Wir bleiben in den East Midlands. Vom Hunt House – dem Sitz des RREC, der Sir Henry Royce Memorial Foundation und des aus allen Nähten platzenden Archivs – geht es in Richtung Cambridgeshire, eine gute Stunde weiter nach Nordosten. "Burghley House" ist das Ziel, ein riesiger Landsitz am Rande von Stamford. Der Park rund um das Schloss ist eine wunderbare Kulisse für die "Annual Rally" des RREC, dem weltweit größten Treffen für Rolls-Royce- und Bentley-Fahrzeuge. Rund 6500 Mitglieder hat der RREC weltweit, davon etwa 4000 im Vereinigten Königreich, 500 in der Schweiz und 400 in Deutschland – um die größten Sektionen zu nennen. Mehr als 2000 von ihnen sind an diesem Wochenende am Burghley House zugegen.
Bereits am Freitagvormittag treffen die ersten Gäste ein; der Höhepunkt wird der Concours d'Elegance am Sonntag sein, der Schönheitswettbewerb. Das ganze Wochenende über läuft der Teile- und Zubehörmarkt, außerdem bieten spezialisierte Händler und Werkstätten ihre Dienste an.
Die hätten Sue und Michael Ensor gut gebrauchen können, denn sie waren bereits auf der Anreise gestrandet. Doch sie hatten Glück: Der Royal Automobil Club schleppte ihren 20 HP von 1928 zur nächstgelegenen Werkstatt, die – in England kein Zufall – auf Oldtimer spezialisiert ist. Mit nur geringer Verzögerung erreichen sie Burghley House.
Gruselgeschichten aus der Werkstatt
Zwischendurch werden technische Seminare abgehalten, über die Erhaltung der Batteriespannung beispielsweise oder Ersatzteile aus dem 3D-Drucker sowie eine Typenkunde. Von besonderem Unterhaltungswert sind die "Horror Stories", die neu ins Programm aufgenommen wurden. Mechaniker und Werkstattbesitzer berichten aus langjähriger Erfahrung über das, was keiner erleben möchte. "Vorsicht beim Einsatz von Fett oder Farbe aus Sprühdosen", berichtet Ray Hillier von einer vermeintlich einfachen Beseitigung von Quietschgeräuschen in der Tür. Dabei wurde die Dose bis zur Neige entleert; das explosive Treibgas mit in die Tür geleitet. Dann verursachte der elektrische Fensterheber mutmaßlich einen Funken – und die durch die folgende Explosion verbeulte Tür musste für mehrere tausend Pfund repariert werden.
Harvey Walsh berichtet von einer wohlhabenden Kundin mit großem Grundstück und vielen Tieren. Ihre Autos benutzt die Dame offenbar selten. Laute Geräusche aus dem Motorraum während der Fahrt hätten eine bemitleidenswerte Katze zutage gefördert, die sich unter der Haube versteckt hatte und nicht mehr freikam, als das Auto – unerwartet für das Tier – dann doch mal gestartet wurde. Sie hatte sich auf dem heißen Aggregat die Pfoten verbrannt, kam aber wieder in Ordnung. "Zählen Sie ihre Haustiere vor der Fahrt.", so Walshs Resümee.
Colin Ayres erzählt von einem Eichhörnchen, dass 200 Hunde-Leckerli unter einer Motorhauben-Dämmmatte versteckt hatte. Und für gruseliges Schaudern sorgt die Geschichte eines Londoner Prominenten, an dessen Fahrzeug keiner der Mitarbeiter sich herantraute, weil ein furchtbarer Verwesungsgeruch aus dem Kofferraum drang. Hintergrund: Aus Angst davor, dass Paparazzi seinen Hausmüll durchsuchen würden, sei die Person eine Zeitlang mit den Säcken im Kofferraum herumgefahren und habe den Rolls-Royce dann abgestellt.
Der "Alpine Eagle"
Unterhaltung durch die Profis ist ein wesentlicher Teil des Treffens. Das gilt auch für die Händler, die teilnehmen und am Burghley House ihre Kompetenz unterstreichen. Richard Biddulph von der auf Liebhaberfahrzeuge spezialisierten Firma "Vintage and Prestige" in Northampton führt ein ganz besonderes Exemplar eines 40/50 HP vor: einen sogenannten "Alpine Eagle". Um die Kraft und Zuverlässigkeit ihrer Modelle unter Beweis zu stellen, traten Autobauer bereits vor mehr als hundert Jahren zu respekteinflößenden Wettbewerben an. Einer davon war die 1800 Meilen lange Alpenfahrt von 1913, die in Österreich gestartet wurde und über steile Alpenpässe führte. "Motorhaube und Kühler waren verplombt, um Reparaturen und das Nachfüllen von Kühlwasser während der Prüfung zu unterbinden.", sagt Biddulph.
Das Auto mit der Zulassung "R-1705", ist einer von drei 40/50 HP des Werksteams, die am Alpine Trial erfolgreich teilgenommen haben. Von Österreich aus gelangte das Auto auf Umwegen nach Belgien und wurde schließlich in den Ardennen wieder aufgefunden. Für Rolls-Royce-Enthusiasten ist ein Alpine Eagle beinahe so etwas wie der Heilige Gral, denn dieses Modell zementierte den Ruf der Marke, "The Best Car in the World" zu bauen.
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Ein Schwabe mit irischem Namen
Für viele Teilnehmer ist der Concours d'Elegance der Höhepunkt des Wochenendes. All ihre Konzentration richtet sich auf die Inspektion durch die Juroren und die Aussicht, eine Schleife und einen Pokal mit nach Hause zu nehmen. Der Wettbewerb ist in 25 Klassen eingeteilt, von den frühen Silver Ghost bis zu den Fahrzeugen der BMW- und Volkswagen-Ära.
Oliver O'Keefe aus Berglen bei Winnenden in Baden-Württemberg merkt man die Anspannung schon beim Frühstück am Samstag an. Der Schwabe mit dem irischen Familiennamen wirkt ein wenig gehetzt. "I muss no a bissle was mache.", sagt er und belegt den Teller sparsam. Glücklicherweise gibt es in der Nähe des Hotels eine von zahlreichen englischen Garagen, wo fleißige Mitarbeiter Autos von Hand waschen – eine grobe Bürstenwaschanlage an der Tanke käme für O'Keefe und seinen 1978er Corniche Drop Head Coupé niemals infrage.
Das sanfte Schaumbad ist allerdings nur die Basis eines stundenlangen Pflegeprogramms. Kistenweise hat O'Keefe Lotionen und Sprühflaschen, Bürsten und Tücher im Kofferraum dabei; bereits am Freitag hat er die schwarze Dämmmatte unter der Motorhaube gereinigt. "Wenn du erscht am Sonntag mit dem Putzen anfängscht, isch es zu spät.", sagt er knapp. Wenn die Jury am Sonntagmorgen das Auto inspiziert, muss alles perfekt sein.
Thomas Schulte aus dem Münsterland hat derweil andere Prioritäten. Als "Deputy Chairman" und damit ranghöchster Repräsentant des Clubs an diesem Wochenende – der Chairman weilt einer früheren Zusage zufolge in Norwegen – hat er überhaupt nicht die Zeit, einen Putzlappen anzufassen. Jeder möchte Schulte auf ein Wort beiseite nehmen. Er ist zweifellos die gefragteste Person des Wochenendes. Da bleibt gerade etwas Zeit für eine Platzrunde mit seinem Rolls-Royce Phantom II von 1932, dessen Karosserie von der Pariser Firma Fernandez & Darrin kreiert worden ist. Bis in die Fünfzigerjahre war es bei vielen Luxus-Autobauern üblich, dass die Kundschaft bei ihnen lediglich ein Fahrgestell orderte und dieses bei einem unabhängigen "Coachbuilder" – einem "Kutschenbauer" – mit einem Aufbau eigener Wahl versehen ließ.
Sieger vom Festland
Das schönste Auto des Wochenendes zu besitzen ist ebenso das klare Ansinnen von Robert van der Stam aus Holland, und er kann auf die Unterstützung der ganzen Familie setzen. "Wir sind hier, um zu gewinnen.", sagt Schwiegersohn Vincent selbstbewusst. Das Auto, mit dem sie antreten, ist eine Rarität: ein 40/50 HP mit einer offenen Karosserie von George Williams aus Australien. Herrliches Detail: In den aufklappbaren Trittbrettern aus massivem Holz verbirgt der Silver Ghost zahlreiche Werkzeuge und Ersatzteile, die auf langen Überlandfahrten von Nutzen sein können. Und er verfügt über zwei Windschutzscheiben. So sind auch die hinten sitzenden Passagiere geschützt.
Die blaue Schleife für Eleganz erringt van der Stams Rolls-Royce aus dem Stand. Die Begutachtung und der Vergleich mit den Konkurrenten ziehen sich allerdings hin. Die Juroren kriechen förmlich in jeden Winkel der Autos. Am Ende sahnen die Gäste vom Kontinent ab. Van der Stam wird auch die rote Schleife für den Klassensieg verliehen, ebenso wie Oliver O'Keefe, der zusätzlich noch den Preis für den besten europäischen Bewerber erhält. So gelöst wie nach der Preisverleihung hat man ihn das ganze Wochenende nicht erlebt.












































































































































































































































































































































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