Eigentlich war der Lancia Stratos HF Turbo anfänglich gar nicht geplant. Der normale Lancia Stratos HF mit quergestelltem Dino-2,4-Liter-V6-Motor wurde ausschliesslich für den Rallye-Sport gebaut, und zwar um die Dominanz von Porsche 911 und Renault Alpine A110 zu brechen. Damit hatte Lancia dann auch Erfolg und gewann die Rallyeweltmeisterschaften 1974, 1975 und 1976. Weitere Siege wurden noch in der Rallye Monte Carlo 1977 und 1979 verbucht.
Daraufhin kam dann aber das Ende dieser Erfolgsära, da die Fiat Gruppe den Fiat 131 als Rallye-Auto dem Stratos bevorzugte.
Nicht alle Leute bei Lancia wollten den Stratos einfach so aufgeben. Dem Marketing und der Geschäftsleitung von Lancia wurde eine Idee präsentiert, welche zum Ziel hatte, auch abseits der Schotterpisten, also bei Rundstreckenrennen auf Asphalt, Siege einzuholen. Im Idealfall könnte Lancia so in zwei hart umkämpften Disziplinen mit Siegen brillieren. Lancia begrüsste den Vorschlag und gab grünes Licht für ein Gruppe-5-Projekt.
Wie der Weg mit Turbo in die Gruppe 5 begann
Unter der Gesamtleitung des ehemaligen englischen Ferrari-Ingenieurs und Formel-1-Piloten Mike Parkes hat man am 14. Dezember 1975 die Realisierung einer Gruppe-5-Version des Stratos in die Hand genommen. Parkes entwickelte zuvor auch einige 128er Filipinetti-Fiat und kam erst nach dem Tod Filipinettis zu Lancia. Die Technik des normalen Lancia Stratos wurde zu grossen Stücken von ihm entwickelt sowie auch die Technik der Turbo-Version. Diese basierte grundsätzlich auf dem V6-Motor des normalen Stratos. Mit Vergasern und aber noch fehlender Ladelüftkühlung brachte es diese Variante auf gute 360 PS.
Der Wolf im Schafspelz hatte Erfolg
Sobald der Turbo-Motor fertiggestellt war, galt es, möglichst schnell Erkenntnisse zu gewinnen. So ersetzte man in manchen normalen Stratos-Fahrzeugen den Motor mit dem Turbo. Von aussen wirkten die Fahrzeuge wie die bekannten Rallye-Boliden, im Herzen arbeitete aber der Turbolader. Dies macht es aus heutiger Sicht umso schwieriger, Bilder von Stratos-Autos zu finden, die mit einem Turbomotor bestückt waren.
Mit diesem Gruppe-4-aussehenden Turbo-Stratos erreichte man den Höhepunkt mit dem Sieg beim Giro d’Italia Automobilistico 1974, eine 1600km lange Strassen-Rallye rund um Turin, die den Charakter einer Targa Florio hatte.
Feinschliff aus der Frisierwerkstatt Carlo Facetti
Bald ergänzte Carlo Facetti das Team rund um Mike Parkes. Facetti sass oft auch selbst hinter dem Steuer, war aber vor allem als Motoren-Frisierer bekannt. Der Motor wurde so zusammen mit der Tuningschmiede Facetti in Mailand weiterentwickelt und verbessert.
Während der ursprüngliche Stratos-Motor ein Vierventiler war, kamen bei der Turbo-Variante nur noch zwei Ventile pro Zylinder mit Kugelfischer-Einspritzung zum Einsatz. Zudem verpasste Facetti dem Motor einen KKK-Turbolader (wie bei Porsche). Das Fahrzeug brachte 940 kg auf die Waage (Homologationsgewicht 915 kg), so dass das Leistungsgewicht mit 480 PS bei 8500 U/min auf 1,96 kg/PS zu liegen kam.
Neu beim verbesserten Turbo-Motor war auch die Ladeluftkühlung mit dem über dem Triebwerk angebrachten grossen Kühlelement. Während die Porsche-Motoren damals mit einem Ladedruck von 1,4 bis 1,6 atü arbeiteten, war der Lader des Lancia (wie beim Alpine Renault V6) auf nur 0,8 atü eingestellt, was 480 PS brachte.
Laut Ingenieur Parkes hätte man den Ladedruck zwar auf 1,4 oder 1,5 atü steigern können, was 580 PS bedeutete, doch man begnügte sich im Sinne vermehrter Betriebssicherheit mit 0,8 atü.
Langheck-Vollendung von Bertone erst ab 1976
Die Gruppe-5-Ausführung des Mittelmotorcoupes hätte anlässlich des 6-Stunden-Rennens von Mugello am 21. März 1976 debütieren sollen.
Doch fing der Wagen am Donnerstag während des Trainings bei voller Fahrt Feuer, wobei vitale Teile des Lancia schwer beschädigt wurden, so dass er nicht mehr rechtzeitig für das Rennen repariert werden konnte.
Äusserlich besticht der Super-Stratos durch die von Bertone im Windkanal weitgehend modifizierte Karosserie mit breiterer Front und flachem Spoiler, massiven Kunststoff-«Trittbrettern» und einer breiteren Heckverschalung, die vor allem wegen den sehr breiten Pirelli P7-Reifen erforderlich war. Zudem wurde noch ein Heckflügel aufgebaut. Aus Platzmangel ragten die seitlich angebrachten Tanks sogar bis in die Türschwellen.
Nach dem Pech in Mugello sollte der Gruppe-5-Stratos am 4. April 1976 anlässlich des 6-Stunden-Rennens von Vallelunga debütieren. Die Piloten Vittorio Brambilla und Carlo Facetti gaben ihr bestes, schieden aber aufgrund Getriebeschaden frühzeitig aus.
Von den gerade mal neun geplanten Stratos Turbo wurden lediglich zwei fertiggestellt.
Erster Sieg dank verschlafener Konkurrenz? Giro d’Italia 1976
Grösster und erster Erfolg des neu geformten Gruppe 5 Stratos wurde am 20. Oktober 1976 verbucht. Zwei Jahre nach dem ersten Gesamtsieg im Jahr 1974, damals noch im Gruppe-4-Look, konnten Facetti/Sodano erneut Gold beim viertägigen Giro d’Italia holen. Gestartet wurde mit den noch heute bekannten Nummern #598 and #599.
Den Stratos-Turbo-Männern hätte in Form von Tour-de-France-Sieger Jacques Henry auf Porsche Carrera womöglich ernsthafte Konkurrenz erwachsen können, dieser aspirierte auch auf den Doppelsieg Tour de France/Giro d'Italia, aber Jacques Henry verpasste den Start um 23 Minuten. Angeblich soll man es im Hotel vergessen haben, ihn aus den Federn zu locken...
Wer sich aber beim Start um mehr als 3 Minuten verspätet, wird ausgeschlossen, man machte auch für Henry keine Ausnahme. Es gab noch recht starke italienische Privatkonkurrenten, so Govoni auf De Tomaso Pantera, Ricci auf Lancia Stratos, Pittoni auf Porsche Turbo, Monticonc auf Porsche Carrera, Finotto und Ghislotti auf superstarken Gruppe-5-Escorts, Bernabei auf Carrera oder auch Dini auf dem Alfetta 2000 Coupe.
Jedoch hatte die Gruppe-5-Konkurrenz während dem Auftaktrennen des Giro d’Italia auf dem 2,46 km langen Rundkurs bei Casale keine Chance. Selbst die schnellsten Rennrunden gingen alle aufs Konto vom Stratos Turbo.
Mit Frauenpower in Le Mans
1976 und 1977 startete jeweils ein Lancia Stratos HF Turbo bei den 24 Stunden von Le Mans in der GT Klasse. Ein Zahnarzt aus Frankreich namens Bob Neyret, nebenberuflich auch als Rallyefahrer unterwegs, hatte 1971 die Idee, seine eigens produzierte Zahnpasta Aseptogyl mittels auffallendem Sponsoring im Rennsport zu vermarkten. So tauchten anfangs 70er Jahre in unterschiedlichen Rennen (Rallye und Rundstrecke) Fahrzeuge in komplett pinker Bemalung auf, die ausschliesslich von damals bekannten Rennfahrerinnen pilotiert wurden.
Für Le Mans 1976 konnte Bob Neyret denselben Wagen umlackieren, der später die Giro d’Italia gewann. Das Frauenteam erreichte den 20. Gesamtrang, 1977 führte ein Motorschaden zum frühzeitigen Abbruch.
Ohne Parkes kein Stratos Turbo mehr
Aufgrund des tödlichen Verkehrsunfall in Turin von Mike Parkes im Juni 1977 endete die Zusammenarbeit von Lancia und Facetti und das Stratos-Turbo-Projekt wurde beiseite gelegt. Lancia fokussierte sich von nun an auf den Lancia Beta Montecarlo Turbo, der mehr Potenzial für die Gruppe 5 versprach.
Lancia Stratos HF Turbo heute?
Der einzig verbleibende Stratos-Turbo Wagen wurde damals nach all seinen Einsätzen nach Japan transportiert wo er an der «Fuji Speedway Formula Silhouette» teilnehmen sollte, die Veranstaltung fand aber leider gar nicht statt. Danach war er für lange Zeit Teil der «Matsuda Collection», bevor er vom Londoner Stratos-Sammler Christian Hrabalek gekauft wurde.
Nach unseren Kenntnissen wurde der Wagen von Hrabalek (Nummernschild HRABI) im Jahr 2000 am «Stratos World Meeting» in Rosenburg, Österreich, gezeigt. Dann nochmals am Goodwood Festival of Speed 2005. Er war in 100% originalem Zustand und trug noch die Lackierung vom Giro d’Italia 1976 Einsatz.

Leider fehlen uns jegliche Angaben, an welchen Rennen man bisher einen Turbo-Stratos bei historischen Rennveranstaltungen sehen konnte. Wahrscheinlich sind es ”nur” die normalen Stratos, die man am Start sieht. Für Angaben zu Turbo-Einsätzen haben wir selbstverständlich ein offenes Ohr und freuen uns über irgendwelche Hinweise, die Sie uns per Kontaktformular zusenden können.
Drei Stratos Turbo Replika
Gemäss unseren Angaben wurden mindestens drei Replikas ausgehend von einem Strassen-Stratos gebaut. Bevor der Japaner Matsuda den Original-Stratos (für gemunkelte 300’000 £) an Hrabalek verkaufte, liess er noch eine Replika bauen.
Eine zweite Replika wurde von Georgio Schön gebaut, basierend auf einem Gruppe-4-Stratos (ex-Rino Fabri). Diese Replika habe anscheinend noch Teile vom Turbo-Wagen verbaut, welcher beim 6-Stunden-Rennen von Zeltweg 1976 komplett verbrannte und vor Ort entsorgt wurde. Privatmann Peter Kaus vom Rosso Bianco Museum kaufte diese Replika für seine öffentlich zugängliche Sammlung (Museum in Aschaffenburg, Deutschland). Als der geplante Museumsumzug nach Frankfurt im Jahr 2005 nicht zustande kam, mussten sämtliche Museumsobjekte verkauft werden. Viele Fahrzeuge wurden von einem niederländischen Geschäftsmann übernommen. Andere wurden anderswo verkauft. Wo diese zweite Replika nun steht, ist uns leider nicht bekannt.
Die dritte Replika soll es in England geben, basierend auf einem Stratos Kit-Car Chassis. Der Besitzer «Hennessy Racing» nennt den Wagen «Evolution 2».
Liste aller Renneinsätze des Lancia Stratos Turbo
Jahr | Ort | Lackierung | Kommentar |
---|---|---|---|
1974 | Giro d’Italia | Marlboro | Gesamtsieg mit Fahrern Jean-Claude Andruet (F) und Michèle “Biche” Espinos (F) |
1975 | Giro d’Italia | Alitalia | Platz 6, Sandro Munari (I)/Manucci |
1976 | 6h Mugello | Marlboro | nicht gestartet da ausgebrannt |
1976 | 6h Vallelunga | Marlboro | Getriebeschaden Carlo Facetti (I)/Vittorio Brambilla (I) |
1976 | 6h Silverstone | Marlboro | nicht gestartet |
1976 | 24h Le Mans | Esso-Aseptogyl | Platz 20 mit Frauenteam Aseptogyl und der bekannten Fahrerin Lella Lombardi (Co-Pilotin Christine Dacremont) |
1976 | 6h Zeltweg | Marlboro | nicht gestartet da erneut ausgebrannt |
1976 | Giro d’Italia | Marlboro | Gesamtsieg mit Fahrern Carlo Facetti (I) und Sodano |
1977 | 24h Le Mans | Esso-Aseptogyl | Motorschaden Fahrerinnen Christine Dacremont und Marianne Hoepfner |
1977 | Giro d’Italia | Alitalia | Motorschaden Sandro Munari (I)/Sodano |
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