwicklung, die er bei GN begonnen hatte, einfach unter anderem Namen fort. Leider galt dies auch für seinen Geschäftssinn – oder besser: Dem Fehlen desselben.
Eher ein genialer Tüftler denn ein erfolgreicher Geschäftsmann, musste sich Archie nur fünf Jahre später von Harold Joseph Aldington, der im Autohandel tätig war, unter die Arme greifen lassen. Gemeinsam gründeten sie AFN – Aldington Frazer Nash.
«Aldy» übernahm 1929, zusammen mit seinen beiden Brüdern, Frazer Nash ganz und beförderte Archie zum technischen Direktor – um nicht zu sagen: «degradierte». Für eine dezidierte Klientel, Aldington hatte selbst dazugehört, wurden die Frazer Nash mit ihrem charakteristischen Kettengetriebe, wenn auch stets in kleiner Zahl und mit zugelieferten Motoren, nach individuellen Vorgaben gebaut. Der eingeschworene Haufen dieser Fahrer nannte sich «The Chain-Gang» und hielt die Fahne für die verschrobenen Automobile hoch.
Aldington hatte eigentlich mit AFN zu einem vollwertigen Hersteller aufsteigen wollen. Beispiele dazu gab es Ende der 1920er Jahre in England genug – von MG bis S.S. Cars.
Der Motor des hauseigenen Entwicklers Albert Gough war eine brilllante Konstruktionen von hoher Komplexität – aber auch fürchterlich kapriziös, so dass Aldington letztlich wieder die Finger davon liess. Wie hatte einst Morgan-Gründer Henry Frederik Stanley Morgan, frei transkribiert, gesagt? «Wer sich erfolgreich ruinieren will, konstruiert seinen eigenen Motor!»
Aldington richtete seinen Blick zunehmend nach Deutschland, wo seit einigen Jahren BMW – nach der Übernahme der Dixi-Werke in Eisenach und der Weiterentwicklung des Austin-Lizenzprodukts – mit kompakten, aber leistungsfähigen Sechszylindermotoren sein Interesse, besonders für den BMW 315 und 319, geweckt hatte. Ein BMW 315 Roadster hatte «Aldy» bei der 1934er Austragung der 6. Internationalen Alpenfahrt in seinem Ketten-AFN in der Klasse bis 1.5-Liter geschlagen. AFN wurde 1935 Importeur für BMW in UK. Dennoch blieben seine «Chain-Drive»-Sportwagen eigener Prägung weiterhin lieferbar.
Tourist Trophy 1931
Doch blenden wir nochmals einige Jahre zurück: Zwar reichte es HJ Aldington mit seinem Frazer Nash Boulogne II nicht zu einer Klassierung an der im Nordirischen Belfast ausgetragenen Tourist Trophy von 1931. Doch die kleinen, leichten und sehr wendigen Sportwagen sorgten mit ihrem spektakulären Fahrstil für Aufsehen. Die gute Traktion der Antriebsräder war nicht nur dem fehlenden Differenzial geschuldet, der weit zurückversetzt eingebaute 1500er Meadows-Motor mit vier Zylindern brachte eine nahezu ausgewogene Gewichtsverteilung. Mit knapp einer Umdrehung des Lenkrads von Anschlag zu Anschlag darf man das Auto auch aus heutiger Sicht als nervös bezeichnen.
Ihre Kunden kannte AFN persönlich – bei der Grösse der Fabrik, die 1929 von Kingston upon Thames in Surrey nach Isleworth in Middlesex umgezogen war, nach zu schliessen, war dies wohl ein Leichtes. Und diese Kunden verlangten nun nach denselben Spezifikationen wie die jenes Frazer Nash Boulogne II, der an der TT teilgenommen hatte. Aus diesem Grund mag das Modell in der Folge als TT Replica bezeichnet worden sein. Frazer Nash waren eine ernstzunehmende Grösse im Motorsport vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Wagen mit Kettengetriebe waren sogar dermassen beliebt, dass sie – wie bereits erwähnt – neben den Frazer Nash BMW, in allen Belangen wesentlich modernere Automobile, weiterhin auf Wunsch gebaut wurden, dies trotz eines erhabenen Preises von 600 £. Der Frazer Nash 34, der britische, 34 PS-starke BMW 315 mit Rechtslenkung, wurde in UK für nur 295 £ angeboten. Ja selbst ein SS Jaguar 100 von S.S. Cars Ltd. kostete nur 395 £ als 2.5-Liter mit 102 PS und 445 £ für die 125-PS 3.5-Liter-Variante.
Ein «Chain-Gang» Frazer Nash, der bereits weit in die BMW-Ära von AFN hineinreichte – sogar schon in jene Zeit als auch der in England mit Ehrfurcht und viel Bewunderung bedachte 328 lieferbar wurde – ist unser TT Replica von 1937, der anlässlich des Zoute Grand Prix am 10. Oktober von Broad Arrow in Belgien versteigert wird.
Ein Charakter von einem Auto
Ein Frazer Nash war nie mainstream oder gar ein Auto für jedermann, schon damals nicht. Die Technik war zwar überschaubar, aber es brauchte etwas Gespür und Verständnis dafür, im schlimmsten Fall riss eine Kette, etwa dann, wenn zwei Gänge gleichzeitig eingelegt wurden. Zudem ist das Fahrverhalten trickreich und reicht von sturem Untersteuern bis zum heftigen Übersteuern, Kunststück, wenn die beiden Hinterräder eine starre Verbindung miteinander eingehen. Wer aber damit klar kam liebte das Auto. Das mag mit ein Grund sein, dass selbst nach 1945 noch zwei-drei Ketten-Frazer-Nash hergestellt wurden.
Der nun angebotene Wagen trägt bis heute seine originale Karosserie und ist ebenfalls mit einem Meadows-Motor ausgerüstet. Dies, nachdem ursprünglich einer dieser extra für Aldingtons Firma konstruierten Motoren von AFN-Mitarbeiter Albert Gough in Chassis Nummer 2169 eingebaut war.
Dieser DOHC 3-Ventiler war aber offenbar zu kapriziös. Der technisch hochstehende, doch unzuverlässige Gough-Motor sollte unter anderem auch zu einem Sargnagel für Altalanta werden, jener Automarke, die Albert Gough nach seinem Weggang von Frazer Nash 1934 gegründet hatte. Etwa 20 Atalanta sollen gebaut worden sein bevor die Firma am Ende war, doch dies ist eine andere Geschichte.
Frazer Nash hingegen sollte noch eine lange, fruchtbare Existenz bevorstehen, dicht bepackt mit weiteren Episoden und bemerkenswerten Automobilen. Dazu zählt Aldingtons Deal mit BMW zur Erlangung der Konstruktionsrechte für den 328er-Motor oder die Einfuhr des 1940er BMW 328 Mille Miglia Roadsters, den er gemäss eigenen Angaben per Flugzeug kurz nach dem Waffenstillstand hatte einfliegen lassen. Die Begründung dazu scheint interessant: Er habe als Ersatz für einen BMW 328 gedient, den AFN im Mai 1939 nach einem Defekt beim Hamburger Stadtparkrennen zur Reparatur in Deutschland zurückgelassen habe. Der Mille Miglia Roadster, den AFN darauf an den Clubracer Gilbert «Gillie» Tyrer verkauft hatte, beeinflusste auch William Lyons bei der Formgebung des Jaguar XK 120 massgeblich. Frazer Nash aber baute mit der Unterstützung des ehemaligen BMW-Konstrukteurs Fritz Fiedler eine eigene Interpretation des Themas. Und mit dem Flugzeugbauer Bristol folgte eine Zusammenarbeit, die in die Lizenznahme von Bristol für den BMW-328-Motor und das Chassis des BMW 326 und in eine (kurzzeitige) Mehrheitsbeteiligung an AFN mündete.
H.J. Aldington war während des Krieges Inspektor für die Produktion von Flugzeugen, man kannte sich bestens. Allerdings endete die Minne bereits 1947, als AFN von Bristol wieder an die Aldington-Familie zurückverkauft wurde. Frazer Nash aber blieb Konstrukteur weiterer BMW-basierten Kleinserie-Sportwagen. Auch ein Sieg bei der Targa Florio 1951 und ein weiterer bei den 12 Stunden von Sebring 1952 gehen auf das Konto von Frazer Nash. Die Zahl produzierter Autos blieb aber bis zum Ende 1957 stets äusserst überschaubar, bei rund 80 Automobilen.
Doch AFN verdiente ab 1954 nicht zuletzt sein Geld als Importeur für Porsche im Vereinigten Königreich – 1956 gar als exklusiver Partner der Zuffenhausener. Erst 1987 zog sich die Familie Aldington aus diesem Unternehmen zurück und verkaufte ihre Anteile an Porsche.
Fahrgestellnummer 2169
Der im März 1932 vorgestellte Frazer Nash TT Replica war, wie beschrieben, eine Nachbildung des Fahrzeugs, das 1931 bei der RAC Tourist Trophy an den Start ging. Bis 1938 wurden etwa 85 TT Replicas hergestellt, und wie bei allen Frazer Nash mit Kettenantrieb gab es verschiedene Motor-/Karosserieoptionen. Am beliebtesten war zweifellos der Vierzylinder-Meadows-Motor, nachdem auch ein Blackburne Sechszylinder oder besagter Gough-Motor lieferbar waren. Die Zweisitzer-Karosserien stammten von Compton in Elkington oder aus der eigenen Werkstatt von Frazer Nash. In den Händen von werksnahen Rennfahrern wie Fane und Aldington sowie einer loyalen Truppe erfolgreicher Privatrennfahrer erwiesen sich die TT-Replicas in ihrer Klasse oft als ernstzunehmende, zum Teil gar unschlagbare Gegner.
Daran hat sich wenig geändert. Der Frazer Nash Car Club ist bestens organisiert und die Autos haben ihre Vorteile gegenüber zeitgenössischer Konkurrenz behalten können. Im historischen Motorsport bewähren sich die «TT Reps» bis heute. Das Gesamtpaket aus einem auch optisch ansprechenden Auto mit der entsprechenden Leistung ist zudem reizvoll. Aus diesem Grund ist ein originales Auto im plausiblen Zustand und mit nachvollziehbarer Historie eine begehrte Seltenheit und fast alle Fahrzeuge werden innerhalb des eingeschworenen Zirkels der «Chain-Gang» weitergegeben.
Der TT Replica mit der Fahrgestellnummer 2169 wurde laut dem bekannten Motorjournalisten und legendären Beifahrer von Stirling Moss an der 1955er Mille Miglia, Dennis Jenkinson, in dessen Buch «From Chain Drive to Turbo Charger» im August 1937 an einen J.L. Shiers aus Cheshire geliefert. Laut Frazer Nash-Register wurde Chassis 2169 ursprünglich mit dem Gough-Motor 7/125, einer Standard-TT-Karosserie, 12-Zoll-Bremsen, einer kastanienbraunen Lackierung und dem Kennzeichen GML 178 ausgeliefert. Darüber hinaus ist die Vorgeschichte des Fahrzeugs nicht bekannt, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass der Wagen, wie die meisten anderen TT Replicas auch, vom Besitzer für kleinere Rennen eingesetzt wurde. Cheshire hatte damals eine sehr aktive Club-Rennszene. Das Register erwähnt auch, dass der Frazer Nash schliesslich nach dem Krieg die Meadows-Maschine erhalten hat. Motorentausch und -aufrüstung waren bei Frazer Nash damals sehr häufig und werden heute kaum als Makel wahrgenommen.
Historischer Auftritt 1947
Bekanntester Besitzers von «GML 178», zumindest bei bei Sammlern und Mitgliedern der «Chain-Gang», war G. A. Ruddock. Ruddock war Garagist und Rennfahrer und ausserdem Beifahrer des siegreichen Frazer Nash an der Targa Florio. Mit Ruddock als Pilot, hat der Wagen, als einer von elf Frazer Nash, 1947 am geschichtsträchtigen «Mutton Grand Prix» teilgenommen.
Obwohl dieser «Grand Prix» ausserhalb des Frazer Nash Car Club kaum bekannt ist, hat er durch einen Zufall eine gewisse Bedeutung in der Geschichte des britischen Motorsports erlangt. Im Jahr 1947 organisierten Mitglieder des Clubs ein spontanes Rennen rund um einen stillgelegten Flugplatz für Wellington-Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg in Northamptonshire. Das Flugfeld hiess – Silverstone! Während des Rennens kollidierte Maurice Geoghegan unglücklicherweise mit einem streunenden Schaf, das von einem benachbarten Bauernhof auf die Rennstrecke gelaufen war. Leider segneten sowohl das Schaf als auch das Auto das Zeitliche, das Rennen blieb aber als «Mutton Grand Prix» in Erinnerung. Es war das erste Rennen, das jemals an dem Ort stattfand, an dem heute der Grosse Preis von Grossbritannien ausgetragen wird.
Das Auto ging in der Folge durch eine bekannte Reihe von Besitzern, bis Peter Mimpriss es 1996 erwarb. 2169 war acht Jahre lang Teil dessen hervorragender Sammlung. In dieser Zeit wurde das Auto umfassend restauriert und alle Arbeiten dokumentiert. Im Jahr 2004 wurde der Frazer Nash über Fiskens an Sir Clive Martin verkauft. Auch dieser liess umfangreiche Arbeiten ausführen, so eine Neupolsterung und eine neue Motorhaube und Verdeckabdeckung.
GML 178 ist ein hervorragendes Beispiel eines originalen Frazer Nash TT Replica. Er ist für die Teilnahme an den Goodwood Members Meetings, dem Silverstone Classic und einer Vielzahl von Rennen des Vintage Sports Car Club sowie dem Alpine Trial, dem Flying Scotsman und anderen Langstrecken-Rallyes in Europa und den USA zugelassen. Natürlich wäre es auch eine willkommene Ergänzung zu den berühmten «Raids» und sogar Eisrennen, die vom Frazer Nash Car Club organisiert werden.





































































































































































































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