Dies ist kein Test!
«This is not a test, this is Rock'n'Roll», so schrie einst Robin Williams als US-Army-Radiomoderator Adrian Cronauer im Film «Good Morning Vietnam» in sein Mikrofon. Ob das, was seit jüngst von Jaguar zu vernehmen ist, nur ein Test sei oder auch eine ganze Menge Rock'n' Roll, also Schütteln und Rollen im Sinne eines neuen Lebenszeichens, das fragte man sich, seit auf der offiziellen Website von Jaguar ein gänzlich unbekanntes Logo aufgetaucht ist – begleitet von einem ziemlich schrägen Filmchen im Stil wie es die Welt zur Eröffnung der Olympischen Spiele hat geniessen dürfen. In der Stadt an der Seine hat damit die Grande Nation ihre Weltoffenheit, ihre Pionierleistung als erste richtige Revolutionäre der Weltgeschichte und ihre stets ambivalente Haltung zur hohen Kunst und den grossen Themen der Welt zum Ausdruck bringen wollen.
Doch was genau will uns Jaguar zum Ausdruck bringen? Ja richtig, die Marke will sich verändern, hin zu einer Luxusmarke, und nur noch elektrische Autos bauen. Doch was genau ist denn das Problem von Jaguar in seiner heutigen Form, dass solch ein radikaler Wandel überhaupt nötig ist?
Fest steht, dass am vergangenen Dienstagabend, dem 19. November 2024, auf Jaguars Instagram-Kanal mit 17 Millionen Followern – und nachgerade einem einzigen Post – denselben nur gerade knapp 6000 Betrachter mit einem Like bedacht haben. Dagegen hagelte es unglaubliche, fast durchwegs negative 2500 Kommentare. Dies ist zumindest die Zahl jener Posts, die von den Administratoren wegen allzu kerniger Wortwahl nicht gleich weggelöscht worden sind. An Aufmerksamkeit fehlte es demnach nicht für die britische Traditionsmarke.
Jaguar will sich neu erfinden, dies hat der Hersteller, der seit 2008 in der Hand des Indischen Mischkonzerns Tata liegt, schon vor längerer Zeit zum Ausdruck gebracht. Ratan Tata, der Besitzer des Traditionsunternehmens – mit Wurzeln als Handelshaus im 19. Jahrhundert – und der ursprünglich nur hatte Land-Rover von Ford kaufen wollen und sich erst über die Bedeutung und Geschichte von Jaguar bewusst wurde als der Brand sich bereits als «Beifang» in seinem Portfolio befand, schrieb darauf einst in einem Brief an einen Freund: «I love the brand!» Ein Feuerwerk an neuen Modellen entbrannte und manches davon räumte mit alten Vorurteilen auf.
Die Wahl zum «European Car of the Year 2019» für den Jaguar i-Pace bedeutete den – bisherigen (?) – Höhepunkt von Jaguar im Besitz Tatas. Es gilt dies im Gesamtkontext zu betrachten, selbst wenn man E-Autos womöglich wenig abgewinnen kann. Erstmals in der Geschichte der Marke hatte ein Modell die Spitze dieses Podiums erklommen und die gesamte europäische Konkurrenz ausgestochen, der i-Pace war das erste europäischen E-Auto seiner Klasse. Bereits 2017 aber hatte sich Ratan Tata definitiv aus der Geschäftsführung zurückgezogen, am 9. Oktober 2024 ist er 86-jährig gestorben.
Seit rund zwei Jahren sind aus der PR-Abteilung des Herstellers in Coventry kaum mehr andere Statements an die Öffentlichkeit gedrungen, als welches Modell zu welchem Zeitpunkt aus der Produktion genommen werde. Oder wie vielen Händlern man den Vertrag zu kündigen gedenke. Im Vereinigten Königreich betraf dies rund 60 Vertreter aus einem Netz von 80 grossen Jaguar-Niederlassungen. Aber wenn es nichts mehr gibt, was sich verkaufen lässt, dann braucht es auch keine Händler. Am 15. August 2024 liess Jaguar sogar verlautbaren, dass es 2025 wohl überhaupt keine neuen Autos bei den verbliebenen Händlern zu kaufen gebe. Erst 2026 sei wieder mit neuen Wagen zu rechnen, dann wohl alle konform zum neuen Markenauftritt
Zur Abschiedsfahrt des Jaguar F-Type – die letzten Exemplare des letzten Sportwagens mit Verbrennungsmotor laufen aktuell gerade vom Band – meinte der Global Head of Public Relations von Jaguar, Ken McConomy, es stünden «exciting new cars» in der Pipeline. McConomy war einst Chef von Jaguar Classic. Gesehen hat die Welt bis vor kurzem davon noch nichts. Wohl mit Kalkül platziert, drang aber in der vergangenen Woche ein Bild eines Erlkönigs an die Öffentlichkeit. Dem Anschein nach zu urteilen, wird als erstes eine sehr geduckte, selbst im Tarnanzug sehr vielversprechende Limousine die grosse neue Epoche eröffnen. Jaguar nennt es einen Four-Door-GT. Das ist bewundernswert mutig in einer Zeit, die sich immer mehr von der klassischen Limousine abwendet. Warum der schon lange wartenden Fangemeinde bisher noch nie ein Vorgeschmack darauf gegeben wurde bleibt indes schleierhaft.
Tritt die Marke heute noch irgendwo auf, so geschieht das buchstäblich im Schlepptau von Land-Rover. Ein Beispiel: Am Goodwood Festival of Speed dieses Jahres war der Marke im JLR-Zelt, so wie sich das Mutterhaus nun nennt – Jaguar Land Rover – nur gerade ein einziges Auto mit dem «Leaper», der springenden Katze, zu finden, ein Jaguar i-Pace. Immerhin gab es dann draussen doch noch einige neuen Jaguar Sportwagen oder SUV zu sehen. Glorios war der Auftritt nicht, für Geschichte(n) sorgt Jaguar nur noch mit Nachbauten alter Modelle, wie jüngst zwei E-Typen für reiche, südostasiatische Kunden. Das Feuer lodert zwar dank solchen Intermezzi noch immer ab und zu auf. Klar ist aber: Bei Jaguar in altbekannter Art hat man seit längerem begonnen, die Zelte zusammen zu packen. Ganze 67'000 Autos konnten 2023 weltweit noch abgesetzt werden.
Ganz dunkel ist es aber noch nicht, die Welt steht nun also vor einem Jaguar-Rebranding, das seit einer Ewigkeit zumindest den Namen Jaguar wieder einmal in aller Munde gebracht hat – ob als Lachnummer oder als Geniestreich ist dabei noch völlig offen. Immerhin, der Leaper soll weiterleben. Ob dies auch für den Growler, den fauchenden Jaguarkopf gilt, scheint fraglich. Gewiss ist aber, dass der neue Auftritt eine Ohrfeige für alle darstellt, die mit der Marke die klassische, britische Automobilbaukunst in Verbindung bringen. Der Kurzfilm, wie er auch auf der Jaguar.com Website zu finden ist, hätte bis vor kurzem selbst bei einem avantgardistischen französischen Hersteller wie Citroën oder deren Premiumdivision DS Automobiles für reichlich Staunen gesorgt.
Aber vielleicht braucht es einfach etwas Hoffnung, Zuversicht und noch etwas mehr Insiderwissen. Vielleicht will Jaguar, dass man die Marke neu versteht und sich etwas Zeit nimmt für sie. Vielleicht werden die neuen Autos viel-viel besser als die kaum überzeugende Repositionierung der Marke Jaguar und diese neuen Jaguar-Autos werden diese Aufruhr schnell vergessen machen.
Sollte aber auch dies in der Art gelingen wie der neue Markenauftritt, dann gibt es immerhin noch die Erinnerungen und automobilen Zeitzeugen an die Epochen, wo Jaguar-Gründer William Lyons (im Bild 1961 in Genf zur Premiere des E-Type) mit immer neuen Geniestreichen zu verblüffen wusste, als Jaguar die Rennstrecken beherrschte und die Entwicklungsabteilung mit der Erfindung der Scheibenbremse die Automobilwelt revolutionierte.
Es bleiben die Erinnerung und die Geschichten zur einprägsamsten Neuwagenvorstellung die der Autosalon in Genf je gesehen hat, der E-Type von 1961 oder daran, wie man an der Browns Lane, dem längst abgerissenen Stammhaus der Marke in Coventry, mit einem V12-Motor gegen den Strom im Umfeld der Ölkrise von 1973 geschwommen ist. Weder der Zweite Weltkrieg noch die Unfähigkeit des Managements von British-Leyland vermochten die Marke in die Knie zu zwingen.
Droht ihr nun aber das Aus – im schlimmsten Fall gar als Lachnummer? Oder sind wir gerade dabei, wie ein weiteres Stück Automobilgeschichte geschrieben wird? Wir wissen es nicht, darum gilt es noch eine Weile abzuwarten!





















