Hätte es den Autobianchi A112 nicht gegeben, so würden sich heute wohl nicht mehr viele Leute an diese italienische Marke, die 1955 vom Fahrrad- und Motorrad-Fabrikanten Bianchi zusammen mit Fiat und Pirelli gegründet worden war, erinnern. Zwar wurden im Laufe von zwei Jahrzehnten einige innovative und attraktive Autos, darunter der Bianchina, der Stellina und der Primula, in Produktion genommen, aber diese stiessen hierzulande auf vergleichsweise wenig Interesse.
Mit dem A112 (oder A 112) war dies komplett anders. Er wurde auch in den deutschsprachigen Ländern geliebt. Und das über viele Jahre und bis heute.
Geschickte Plattformpolitik
Im Jahr 1967 ging Autobianchi komplett an Fiat, aber schon vorher hatte der Fiat-Konzern die kleine Autofirma oft dazu genutzt, neue Nischen zu besetzen oder zukunftsorientierte Fahrzeugkonzepte zu erproben. Der Autobianchi Primula brachte schon 1964 einen querliegenden Frontmotor mit Vorderradantrieb, der Fiat 128 erbte das Konzept ab 1969.
Als im September 1969 erste Fotos und technische Spezifikationen des frontangetriebenen Autobianchi A112 an die Presse gingen, zeigte sich ein intelligent gemachter Mix aus Fiat-Teilen und neuen Designideen.
Formlich orientierte sich der A112 am Mini und ein wenig am Honda N600, unter dem Blech fand sich Technik aus den Fiat-Modellen 850 (Motor) und 128 (Fahrwerk).
Ursprünglich leistete der 903 cm3 grosse Vierzylindermotor mit Gussblock und Leichtmetallzylinderkopf sowie einer seitlich angeordneten und über Kette angetriebenen Nockenwelle 44 PS bei 6000 Umdrehungen. Damit liessen sich 655 kg (Leergewicht) gut in Bewegung setzen. Der A112 war etwas grösser als der Mini, seine Länge betrug 323 cm, die Breite 148 cm und die Höhe 129 cm. So bot der Autobianchi Platz für vier Personen und 200 Liter Gepäck. Mussten nur zwei Leute befördert werden, konnte die Rücklehne umgeklappt und der Gepäckraum auf 700 Liter vergrössert werden.
An allen vier Ecken gab’s Einzelradaufhängungen, vorne nach dem McPherson-Prinzip, hinten mit Dreiecksquerlenkern und Blattfeder. Unüblich für die Klasse verfügte der A112 über Scheibenbremsen an den Vorderrädern. Das Getriebe wies vier Vorwärtsgänge auf.
Offiziell vorgestellt wurde der kleine Wagen dann auf dem Turiner Autosalon im Oktober 1969. Die Automobil Revue schrieb:
“In seinem Äusseren besticht das Wägelchen durch eine kompakte Linie mit den mit Gummi bewaffneten Stossstangen und dem sauberen Grill, im Inneren durch die gute Raumausnützung mit der ansprechenden Präsentation der grossen, sehr übersichtlichen Armaturen. Das handliche Stadtgefährt, in dem nicht allzu gross gewachsene Personen ausgezeichnet sitzen, ist vorbildlich ausgearbeitet und bietet m it den gross dimensionierten Scheiben einen guten Rundblick."
Kultiviertes Wiesel
Natürlich lechzten die Testredakteure danach, sich hinter das Lenkrad des Neuankömmling zu setzen und so erschienen ab 1970 viele Fahrberichte. Die Automobil Revue erwischte ein besonders munteres Exemplar, denn der Wagen übertraf die Werksangaben deutlich, beschleunigte in 15,1 Sekunden von 0 bis 100 km/h und erreicht 146,5 km/h Spitze. Das waren sehr gute Ergebnisse für den CHF 7195 teuren Supermini.
“Der Autobianchi A 112 eignet sich in hervorragender Weise für den Stadt- und den Kurzstreckenverkehr, lässt sich aber durchaus auch für längere Reisen einsetzen. Sein Fahrverhalten und seine Leistung stehen auf gehobenem Niveau, und seine Präsentation ist für diese Preisklasse ungewöhnlich schmuck. Sie beweist, dass der A 112 nicht auf einen minimalen Preis ausgerichtet wurde, er bietet dennoch einen optimalen Gegenwert.”
Ungewöhnlich sicher
Der A112 war also nicht billig, in Deutschland wurden anfangs 1971 DM 5783 dafür verlangt, doch er bot dafür neben seiner schmucken Gestaltung auch viel passive und aktive Sicherheit. So war ein Zweikreisbremssystem mit Bremskraftregler für die Hinterräder genauso serienmässig vorhanden wie eine dreiteilig ausgelegte Zahnstangenlenkung, in drei Richtungen wirkende Türschlösser, Gürtelreifen, geschützt untergebrachtem Tank mit seitlich angebrachten Benzineinfüllstutzen, Gurtbefestigungspunkte für alle Sitze, gepolsterte Interieurteile oder einem elastisch montiertem Aussenspiegel.
Auch “auto motor und sport” stellte dem Neuankömmling ein gutes Zeugnis aus:
“Schwierig ist es, dem Autobianchi schwerwiegende Mängel anzukreiden. Auch bei der zweiten Begegnung mit dem Wagen (ein erster Fahrbericht erschien bereits im vorigen Jahr) fiel auf der Mängelliste nicht viel mehr an, als kleine Klappereien der Hecktür, ein primitiver Scheibenwascher und die unexakte Schaltung. Zum Nachteil kann ihm ferner gereichen, daß er in Deutschland nicht durch Fiat, sondern über das relativ dünne Autobianchi-Netz vertrieben werden soll. Im übrigen ist der A 112 so etwas wie ein Schulbeispiel für modernen Kleinwagenbau. Da gerade die deutsche Autoindustrie sich auf diesem Sektor schon lange nicht mehr engagiert, darf eindeutig festgestellt werden: Warten lohnt.”
Das Thema der unexakten Schaltung zog sich durch alle Fahr- und Testberichte, der Vertrieb ausserhalb Italiens war an Citroën delegiert, erst später übernahm Fiat selber.
Abarth mit Leistungsplus
Bereits im September 1971 erhielt der erfolgreiche A112 zwei Geschwister, nämlich den A112E und den A112 Abarth. Während der “E” mehr Luxus bot, gab es dank Unterstützung von Carlo Abarth beim A112 Abarth 32 Prozent mehr Leistung und 19 Prozent mehr Drehmoment. Dafür war der Hubraum von 903 auf 982 cm3 angewachsen. Mittels eines Weber-Doppelvergasers, einer leicht heisseren Nockenwelle, Leichtmetallkolben und einer optimieren Auspuffanlage lagen nun 58 PS bei 6600 Umdrehungen an. Die Übersetzungsverhältnisse des Getriebes wurden an den Geschwindigkeitszuwachs angepasst, während das Fahrwerk weitgehend unverändert übernommen werden konnte.
Aussen war die Abarth-Version am Mattschwarz der Kühlerhaube und einem anders gestalteten Kühlergrill zu erkennen, innen freuten sich Sportfahrer an einem Dreispeichenlenkrad und einer deutlich umfangreicheren Instrumentierung.
Die Automobil Revue mass den Abarth im Oktober 1973 durch und erreichte 100 km/h aus dem Stand in 14,5 Sekunden und 152 km/h Spitze. Werner Schruf von “auto motor und sport” war etwas schneller mit seiner Version, 13,8 Sekunden reichten für den Standardsprint auf 100 km/h, die Spitze wurde mit 151,3 km/h gestoppt.
Der A112 Abarth war nicht billig, DM 8950 oder CHF 10’790 waren eine beträchtliche Summe, zumal da noch nicht einmal die Heckscheibenheizung inbegriffen war. Entsprechend rekrutierten sich die Käufer eher aus der Sportfahrerfraktion. Die Automobil Revue schrieb denn auch:
“Beim Kauf von Kleinwagen ist in der Regel der Preis entscheidend. Das gilt nicht für den Autobianchi A 112 Abarth, denn obwohl sein Preis deutlich in die nächsthöhere Kategorie hinaufreicht, finden sich stets Enthusiasten, die diesen Wagen buchstäblich «um jeden Preis» wollen. Sie schätzen das Vergnügen, wie früher die Fiat-Abarth- und Cooper-S-Besitzer oder wie heute Innocenti-Cooper-Eigner, mit einem wendigen, stadtfreundlichen Winz-Viersitzer in Schnelligkeit und Beschleunigung auch mit grösseren und teureren Wagen mithalten zu können. Dafür und für den berühmten Namen «Abarth» sind sie willens, nicht nur mehr zu bezahlen, sondern auch einige Unzulänglichkeiten in Ausrüstung und Finish in Kauf zu nehmen.”
In Deutschland griffen 11 Prozent der A112-Käufer zur schnellsten Version und ihnen wurde ab 1975 noch mehr geboten.
Noch mehr PS für den Abarth
“70 HP” deutete von aussen ab Herbst 1975 auf noch mehr Sportpotential hin. Um die 70 PS zu ermöglichen, war der Hubraum auf 1050 cm3 gewachsen und die Verdichtung auf 10,4:1 angehoben worden. Die Höchstleistung lag weiterhin bei 6600 Umdrehungen an. Dank nur 700 kg Leergewicht war ein echter Sportzwerg entstanden. 11,2 Sekunden reichten für den Spurt von 0 auf 100 km/h, die Spitzengeschwindigkeit stieg auf 160,7 km/h. Im obersten Gang beschleunigte der “70 HP” schneller von 40 bis 100 km/h als ein BMW 2002. Und er war dabei noch nicht einmal besonders durstig. 8,9 Liter Superbenzin reichten für 100 schnell gefahrene Kilometer, da war die schwächere Abarth-Version, die noch eine Zeitlang parallel weiter verkauft wurde, sogar noch weniger ökonomisch.
“Gemessen an den gebotenen Fahrleistungen – und sie allein dürften für eine Kaufentscheidung zugunsten des 70 PS-Minis ausschlag gebend sein – stellt die starke Abarth-Version mit einem Anschaffungspreis von 9130 Mark ein sehr günstiges Angebot dar. Billiger ist soviel Temperament auf dem Markt heute nirgendwo zu haben”, summierte Werner Schruf für AMS seine Testerfahrungen.
Mitte der Achtzigerjahre sorgte dann sogar noch ein Markenpokal dafür, dass der A112 Abarth im hohen Alter noch sportlich attraktiv blieb.
Stetige Verbesserungen
Fiat/Lancia und Autobianchi gaben sich viel Mühe mit dem A112. Immer wieder wurden Verbesserungen und Anpassungen angebracht, um den Wagen jung und begehrenswert zu halten. Man kann von acht unterscheidbaren Serien sprechen, die über die Jahre entstanden. Bereits im März 1973 wurden optische Änderungen vorgenommen, der A112E hiess nun “Elegant”.
1975 wurde durch Anpassung im Heck aus dem Vier- ein Fünfsitzer, die C-Säulen wurden verändert.
Im November 1977 kam der “Nuova A112” mit modifiziertem Dachbereich, auch die Motoren wurden angepasst. Die Rückleuchten wurden verändert und ab 1979 gab es für bestimmte Märkte Fünfganggetriebe.
Weitere Stylingveränderungen folgte im Juli 1979, die Heckpartie wurde nun von einem grosszügigen Kunststoffteil eingefasst. Der Junior wurde als Einstiegsmodell präsentiert.
Im Herbst 1982 wurden erneut Designmodifikationen durchgeführt, zudem gab es im Topmodell nun sogar elektrische Fensterheber.
Weitere Änderungen kamen 1984, unter anderem gab es anders gestaltete Alufelgen für die Abarth-Version. Im letzten Baujahr 1986 wurde nur noch eine Variante als günstiges Lancia-Einstiegsmodell produziert.
Namensmetamorphosen
Geboren wurde der A112 als Autobianchi, doch über die Zeit wurde diese Marke nach und nach in den verschiedenen Märkten aufgegeben. So wurde der Kleinwagen schliesslich in einigen Ländern als Lancia A112 verkauft, in anderen als Lancia Autobianchi A112. In Italien blieb es bis zum Schluss bei Autobianchi.
Auch bei den Beinamen (Normale, Junior, LX, Elegant, Elite, usw.) gab es den stetigen Wandel, nur der Abarth hiess immer Abarth. Genau diesen fuhr übrigens auch eine gewisse Michèle Mouton am Anfang ihrer Karriere. Damit reihte sie sich in einen überdurchschnittlich grossen Frauenanteil von 39 Prozent bei den Neukäufen ein.
Langlebig
Im Gegensatz zu anderen Autobianchi-Konstruktionen erwies sich der A112 als sehr langlebig, will heissen, er wurde über viele Jahre, genau waren es rund 17 Jahre, gebaut. In dieser Zeit wurde der kleine Vier-/Fünfsitzer auch Produktionsmillionär, es entstanden nämlich insgesamt 1,25 Millionen Autobianchi A112. Das beste Jahr war 1978, als 89’500 Exemplare die Fabrik verliessen, aber auch danach blieb die jährliche Produktionsziffer hoch.
1985 wurde der Y10 als Nachfolger präsentiert, nur noch in Italien wurde er Autobianchi Y10 genannt, in allen anderen Ländern hiess er Lancia Y10.
An Bord eines späten Exemplars
Zwar wird den A112-Varianten eine sehr robuste Technik nachgesagt, die Karosserien aber rosteten schnell vor sich hin und liessen die meisten Exemplare von der Strasse verschwinden. Wir aber durften uns in einen sehr späten Abarth 70 HP von 1985 setzen, der dank umfangreicher Rostvorsorge (Tectyl) in hervorragendem Zustand überlebt hat.
Mit seinen Alurädern, der halbdurchsichtigen Heckblende, dem tief angebrachten Kennzeichen hinten und den roten Sicherheitsgurten ist er sofort als Exemplar der siebten Serie zu erkennen.
Im Innern fällt das Zweispeichenlenkrad, vor allem aber die umfangreiche Instrumentensammlung auf, auch wenn man auf die klassischeren Runduhren der früheren Serien verzichten muss.
Gestartet wird der Abarth per Zündschloss rechts vom Lenkrad, fünf Gänge wollen mit dem Schalthebel sortiert werden. Das etwas “gummige" und zuweilen unexakte Schaltgefühl erinnert an den frühen Fiat Panda. Mit etwas Gewöhnung gelingt es aber immer, den richtigen Gang zu treffen und häufige Gangwechsel sind durchaus an der Tagesordnung, wenn es sportlich vorwärtsgehen soll. Die 70 Pferdchen wollen in Bewegung gehalten werden, der Motor brüllt dann lustvoll auf. 700 kg sind in der Neuzeit sehr wenig, aber 10 kg pro PS unterbieten selbst Dieselfahrzeuge heute locker.
Auf der Landstrasse ist das kein Handicap und genau dort kommen die Stärken des A112 am besten zur Geltung. Der schmale Wagen wieselt mit hohen Geschwindigkeiten durch Kurvengeschlängel, seine direkte Lenkung lässt den Fahrer immer den Kontakt zur Strasse halten. Die Bremsen verzögern beruhigend stark und dank ausgezeichneter Rundumsicht lässt sich der kleine Wagen hervorragend kontrollieren.
Auch in der Enge einer Kleinstadt zeigt der Winzling viel Talent, parken ist ein richtiges Vergnügen, der Sprint von Ampel zu Ampel auch.
Nur ganz billig ist ein gut erhaltener A112 heute nicht mehr. Das gefahrene Exemplar soll für einen fünfstelligen Betrag am 17. Oktober 2020 bei der Versteigerung der Oldtimer Galerie in Toffen einen neuen Besitzer finden. Er wird schon bald ein dickes Grinsen im Gesicht haben, wenn er damit über eine enge Passstrasse fährt …
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Für viel Spaß reicht es aber alle mal.
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