Mitte des 20. Jahrhunderts war es nicht unüblich, dass Fahrzeuge neben ihrem Besitzer auch mehrmals ihre Karosserie wechselten. Die Chassis-Bauweise, wie sie beispielsweise Rolls-Royce nutzte, erlaubte die problemlose Trennung von Fahrgestell und Aufbau und damit den Ersatz der Karosserie, wenn sie nicht mehr dem Geschmack des Besitzers entsprach oder wegen Alterung baufällig geworden war. Die so entstandenen Spezialkarosserien waren meist Einzelstücke und sind heute bei Sammlern sehr gesucht.
Der “kleine” Rolls-Royce
Zwischen 1929 und 1936 baute Rolls-Royce das Modell 20/25 HP, das den Vorgänger 20 HP, der wiederum von 1922 bis 1929 das Werk verlassen hatte, beerbte. Ausgerichtet war der Wagen auf Selbstfahrer, doch wurde auch dieser Rolls vielfach von Chauffeuren bewegt. Und ganz so klein war die kompakteste Rolls-Royce-Variante auch nicht, betrug doch der Radstand imposante 3,27 (später 3,35) Meter. Weil die Räder aber ganz an den Ecken positioniert waren, betrug die Gesamtlänge eines fertigen Fahrzeugs nur selten wesentlich mehr als 4,5 Meter.
Wie beim Vorgänger sass vorne im Fahrgestell ein Reihensechszylinder. Statt 3127 cm3 war der Hubraum aber auf 3699 cm3 gewachsen, als Leistung flossen rund 100 PS via Vierganggetriebe auf die Hinterachse. Damit konnte der Wagen, vorausgesetzt seine Karosserie, die üblicherweise von Firmen wie Park Ward, Mulliner oder Hooper gefertigt wurde, war nicht allzu üppig geraten, rund 120 km/h erreichen. Sicher schnell genug für die Strassen, wie man sie damals vorfand.
Das Fahrwerk war traditionell mit Starrachsen vorne und hinten gestaltet, immerhin gab es Bremsen an allen vier Rädern, die zudem von einer mechanischen Servounterstützung profitierten.
Das Lenkrad sass grundsätzlich rechts, der Schalthebel rechts davon bei der Türe. Ab 1932 konnten der dritte und vierte Gang ohne Zwischenkuppeln eingelegt werden.
Die Fahrgestelle, zu jener Zeit verkaufte Rolls-Royce keine kompletten Autos, wurden vom Hersteller inklusive Motor (bis und mit Spritzwand), Getriebe, Kühler, Achsen und Räder an die Karosseriebauer verkauft, die dann ihre individuellen Aufbauten darauf setzten.
Schweizer Qualität aus Worblaufen
Fritz Ramseier (1904-1985) gründete 1929 mit Unterstützung von Vater Fritz und seinen Brüdern Ernst und Hans die “Carrosserie Worblaufen, Fritz Ramseier & Co”. Als gelernter Wagner und auf seinen Erfahrungen in französischen und schweizerischen Karosseriebetrieben aufbauend, konzentrierte sich Fritz auf Spezialkarosserien und legte seine Firma auf rund 40 Mitarbeiter aus.
Fritz zeichnete die meisten Entwürfe selber und war der primäre Ansprechpartner seiner Kunden. Qualität und hochwertige Materialien waren ihm wichtig.
Die Fahrgestelle der Marken Mercedes, Opel, Ford, Buick, Chrysler, Hupmobile, Studebaker, Packard oder Renault wurden vom Kunden oder dem Importeur angeliefert. Den spezifischen Anforderungen des Kunden folgend wurde das Chassis dann mit Karosserie und Innenausbau komplettiert.
Weniger häufig geschah es, dass ein Kunde eines bereits kompletten Wagens eine neue Karosserie wünschte. Ein Beispiel hierfür war ein Isotta-Fraschini Tipo 8A, oder aber eben auch ein Rolls-Royce 20/25 HP mit Gangloff-Karosserie (vermutlich) aus dem Jahr 1931, dem Fritz Ramseier um das Jahr 1937 herum einen eleganten Cabriolet-Aufbau verpasste.
Elegant
Die zweitürige Cabriolet-Karosserie trägt amerikanische Züge und wirkt mit den grossen (nach hinten öffnenden) Türen sehr elegant. Das schräg abfallende Heck mit dem verkleideten Reserverad betont die Sportlichkeit der Sonderkarosserie.
Die blau-metallisierte Farbe, die der Wagen heute trägt, betont die Konturen und arbeitet die Feinheiten des Designs auf ideale Weise aus. Allerdings soll diese Farbe erst in den Achtzigerjahren aufgetragen worden sein, denn ursprünglich wählte der Kunde (vermutlich) schwarz für die Lackierung. Im Innern dominieren rotes Leder und Holz.
Schweiz-Amerika und zurück?
Erster Besitzer des 100 PS starken Wagens mit Fahrgestellnummer GFT31 war gemäss vorliegenden Informationen ein Herr J. Rubin aus Genf. Der Umbau bei Ramseier erfolgte dann wohl im Auftrag des zweiten Besitzers Albert Nobele aus Genf.
Irgendwann nahm der Rolls den Weg über den Atlantik, im Jahr 1958 jedenfalls bot ihn ein J. V. Nevv aus Newport Beach in Kalifornien zum Verkauf an. Es folgten weitere Besitzer in den Staaten, bis er in die Hände eines Herrn Moir gelangte, der ihn bis heute besass.
Weitgehend komplett, aber sicher nicht im perfekten Zustand, präsentiert sich der nun über 80-jährige Rolls heute. Die Versteigerungsfirma RM, die den Wagen am 9. Oktober 2014 in Hershey versteigerte, beschreibt ihn als ideale Basis für eine Restaurierung und hatte als Wert USD 80’000 bis 120’000 geschätzt. Verkauft wurde er (ohne Mindestpreis) für USD 66'000 (inkl. 10 % Sales Commission).
Wer weiss, vielleicht gelangt der herrschaftliche Sechszylinder-Rolls dereinst ja wieder nach Europa oder gar in die Schweiz zurück, wo seine Geschichte ihren Anfang nahm.
Weitere Informationen
- SwissClassics Revue 3/2005, ab Seite 46: Vornehme Eleganz aus Worblaufen
- Illustrierte Automobil-Revue Nr. 1 vom 1. März 1939 - Seite 28: Das Werden einer Schweizer Karosserie
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