Es galt als längst verschrottet, aber es ist eines von zwei Originalen: In den Hamburger "Autonomen Jugendwerkstätten“ restaurieren Auszubildende mit schwierigem sozialem Hintergrund eine Rallyelegende: Das Auto, das Walter Röhrl zum Durchbruch in seiner Rallye-Karriere verholfen hat, war der Ford Capri RS 2600 mit dem Kennzeichen HH-RD 950 aus der Tuningschmiede Kleint.
Die Hamburger Ernie und Jochi Kleint waren damals so etwas wie die inoffizielle Motorsportabteilung von Ford Deutschland. Der Capri galt eigentlich als bestenfalls rundstreckentauglich, Fords Rallye-Modell war der Escort. An dem hatten sich aber die Engländer die Exklusivrechte gesichert.
Walter Röhrl mit Messfehler?
Im August 1972 starteten 307 internationale Teams in Kiel zur Olympia-Rallye quer durch Deutschland bis nach München. Als Favoriten unter den Fahrern galten die Stars Hannu Mikkola, Jean-Pierre Nicolas, Achim Warmbold und einige weitere.
Als die ersten Zeiten genommen waren, strich der Pressechef den Schnellsten von der Liste. Es musste sich um einen Messfehler handeln. "Dass ein verrückter Bayer in einem Ford Capri Bestzeiten fährt, konnte der sich nicht vorstellen“, schmunzelt Walter Röhrl viele Jahre später im Interview.
Aber tatsächlich tauchte er mit der Startnummer 23 in den weiteren Etappen immer wieder ganz vorn auf den Listen auf. Röhrl lag mit seinem Beifahrer Hannes Rothfuß in Führung, als drei Wertungsprüfungen vor dem Ziel der Motor platzte und das Team ausfiel.
Ausgebrannt und abgeschrieben
Ein Jahr später war Röhrl Profifahrer bei Opel. Der Capri mit dem Kennzeichen HH-RD 950 brannte 1973 wegen zu heiss gewordener Kunststoff-Benzinleitungen ab.
Die Kleint-Brüder hatten Anfang der 1970er-Jahre etwa zehn Capris zu Kleint-R.S.-Rallyefahrzeugen umgebaut. Die Motoren mit Trockensumpfschmierung waren auf mindestens 2800 ccm aufgebohrt worden und leisteten rund 230 PS.
Für die Montage einer große Auspuffanlage musste der Unterboden umgearbeitet werden und selbst Kleinigkeiten wie die vergrösserte Tanköffnung sehen heute sehr grob geschmiedet aus.
Erstling verschollen ...
Der Urvater dieser Kleint-R.S.-Capris war ein Coupé mit dem Kennzeichen HH-RD 119, eines von 53 Stück aus der RS-2600-Vorserie von 1970. Dieses Auto ist nahezu baugleich mit dem Röhrl-Capri, Ernie Kleint gewann damit die Tour d'Europe 1970. Jochi Kleint hatte 1971 mit demselben Auto einen Unfall auf dem Estering in Buxtehude.
Ein Seitenteil wurde beschädigt und nur provisorisch repariert. Im Frühjahr 1972 wurde der Capri an einen Privatmann verkauft, der ihn Ende der Siebzigerjahre zum Strassenfahrzeug zurückbaute. Dann wechselte er noch einmal den Besitzer und verschwand aus der Öffentlichkeit.
... und wiedergefunden
40 Jahre nach der Rallye-Karriere des Autos stiess Jochi Kleint zusammen mit dem Rallye-Experten Klaus Frieg auf einen Ford Capri in Husum, der angeblich Europameisterschaften gefahren war. Das Auto hatte seit zehn Jahren in einer Blechscheune gestanden und sollte nun verkauft werden.
Wie sich herausstellte, handelte es sich tatsächlich um den Wagen mit dem Kennzeichen “HH-RD 119”.
Kleint und Frieg entschieden sich, das Auto in seinen Originalzustand zurückzuversetzen. Dies sollte möglichst öffentlichkeitswirksam passieren.

So kamen die Hamburger Autonomen Jugendwerkstätten ins Spiel, die schon Erfahrung mit einer ähnlichen Restauration hatten - vom Deutschen Fernsehen begleitet.
Motivation für besondere Jugendliche
Die Autonomen Jugendwerkstätten (ajw) bilden in ihrer Kfz-Werkstatt Jugendliche aus, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Schwierige soziale Hintergründe, familiäre und schulische Probleme in der Kombination mit schwach entwickelten Sekundärtugenden wie Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit erschweren den jungen Menschen massiv den Zugang zu Arbeitsplätzen in gewerblichen Handwerksbetrieben. Bei den ajw bekommen jährlich acht bis zehn dieser jungen Männer und Frauen mit und ohne Migrationshintergrund, mit und ohne Hauptschulabschluss die Chance auf eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker. In der Berufsschule lernen sie dann zusammen mit Realschülern.

Schaffen die das? Der Ausbilder und Kfz-Meister Alexander Gawronski erklärt: "90 Prozent unserer Auszubildenden bestehen die Abschlussprüfung, wir haben 10 Prozent weniger Abbrecher als die freie Wirtschaft und 80 Prozent unserer Lehrlinge kommen später im ersten Arbeitsmarkt unter.“ Nach ihrem Abschluss sind die Jugendlichen in den Werkstätten begehrt. In den dreieinhalb Jahren ihrer Ausbildung haben sie nicht nur ihr Leben in den Griff bekommen, sondern sie haben etwas gelernt, das ihren jungen Kollegen in modernen Werkstätten fehlt: alte Technik zu verstehen, Teile zu reparieren statt sie nur zu tauschen und traditionelle Handwerkstechniken anzuwenden.
Restaurierung als Marktlücke und Chance
Bei Restaurateuren herrscht inzwischen wirklicher Fachkräftemangel. "Die kriegen Panikattacken, wenn wieder einer in Rente geht“, weiß Gawronski. Oldtimerreparaturen sind eine Marktlücke, die jungen Menschen hier schaffen es, sich zu spezialisieren.
Auf die Frage, was sie hier besser lernen als die Mitschüler, antwortet der 22-jährige Tobias Arians: "Ich kann dengeln, wir lernen noch richtig Metallbearbeitung. Hier zählt Kreativität.“
Tobias hat sehr viele Schulen besucht, manche davon nur für einen Tag. Trotzdem hat er schliesslich einen Hauptschulabschluss geschafft - Note 3,3. Darauf ist er stolz. "Danach habe ich mich eigentlich nur noch umgesehen, was man machen kann.“
Er landete für eine Berufsvorbereitung bei einem anderen Hamburger Bildungsträger und bewarb sich schliesslich bei den ajw. Unter etwa 100 Bewerbern gehörte er zu denjenigen, die zum dreitägigen Probearbeiten eingeladen wurden. Dabei hat er überzeugt und er bekam einen Tag später seine Zusage.
Gawronski sagt, wonach sie auswählen: "Wo's brennt, das geht vor. Und es muss passen.“

Damit ist die Zusammensetzung der ganzen Gruppe gemeint. Unter den derzeit 27 Auszubildenden befinden sich vier Mädchen. Nach seinen Zukunftsplänen gefragt, antwortet Tobias: "Ich will meine eigene Werkstatt haben, auf dem Dorf. Ich will Meister werden und Oldtimer reparieren.“
In guten Händen und mit Untersüttzung der Rallye-Legende Röhrl
Hier ist der Ford Capri Kleint R.S. in guten Händen. Jochi Kleint fragte seinen Freund und ehemaligen Kollegen Walter Röhrl, ob er das Projekt unterstützen würde. Röhrl sagte zu, aber das Auto sollte nicht in den Zustand von der Tour d'Europe 1971, sondern in das Konfiguration versetzt werden, die der Wagen an der Olympia-Rallye 1972 hatte.

Alle Umbau-Unterlagen waren vorhanden, die Fahrzeuge sind grundsätzlich identisch. So verwandelt sich der HH-RD 119 in Röhrls HH-RD 950.
Das Auto soll auch wieder für den Strassenverkehr zugelassen werden und dabei das historische Kennzeichen bekommen. Leider ist das im Moment vergeben.
Projektleiter Gawronski hofft auf einen verständnisvollen Fahrzeughalter, der mit sich handeln lässt. Geldmangel ist das grösste Problem bei der Restauration. Im Moment stellt der Motor den dicksten finanziellen Brocken dar. Rund 40'000 Euro fehlen, die Gawronski von Spendern und Sponsoren zusammensammeln will. Zu den beiden vorhandenen prominenten Unterstützern Röhrl und Kleint kam Röhrls jahrelanger Beifahrer Christian Geistdörfer als PR-Profi dazu.
Jugendliche mit Unterstützung
Bereits 2013 haben die Jugendlichen in kleinen Teams das Auto komplett zerlegt. Beim Abtragen der Lackschichten kamen die original Rallye-Lackierungen zum Vorschein – und die ursprüngliche Ford-Farbe: Jupiterrot. Dabei zeigte sich auch der alte Seitenschaden vom Estering, damit war endgültig klar, um welches Auto es sich handelt.
Die Auszubildenden können längst nicht alle Arbeiten selber ausführen. Die eigentlichen Karosseriearbeiten und die neue Lackierung stammen von der Firma Gehrt in Thüringen. Um die neue Vorder- und Hinterachse kümmert sich Tost Motorsport in Melle - dorthin fuhren einige Auszubildende mit, um die speziellen Arbeiten zu lernen.
Die Sitze werden ebenfalls extern restauriert. Die Stahlrohre des Sicherheitskäfigs sind, wie alle überlebenswichtigen Teile, neu.
„Das Auto wird so originalgetreu wie möglich restauriert. Aber es soll wieder Rennen fahren, da ist mir 40 Jahre altes Metall zu unsicher“, betont Gawronski.
Beim Zusammenbau kümmern sich die Jugendlichen um die Montage der neuen oder restaurierten Stücke.
Auf eigener Achse und in den richtigen Farben wurde der Capri erstmals Ende Juli 2014 beim Eifel Rallye Festival gezeigt, Anfang September kam dann noch ein Auftritt beim Hamburger Stadtpark-Rennen dazu. Die Jugendlichen lernen dabei auch, ihre Arbeit zu promoten.
Es fehlt noch Geld
Wenn bis zum nächsten Jahr genug Geld zusammengekommen und der Motor drin ist, dann wird aus dem Capri kein Museumsstück. Bei Rallye-Veranstaltungen soll der Wagen in Aktion zu sehen sein. Vorgesehen ist, das Auto mit Fahrer buchen zu lassen oder es für PR-Events zur Verfügung zu stellen.
Verkauft werden soll der legendäre Wagen natürlich nicht. Geplant ist, dass das Rallye-Auto in den Besitz einer Stiftung übergeht, welche die weitere Betreuung übernimmt.
Als ständiges Basislager mit viel Publikumsverkehr kommt die Hamburger Ausstellung "Prototyp“ in Frage, aber vielleicht auch andere Museen oder Aussteller.
„Nächstes Jahr will ich den Wagen wieder fahren“, kündigt Röhrl an. Spätestens beim nächsten Stadtpark-Rennen will er damit wieder auf Bestzeiten-Jagd gehen.
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wurde 1 Satz Reifen 235/60 VR 13 Blockley Radial für das Projekt von HKT Hannes Kuhn (www.reifen-technik.eu) nach Rücksprache mit Christian Geistdörfer kostenlos zur Verfügung gestellt.
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Da ich vor vielen Jahren bei Ford Berkenkamp am Berliner Tor gelernt habe, erfüllt es mich mit Schaudern, daß der Hersteller sich nicht an der Wiederherstellung des Wagens beteiligt...
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