Einmal die ganze Runde zu sich selbst bitte!
Manchmal sind es kleine Dinge, die einem gross und wichtig erscheinen. So wie neulich, als ich es endlich geschafft hatte, mit meiner Tochter eine Mofa-Rundfahrt zu machen. Das Ziel war, den ersten Führerschein meines Nachwuchses gebührend zu feiern. Zugegeben ist jener für das Mofa – zumindest in der Schweiz – nun wirklich noch keine riesengrosse Angelegenheit, eine theoretische Prüfung genügt. Aber es ist ein Anfang. Und, wenn man zu sich als Vater ehrlich ist, auch ein wenig ein Verlust, denn es bedeutet auch, dass man wieder ein Stück entbehrlicher geworden ist. Das ist einerseits schön aber auch ein kleines Stück ein Grund, sentimental zu werden.
Papas Solexen, der gelbe Pöstler rechts (ex Telegrammdienst Genf 1962) blieb zu Hause, denn die Tochter hat ihr eigenes Gefährt
Dazu allerdings hatten wir wahrlich keinen Grund, denn unsere «Möfis» – VeloSolex, da fühlen wir uns einer gar nicht existierenden Familientradition verpflichtet, siehe diesen Blog oder diesen – starteten tatsächlich trotz fast einjähriger Vernachlässigung. Gut, wir hatten das am Vorabend getestet, doch ich rechnete fest damit, dass sich unsere Motocyclettes mit verklebten Benzinpumpen für ihren Nichtgebrauch gerächt hätten. Aber nein, Zweitaktöl hat sich offenbar auch weiterentwickelt, alles bestens nach 12 Monaten Standzeit. Zwar bedurfte es einiger Kurbelumdrehungen mehr, bis die 49 Kubik-Christenverfolger ansprangen (so wurden die Solex bei uns in der Innerschweiz genannt, vermutlich weil sie dank tiefem Durchstieg ideal für vorkonziliäre Pfarrer waren, die noch wallende Gewänder trugen). Aber wie fast immer half anschliessender, reger Gebrauch, die Mechanik wieder etwas «einzufeilen». Gemäss meiner eigenen Erfahrung sollte ein energisches Anschieben von zwei Metern Distanz bereits genügen, bis das Motörchen zu surren beginnt.
Der Bulli als Renntransporter - oder so
Wir packten unsere zwei Feuerstühle in den Bulli und machten uns dahin auf den Weg, wo der Tell den Gessler erschossen hat, zu hohlen Gasse bei Küssnacht am Rigi. Hier gibt es einen Parkplatz mit 24h Parkmöglichkeit. Das war zugegebenermassen etwas übertrieben, aber der Ort liegt strategisch ideal, wenn man «die Königin der Berge» umrunden will. Die Strecke von hier im Uhrzeigersinn führt einem zunächt an die Nordseite des Berges. Die Strecke fällt von Immensee etwas ab ans Ufer des Zugersees. Die war in unserem Fall ideal um erstmal in den Rhythmus zu kommen. Wie erwartet, zog das «Töffli» meiner Tochter vehement los, oder so vehement wie man dies von brachialen 0.8 PS erwarten darf. Mit ihrem Modell 3800 ist sie in der Tat ein klein wenig besser motorisiert als ich mit meinem alten Suisse-Paris-Suisse-Hobel, einem 1964er Modell 3300 mit dem alten 2200er-Motor und nur 0.6 PS. Zudem schien irgend etwas nicht ganz in Ordnung, das Ding wirkte zugeknöpft. Beim Aufstieg in Goldau über den Schuttkegel des Bergsturzes von 1806, hinauf zur Bernerhöhe, machte das Ding tatsächlich ganz schlapp. Vor dem Busdepot der örtlichen Verkehrsbetriebe – im Gedanken sah ich mich bereits dort nach dem Fahrplan fragen – demontierte ich die Benzinpumpe. Ich fluchte kräftig, blies sie ordentlich durch – keine Solex-Experience, so schien es einmal mehr, ohne eine Benzin-Note im Mund – und montierte sie wieder mit dem Bordwerkzeug. Dieses erwies sich, nach 32 Jahren tatsächlich zum ersten Mal ernsthaft eingesetzt, als bestens geeignet für diesen Zweck. Ich werde nie mehr versuchen, mit einem normalen Achter-Schlüssel die Benzinleitungen von der Pumpe abzufummeln.
Das Leistungsgewicht war nicht auf meiner Seite – zwar noch ein VeloSolex-Frischling, doch die Tochter hat den alten Herrn schon hinter sich gelassen
Und ja, Wunder gibt es, meine Maschine schaffte es danach tatsächlich sogar leichte Steigungen mit meinen bescheidenen 100 Kilo Lebendgewicht an Bord zu erklimmen. Meine Tochter hat nicht nur Leistungs-, sondern auch (massive) Gewichtsvorteile. So ging es bald flott voran und erinnerte mich daran, dass 12 Grad bei bedecktem Himmel für die exponierten Hände selbst bei bescheidenen 25 bis 30 Km/h ziemlich kalt sein können. Gut ist, dass man beim Solex-Motor einfach etwas die Hand am Luftfilterdeckel, der direkt vor einem liegt, aufwärmen kann. Dem Zugersee folgt der Lauerzersee, der Veloweg (Fahrradroute) führt hier direkt am Seeufer entlang, eine perfekte Raserstrecke für VeloSolex-Fahrerinnen und Fahrer wie wir beide.
Schnellfahren heisst, man lässt los, nämlich den rechten Bremshebel, dem negativ-Gas. Denn es wird nur beim Bremsen gedrosselt bei der Solex, normal ist Vollgas
Entlang der Muota suchten wir einen Schleichweg nach Brunnen, wo das Flüsschen in den Vierwaldstättersee mündet, das dritte Gewässer auf unserer Reise. Was einem auf einem knatternden Töffli auffällt, ist der Umstand, dass man zwar gemeinsam, aber doch eher schweigend unterwegs ist, denn das Knattern verhindert doch ein vernünftiges Gespräch. Auf unserem Hintenrum-Kiesweg hätten wir getrost auch nebeneinander fahren können, da war weit und breit niemand. Die Solex surrten und surrten ohne einen Hickser.
«Fahret in Frieden» hiess es einst beim deutschen Solex-Importeur in einer Werbekampagne – passt perfekt!
Wir fuhren weiter über Brunnen Richtung Gersau, nun auf der Südflanke der Rigi – und dies ist unmittelbar zu sehen. Denn hier wird die Vegetation plötzlich mediterran, der See und die Sonnenlage sorgen für ein ungewöhnlich mildes Klima. Mir aber war immer noch kalt – Mittelmeer? Pustekuchen! Dafür gab es herrliche Nebel-Herbststimmung entlang der Felsen bis nach Gersau. Leider musste ich dort erfahren, dass der Lauf der Dinge auch in dieser einstigen freien Republik nicht aufzuhalten ist. Aus dem früher mit typischen Lokalspezialitäten aufwartenden Seerestaurant Schwert ist mittlerweile ein Chinarestaurant geworden. Statt herbstlichem Wild gab es gebratene Nudeln mit Rindfleich. Nun denn, Details! Die Hobel hatten nach dem Essen noch schwerer zu schleppen, doch den Rest der Runde sollten sie klaglos meistern. In Weggis reichte uns deshalb die Zeit, um statt die Umfahrung zu wählen, mitten durch das Dorf umd am See entlang zu fahren. Bei Mark Twains Ecke entstand so ein Heldenfoto (Titelbild). Denn so ein Vater-Tochter-Moment, der sollte ja schon festgehalten werden.
Zwei wilde Reiter mit ihren «Feuerstühlen»
Tja, und dann sahen wir zurück in Küssnacht wieder unseren VW 567 Elfenbein-farbenen T1 am Strassenrand stehen. Die Premiere ist also geglückt. Die Töffli haben gehalten, genauso wie die Laune der Tochter. Sie war ganz begeistert und die Idee zu einer längeren Tour mit Übernachtungen dazwischen ist gereift. Es ist toll, wenn sich der hauseigene Teenager noch immer solches zusammen mit dem «Alten» vorstellen kann. Doch da bin ich auch ehrlich zu mir selbst, sollte dereinst jemand anders mit auf VeloSolex-Tour mitgehen wollen, dann werde ich mit Genugtuung zurückstehen. Denn, dies steht bereits jetzt fest, der Funke der Begeisterung für Altes mit Motor ist übergesprungen.
Laune gut, Kind begeistert – Papa zufrieden, die Premiere hat geklappt!
Wie, die Klassik-Szene kämpft mit Nachwuchsproblemen? Es muss ja nicht gleich die Vergaserrevision sein oder das Berganfahren mit dem Vorkriegsauto, was sie lernen sollen, die Jungen. Manchmal genügt es erstmal, mit dem eigenen Nachwuchs mit weniger als einem PS unter dem Hintern eine kleine Reise zu tun, ein Stück weit zu sich selbst zu finden und gemeinsam neue Kapitel aufzuschlagen. Und was ich auch noch festgestellt habe: Auf einem tiefentspannten Gefährt wie einer VeloSolex lässt es sich wunderbar nachdenken! Und das tut richtig gut.