Nein, so kennen wir den Ford Mustang nicht. Der bekannte Ford Mustang ist ein viersitziges Coupé, nicht zu sportlich und nicht zu luxuriös, mit sechs oder acht Zylindern unter der Motorhaube. Kein Mittelmotor, kein V4, kein Zweisitzer, keine Barchetta. Aber genau so sah der erste Mustang aus, der 1962 von Ford präsentiert wurde.
Sportwagenmarkt der USA gehörte den Europäern
Zu Beginn der Sechzigerjahre gab es mit Ausnahme der Chevrolet Corvette und einiger Kleinserienfabrikanten kaum Sportwagen “made in US”. Die Europäer aber verkauften sehr erfolgreich im amerikanischen Markt. Triumph TR3/4, MG A/B, Sportwagen von Fiat und Alfa Romeo waren sehr populär in den Staaten.
Die Europäer im Visier
Es erstaunt nicht, dass Ford genau die Import-Produkte aus Europa ins Visier nahm, als sie sich an die Konstruktion des Mustangs machten. Der neue Wagen sollte alles besser können, innovativ sein und richtig sportlich.
Der Name “Mustang” war Programm. Das Presse-Communiqué vom 7. Oktober 1962 drückte es so aus: “Mustang-Pferde sind klein, robust und halbwild”. Auch das Fahrzeug, das Ford vorstellte und selber einen “experimental sports car” nannte, war bezüglich der Dimensionen klein, die Höhe betrug weniger als 80 cm, die Länge unter vier Meter. Als Konkurrenten hatte man den Lotus 7, den Fiat 1500, den MG A 1500 und den Sunbeam Alpine ins Auge gefasst und von Anfang an rennsportliche Ambitionen gehegt. So wurde der Sportwagen mit einem 1,5-Liter-Motor auf die FIA-Kategorie 9 ausgerichtet.
Gene Bordinat, verantwortlich für den Bereich Styling bei Ford, beschrieb den Wagen wie folgt: “the Mustang is a clean and functional automative design to delight the most aesthetic auto purists” (der Mustang weis ein sauberes und funktionelles Fahrzeugdesign auf, um den Ästheten unter den Auto-Puristen zu gefallen).
Formel-1-Wagen im Sonntagsgewand
Gegenüber den übrigen Ford-Fahrzeugen der damaligen Zeit war der Mustang ein riesiger Schritt vorwärts. Man hatte sich an der gängigen Formel-1-Technik der Zeit orientiert und ein Auto mit Rohrahmen, Mittelmotor und Einzelradaufhängungen, Magnesiumräder sowie Scheibenbremsen rundum konstruiert. Ob und wie stark man dabei auf Hilfe von Rennabteilungen wie Lotus geholt hat, ist heute unklar. Das Ergebnis aber überzeugte und war ausserordentlich fortschrittlich.
Aerodynamik aus dem Windkanal
Die Form entstand nach ästhetischen und aerodynamischen Gesichtspunkten. Windkanal-Tests bewiesen, dass man damit auf dem richtigen Weg waren und die Form “perfekt geplant” war. Um die Front tief zu halten, wurde sogar auf einen ebenfalls angedachten vorne montierten Sechszylindermotor verzichtet. Stattdessen musste der V4-Motor aus Köln - anzutreffen auch im Ford Taunus 12 M - ins Heck des Fahrzeuges.
Der Konkurrenz gewachsen - auf dem Papier
Schon im originalen Presse-Communiqué von 1962 lieferte Ford einen Konkurrenzvergleich mit und bot dazu den Alfa Romeo Giulietta Spyder, das Fiat 1500 Cabriolet, den MG A 1600 Mk II, den Porsche 1600, den Sunbeam Alpine Mk 2, den Triumph TR4 auf. Der Mustang war weitaus flacher als alle anderen, aber vor allem 25-35% leichter als die Konkurrenz. Mit einer Leistung von 89 PS bei 6’600 U/min war er leistungsmässig zwar teilweise unterlegen, aber fahrleistungsmässig mit an der Spitze des Feldes.
Europäische Premiere am Genfer Salon 1963
Im März 1963 wurde der Prototyp zum ersten Mal in Europa gezeigt, am Genfer Autosalon. Die Kommentare waren wohlwollend, wissend dass es sich hier nur um ein Experiment handeln könne. 110,5 SAE-PS bei 6’400 U/min wurden bei Verwendung eines Vierfachvergasers angekündigt, 90 SAE-PS waren es mit Einfachvergaser. Als Leergewicht (fahrbereit mit 50 Liter Treibstoff) wurden 710 kg kommuniziert. Die mittragende Karosserie bestand aus Aluminium, Indiz für ein handwerklich gebautes Einzelstück.
Uneingeschränkt und schnell fahrbar
Im Dezember 1963 erhielt die Automobil Revue kurz Gelegenheit, einen der Prototypen zu fahren. Die Spezifikation entsprach allerdings nicht ganz den früheren Ankündigungen, der Motor erreichte eine Leistung von nur 65 DIN-PS. Pedale und Lenkrad konnten über Hebel an die Grösse des Fahrers angepasst werden, während die Sitze fest montiert waren. Die AR-Tester kritisierten die durch die Hände verdeckten Anzeigeinstrumente, lobten die Schalt- und Lenkpräzision. Überhaupt wurde man schnell vertraut mit dem kleinen Sportwagen und die Schlussfolgerungen der Redaktoren war, dass das Fahrgestell auch wesentlich höhere Motorleistungen problemlos verkraften könnte.
Dem pflichtete auch Reinhard Seifert in der Motor Revue bei. Im Gegensatz zur AR führten die Motor-Revue-Mannen Fahrleistungsmessungen durch und kamen auf eine Beschleunigung von 12 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h. Als Höchstgeschwindigkeit massen sie 180 km/h. Entsprechend vermuteten Seifert und seine Kollegen denn auch, dass etwas mehr als die angegebenen 65 PS vorhanden waren. Unabhängig davon aber hätte sich der Wagen mit den bereits genannten Konkurrenten aber gut messen können, trotz des Leistungsdefizits.
Das Fahrverhalten beschrieb Seifert mit diesen Sätzen: “Ohne störende Seitenneigung, mit sattem, in Sitzfläche und Lenkrad genau registrierbarem Fahrbahnkontakt, bewegte der Mustang sich durch die Kurven der Solitude-Rennstrecke; niedriger Schwerpunkt, harte Federung,neutrales, durch Sägen leicht kontrollierbares Verhalten in Kurven, direkte Lenkung - einen Ford mit solchen Merkmalen dürfte es tatsächlich noch nicht gegeben haben”.
Eingeschränkter Nutzwert
Einen Sportwagen ohne Dach und mit nur minimalem Raumangebot war wohl nie für die Massenproduktion gedacht. Die Motor Revue schrieb denn auch, dass ein solcher Mustang nie mehr als ein Zeitungs-/Magazin-Artikel werden könne, dass damit aber bereits Nutzen für Ford entstehen dürfte. Kritisch wurde der Wagen als “Pseudo-Rennwagen” beschrieben, dessen Fahrer eine Menge Gefühle empfinden könne.
Und so kam es denn auch - über das Prototypen-Stadium gelangte der kleine Ford-Sportwagen nie hinaus.
Der “richtige” Mustang macht mindestens zwei Schritte zurück
Bereits im Jahre 1964 wurde der “richtige” Ford Mustang angekündigt, nun viersitzig mit vorne montiertem Motor auch für Familien geeignet. Von den rennsportlichen Genen und von den innovativen Design-Ideen hatte der erfolgreiche Volks-Sportwagen nichts geerbt, aber immerhin blieb im der “schnelle” Name erhalten.
Was aber hätte werden können, wenn man am ursprünglichen Konzept festgehalten hätte, können wir uns heute nur erträumen.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 14/1963 vom 20. März 1963, ab Seite 7: Ford Mustang - Sportwagenexperient (Europapremiere am Genfer Salon)
- AR-Zeitung Nr. 52/1963 vom 5. Dez. 1963 - Seite 21: Der Sportwagen-Prototyp Ford Mustang (Kurztest)
- Motor Revue Nr. 44 1962/1963 (Winterausgabe), ab Seite 38: Vorstellung Ford Mustang
- Motor Revue Nr. 48 1963 (Winterausgabe), ab Seite 32: Mustang am Zügel
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