Als Mitte der Fünfziger die Nachfrage nach kleinen Sportwagen aus der alten Welt in den USA in ungeahnte Höhen stieg, wollte auch die englische Rootes-Gruppe von der Kauflust der Amerikaner profitieren. Das Risiko, dabei auf die Nase zu fallen, war denkbar gering. Die Chance, neben dem Verkauf von konservativen Limousinen mit einem kleinen modernen Sportcabrio die finanziellen Reserven der Firma gehörig aufzubessern, hingegen sehr gross. Schliesslich erfreuten sich gerade die zweisitzigen Erzeugnisse von den britischen Inseln jenseits des Atlantiks ganz besonderer Beliebtheit.
Nach der Einstellung des erfolglosen ersten Sunbeam Alpine auf Basis des Sunbeam-Talbot 90 im Jahre 1955 begannen 1956 die Arbeiten am Nachfolger. Da MG, Triumph und Austin-Healey bereits etablierte Grössen auf dem US-Markt waren, die mit einem konventionellen Steckscheiben-Roadster zu verdrängen nahezu unmöglich war, musste ein Alleinstellungsmerkmal als Kaufargument her. Das war freilich schnell gefunden. Denn ausgerechnet das, was die Amis am meisten liebten, fehlte den meisten englischen Sportwagen: Komfort. Trotzdem sollte der Favoritenschreck natürlich rassig aussehen und schnell fahren. Kurz: Es sollte ein Auto werden, mit dem nicht nur Grace Kelly in Nizza, sondern auch John Ashley in Hollywood eine gute Figur machen würde – und natürlich alle Hobbyrennfahrer am Wochenende auf dem Flugplatz.
Als Basis und damit als ein weiteres Alleinstellungsmerkmal wählte man die Bodengruppe des Hillman Husky, einer zweitürigen Kombi-Version des Hillman Minx mit auf 86 Zoll (2184 mm) verkürztem Radstand, die für den Dienst unterm Cabrio mit einer zusätzlichen X-Verstrebung versteift wurde. Denn während die Konkurrenten alle noch auf einem antiquierten Leiterrahmen aufbauten, trug der Alpine sich dadurch als erster seiner Art selbst. Fahrwerk und Antrieb stammten im Wesentlichen vom Sunbeam Rapier, dem umetikettierten Konzernbruder des Minx, jedoch mit Scheibenbremsen statt Trommeln an der Vorderachse. Auch den 1,5-Liter-Vierzylinder übernahm Chefkonstrukteur Bernard Winter aus der Limousine.
Stilistische Hilfe aus Amerika
Technisch war die Marschrichtung also soweit klar. Nur bei der Optik war man noch zu keinem Ergebnis gekommen. Nachdem die Rootes-Brüder William und Reginald mit den hauseigenen Entwürfen von Ted White und seinem Team nicht zufrieden waren, warben sie 1957 bei Ford den Designer Ken Howes ab. Howes war erst seit 1955 für den Massenmotorisierungs-Giganten aus Dearborn tätig gewesen und hatte unter anderem dem 1956er Thunderbird das Bullauge im Hardtop verpasst. Zuvor hatte er für Raymond Loewy gearbeitet; ab 1948 zunächst in seinem Londoner Studio, ab 1952 dann in South Bend, Indiana, im Studebaker-Büro.
Dort hatte Howes auch Loewys Grundsatz verinnerlicht, auf alles zu verzichten, was der Meister "Schmalz" nannte: verchromte Schnörkel und Ornamentik, die von der eigentlichen Form ablenkte. Denn wenn eine Form erst durch üppigen Zierat interessant wurde, war sie nicht gut. Bei der Gestaltung des neuen Sunbeam-Sportwagens hatte Howes völlig freie Hand. Die Rootes-Brüder sagten ihm nicht einmal, dass der zu zeichnende Sportwagen der neue Alpine werden würde – damit Howes sich nicht am eher traditionell gestylten Vorgänger orientierte. Also entwarf Howes ohne Rücksicht auf Markengeschichte einen zweisitzigen Roadster nach seinen Vorstellungen, den er "Sunbeam Sabre" nannte.
Das Resultat wirkte wie ein kleiner Ford Thunderbird mit einem guten Schuss De Soto im Abgang: ein breiter, niedriger Fischmaul-Kühlergrill, eine stark gewölbte Windschutzscheibe vor einem knappen Zweisitzer-Cockpit und üppige Heckflossen, die Nahtlos aus den hinteren Kotflügeln emporwuchsen und in stark nach hinten geneigten, hochkant stehenden Rückleuchten mündeten. Sie waren zweifellos ein Zugeständnis an die US-Automode jener Jahre, aber im Gegensatz zum Daimler SP 250 deutlich harmonischer in die Karosserielinie integriert.
Chromschmuck suchte man abgesehen von Selbstverständlichkeiten wie Stossfänger und Scheibenrahmen indes vergebens. Sogar die Lampenringe waren lackiert statt verchromt. Die Karosserieflanken präsentierten sich glattflächig und gewölbt mit leicht ausgestellten Radläufen und kaum wahrnehmbarem Schwung in der Gürtellinie. Nur ein kleiner Alpine-Schriftzug zierte die vorderen Kotflügel.
Sportlich-leicht
Am 2. Juli 1959 wurde der zunächst nur in fünf Farben erhältliche Sunbeam Alpine in Cannes der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Presse zeigte sich begeistert, schrieb durchweg von italienischen Linien und lobte die schlichte Eleganz der Karosserie. Fans traditioneller Sportwagenbaukunst hingegen sahen das Ende ihrer geliebten kompromisslosen Drehmoment-Dampfhammer nahen: selbsttragende Karosserie, Klappverdeck, Kurbelfenster und obendrein noch ein Kurzhubmotor. Was kommt als Nächstes? Ein vollsynchronisiertes Getriebe?
Immerhin das hatte der Alpine noch nicht. Nur die oberen drei der vier Fahrstufen erleichterten dem Fahrer selbsttätig das Einrücken. Zudem konnte wie bei der Konkurrenz auch gegen Aufpreis ein Overdrive geordert werden, der sich in den Gängen drei und vier elektrisch zuschalten liess. Ansonsten aber unterschied sich der Sunbeam gewaltig von TR, MG und AH. Auspuff und Motor brüllten ihre Umgebung nicht hemmungslos an, die starre Hinterachse prügelte die Insassen nicht windelweich und der Fahrtwind stürmte nicht mit Stärke zehn durchs Cockpit.
Wer einen Triumph TR4 (oder jeden anderen britischen Roadster klassischer Bauart) gewohnt ist, wundert sich im Sunbeam Alpine auch über die geringen Bedienkräfte. Lenkung und Schaltung sind ungewöhnlich leichtgängig, dabei aber trotzdem überraschend präzise. Wenngleich sie dem Arm manchmal sogar etwas zu wenig Widerstand entgegensetzen. Wer in alte Roadster-Muster zurückfällt und zu energisch vom zweiten in den dritten Gang zu wechseln versucht, muss aufpassen, dass er den unsynchronisierten Ersten nicht versehentlich kurz "ankratzt". Was für jeden anderen Roadster eine Beleidigung wäre, kann dem Alpine als Lob gelten: Er fährt sich wie eine Limousine – zivilisiert, leise, geräumig und komfortabel.
Natürlich hat er auch sportliches Talent. Mit Leichtmetall-Zylinderkopf, Fächerkrümmer und zwei Zenith-Vergasern erstarkte der Vierzylinder des Sunbeam Rapier 1958 auf 79 PS bei 5300 Umdrehungen. In dieser Ausbaustufe treibt er auch den Alpine an und bringt den 1055 kg schweren Flitzer ganz ordentlich auf Trab. Mit 121 Nm zwischen 3400 und 3800 Touren gibt er sich zudem recht elastisch. Die vom Prospekt versprochenen 100 Meilen pro Stunde (161 km/h) erreichte er aber zumindest in kontinentaleuropäischen Tests nie. Der Testwagen von Auto Motor und Sport strich bei 150 km/h die Segel.
Da schaffte selbst der 2200 Franken billigere MGA 1600 sieben Kilometer mehr. Gleichzeitig war der Sunbeam mit 13'100 Franken das teuerste Angebot im direkten Konkurrenzumfeld, sieht man einmal vom 16'100 Franken teuren Austin-Healey 3000 mit Sechszylinder ab. Aber zumindest in Sachen Strassenlage war der Alpine dann doch wieder ganz traditioneller englischer Roadster: sie ist gut, solange die Strasse gut ist. Mit zunehmender Anzahl an Bodenwellen steigt jedoch die Neigung der blattgefederten Hinterachse zum Trampeln und Springen.
Fünf Serien
Im September 1960 folgte der leicht überarbeitete Alpine Serie 2. Der auf 1,6 Liter vergrösserte Motor brachte neben zwei PS mehr Leistung auch ein auf 127 Nm gesteigertes maximales Drehmoment. Äusserlich erkennbar war das neue Modell nur an der verchromten Führungsschiene für das Seitenfenster, die jetzt bis zur Oberkante der Windschutzscheibe reichte. Die Serie 3 gab als Übergangsmodell von Januar bis Oktober 1963 nur ein kurzes Gastspiel im Alpine-Programm. Sie wurde nur noch von einem Solex-Vergaser versorgt, mit dem der Vierzylinder bei unverändertem Hubraum auf 83 PS kam. Die Führungsschiene auf der Tür wuchs zu einem vollständigen Dreiecksfenster heran, während die vordere untere Ecke des Türausschnitts nun nicht mehr rund, sondern eckig war.
Die grösste optische Veränderung kam mit der Vorstellung des Alpine Serie 4. Technisch mit der Serie 3 identisch, wurden die prägnanten Heckflossen des kleinen Roadsters auf ein modisch wieder akzeptables Mass gestutzt und die Rückleuchten auch im Profil senkrecht gestellt. Aber damit nicht genug. Kaum dass sich die anfängliche Entrüstung gelegt hatte und Kurbelfenster wie Klappverdeck zum Roadster-Standard geworden waren, rüttelte Sunbeam erneut heftig an den Grundfesten des anglikanischen Sportwagenbaus. Denn der Alpine war nun als erster britischer Roadster überhaupt mit Automatikgetriebe erhältlich. Das war selbst für die verwöhnten Amis etwas zu viel, weshalb der Dreistufen-Selbstschalter von Borg-Warner im August 1965 mit dem Erscheinen der Serie 5 wieder aus dem Programm flog.
Die letzte Alpine-Serie war mit einer Bauzeit von zwei Jahren und fünf Monaten gleichzeitig auch die ausdauerndste. Für sie vergrösserten die Roots-Männer den Motor noch einmal auf 1,8 Liter Hubraum, schraubten wieder zwei Vergaser dran (diesmal von Stromberg) und entlockten ihm so 93 PS und 140 Nm. Ausserdem war nun auch die hintere untere Ecke der Türen eckig statt rund.
Ein missverstandener Vorreiter?
Im Januar 1968 endete schliesslich nach 69'251 gebauten Exemplaren die Produktion des Sunbeam Alpine. Das war kein schlechtes Ergebnis für einen Sportwagen, der von vielen nicht als Sportwagen akzeptiert wurde – allerdings auch kein überwältigender Erfolg. Der teurere Triumph TR4 hatte für annähernd dieselbe Stückzahl zwei Jahre weniger gebraucht. Vom erst 1962 erschienenen MGB waren bis dahin sogar schon mehr als doppelt so viele Exemplare verkauft worden.
Der Alpine jedoch sass von Beginn an zwischen den Stühlen, wollte zwei Zielgruppen auf einmal bedienen, die er dadurch beide nicht vollends zufriedenstellen konnte. Er war 1959 deutlich mehr Sportwagen als die Kuschel-Cabrios Renault Floride und VW Karmann-Ghia, gleichzeigig aber auch deutlich weniger Sportwagen als die harten Jungs aus Coventry und Abingdon. Letztere eiferten dem Sunbeam trotzdem alle recht bald nach: ab 1961 hatte der Austin-Healey 3000 Kurbelfenster und Klappverdeck. Im selben Jahr erschien der Triumph TR4 mit Heckflossen; ein Jahr später der MGB mit selbsttragender Karosserie.
Eigentlich hatte der Sunbeam Alpine als Schrumpf-Thunderbird auf Limousinen-Basis nur einen echten, konzeptionell gleichen Konkurrenten: den ziemlich genau gleichteuren Auto Union 1000 SP. Und den hat er in Sachen Fahrleistungen und Stückzahl locker übertrumpft. Ein später Trost – aber besser als gar keiner.
Vielen Dank an die Touring-Garage in Oberweningen für die Gelegenheit zur Probe- und Fotofahrt in dem aufwendig restaurierten Grünling.
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