Es hat wohl viele überrascht, dass das diesjährige Bernina Gran Turismo Bergrennen im von Wetterkapriolen geprägten Ober-Engadiner Frühherbst das vielleicht schönste und sommerlichste der zahlreichen Automobil-Events im lebensfrohen St. Moritzer Veranstaltungskalender war. Regelmässige Besucher haben aus den Vorjahren eher den wolkenverhangenen Pass, eisige Böen und sogar Schneetreiben in Erinnerung. Heuer gab es am dritten Septemberwochenende Sonne pur, perfekte Temperaturen und sehr gute Strassenverhältnisse, wie sie kaum ein Schweizer Pass zu bieten hat.
Fangen wir vorne an: Bereits am Freitagmorgen, den 18. September 2025, versammeln sich die Teilnehmer und ihre rund 50 Fahrzeuge zur technischen Abnahme auf der Berg-Panorama-Wiese des Kulm Country Club in St. Moritz. Gleich am Eingang sind drei Bugatti-Prachtstücke unübersehbar: Der legendäre 1927 Type 35B von Martin Halusa, der mit Rennlizenz als einer von nur acht Teilnehmern – und neben seiner Frau Susanne Halusa im Ferrari 250 SWB – in der Competition-Klasse antritt. Daneben steht der von manchen als „erstes potentes Batmobil“ bezeichnete „Le Bolide“ mit 1600 PS-Leistung und ebenso viel NM-Drehmoment aus einem 4-fach-Turbo-W16 Triebwerk; das spricht für ganz neue „Trackday-Adrenalin-Level“. Gekrönt wird aber selbst dieses Meisterwerk von dem für viele bewundernswerten Type 59, „best of show“-Sieger von Pebble Beach (2024) und zudem regelmässig im Einsatz seines Besitzers Fritz Burkard. Seinen „Le Bolide“ pilotierte Burkard indes an den Folgetagen nicht allein; hier gibt es noch „Fahrstunden“ vom altgedienten Le Mans-Sieger Andy Wallace, vielleicht auch für Bugatti CEO Mate Rimac – ähnlich eines „type-ratings“ für Piloten in der Luftfahrt.
Freunde der besonderen Vorkriegsfahrzeuge werden verwöhnt mit Anbllick des 1928er Bentley 4½-Liter oder auch des legendären Alfa Romeo 8C (1932).
Weitere Champagnertrüffel fürs Auge, für die am Freitag in ihrer Anzahl noch überschaubaren Besucher, sind schnell ausgemacht: Ein Porsche 908, Jahrgang 1971, im Besitz des privaten Sammlers, Kunsthändlers und leidenschaftlichen Rennfahrers Ernst Schuster. Dieser brachte das Fahrzeug in den 70er Jahren unter anderen allein siebenmal in Laguna-Seca zum Einsatz. Rar und in der Herbstsonne noch bezaubernder erscheint dem Betrachter die aus Deutschland mit Martin Kapp angereiste „TZ2“ Alfa Romeo Giluia mit Zagato-Karosserie; für viele mit einer so schönen Formgebung, dass sie den schönsten historischen Ferrari-Modellen das Wasser reichen kann – und zudem sympathisch schlank und sportlich dasteht.
Noch weitaus exotischer und vielen bislang unbekannt war hingegen der „Tasmanian Devil“ getaufte Triumph „Asper“, welcher im Jahre 1957 für den Rennfahrer Geoff Taylor gebaut wurde – auf Basis eines TR3, versehen mit einer Fiberglass-Karosserie.
Springen wir zur weiteren Beschreibung des Starterfeldes lieber hinüber zum Samstag und direkt auf die legendäre Passstrasse, die von den Teilnehmern bergauf gefahren wird zwischen Poschiavo und Pontresina oder – noch präziser – mit Start in La Rösa und Zieleinlauf am Bernina Hospiz. Gestartet wird in drei Klassen: „Demonstration“, „Competition“ und „Regularity“, wo zwei Drittel der Fahrzeuge antreten, um in einem für das jeweilige Fahrzeug vernünftigen Tempo die 52 Kurven, 450 Höhenmeter und 5,7 Kilometer zu bewältigen. Alle Fahrzeuge und Klassen sind in den Teilnehmerlisten in der Fotogalerie zu finden; vereinzelt wurden Fahrzeuge allerdings von den Fahrern kurzfristig ausgetauscht – so der MG Magnette K2 von Gian Battista Camenisch gegen seinen E-Type 3.8 "flat floor" oder die Lotus Elite S2 von Kurt Engelhorn gegen seinen frühen Lotus Seven S1.
Samstag – Ferrari, Bentley und der Big Block
Auffällig und sicher einer der Höhepunkte im Teilnehmerfeld ist ein Ferrari 250 SWB Competizione (1962) der Scuderia Serenissima Venezia. Short Wheelbase bedeutet kürzerer Radstand, schönere Proportionen und mehr Agilität beim Fahren. Dazu passt der 3,0-Liter-V12 von Gioacchino Colombo – für viele Sammler der beste Ferrari-Motor seiner Zeit. Am Steuer sitzt Susanne Halusa, die mit frischer Rennlizenz eines ihrer ersten Rennen fährt.
Bedenkt man, dass der Ferrari 250 damals gebaut wurde, um sich in der Käufergunst von Jaguars neuen E-Type abzuheben, ist letzterer für etwa zwei bis drei Prozent der aktuell etwa bei 10. Mio. Euro liegenden Preismarke des Ferraris ein wahres Sonderangebot. Im Starterfeld am Berninapass standen sie nun, schön vergleichbar, nochmals direkt nebeneinander.
Ferrari ist auch moderner vertreten: mit einem 430 Scuderia aus dem Jahr 2007. Mit 510 PS aus einem 4,3-Liter-V8, reduzierten Kilos und extremer Akustik galt er als Maranellos Antwort auf Porsches GT3-Modelle. Besitzer Pierre Lonfat, sonst in der Szene bekannt für seinen F40, setzt seinen 430 denn auch mit unüberhörbarem Elan ein.
Der Begriff Ferrari bringt uns schliesslich zu einem Mann, der für die Bernina Gran Turismo mehrere Rollen in einer vereint: treuer Unterstützer, leidenschaftlicher Rennfahrer, agiler „Networker“ und ganz nebenbei vermutlich auch noch Fotomodell? Nicht viele Amateurfahrer haben im Renn-Overall die Ausstrahlung von Rennlegenden aus den 70er oder 80er Jahren, Ronnie Kessel hingegen schon. Und neben Ferrari liebt er bestimmte Klassiker aus Mailand: die hochgradig renntauglichen Alfa Romeo GTA/GTAm. In den 1960ern prägten diese Leichtbau-Tourenwagen die Motorsportgeschichte. Auffällig sind die ausgestellten Kotflügel („Widebody“) und die typischen „Wählscheiben“-Felgen. Mit geringem Gewicht, kurzen Übersetzungen und solider Motorleistung wurden die GTAs zu Erfolgsmodellen. Wir sind hier mit dem GTAm 1.6 mitgefahren – und waren sehr beeindruckt.
Für Lautstärke und Muskelkraft sorgt der amerikanische Beitrag: Ford Galaxie von 1963. Der Big Block V8 mit 7,0 Litern Hubraum, zwei Holley-Vergasern und rund 550 PS treibt 1,7 Tonnen über den Pass. Fahrer Alex Boller beschreibt die Fahrweise schlicht als „lenken mit dem Gaspedal“.
Ein weiteres Stück Vorkriegs-Geschichte zeigt der Alfa Romeo 8C 2300 aus dem Jahr 1932 und mit Zagato-Aufbau. „8C“ steht für acht Zylinder. Nur 188 Fahrgestelle wurden gebaut und an verschiedene Karosseriebauer vergeben. Der 8C gewann viermal in Folge in Le Mans und ist bis heute einer der wertvollsten Alfas überhaupt.
Sein Besitzer, Klaus Dold, sorgt zudem für fahraktiven Nachwuchs: Erstmals fährt seine erst 19-jährige Tochter Victoria Dold aktiv mit, im rally-erprobten Subaru Imprezza WRX STI Prodrive (2006). Im Gespräch brennt sie für den Motorsport und ist hoch motiviert dazuzulernen. An Veranstaltungen wie dieser wird sie mit offenen Armen aufgenommen.
Ebenso Vorkrieg, noch dazu britisch: Der Bentley 4½ Litre (Baujahr 1928). Mit 110 PS aus 4,4 Litern Hubraum gehörte er zu den schnellsten Autos seiner Zeit. Die berühmten „Bentley Boys“ setzten ihn bei Langstrecken wie Peking–Paris ein. Die aufgeladene „Blower“-Variante brachte es sogar auf 175 PS. Ins Engadin kommt ein Exemplar mit der Aufschrift „Bentley Belles“, denn dieser Bentley wird grundsätzlich von der Hamburgerin Katarina Kyvalova gefahren, eine der wohl aktivsten und bekanntesten Frauen der europäischen Oldtimer- und Renn-Szene, sechsfach Mille Miglia erprobt.
Ein Highlight für Puristen und alle, die die Trophäe des Gesamtsiegers des weltweit wohl berühmtesten Concours „Pebble Beach“ in Kalifornien als heiligen Gral begreifen: Der Bugatti Type 59 von 1934. Rund 250 PS, eine Spitze von 250 km/h und mit Siegen bei den Grand-Prix Algeria, Pau oder Reims. Das Exemplar von Fritz Burkard trägt noch den Original-Lack aus den 1930ern: schwarz mit gelbem Streifen – einst für König Leopold von Belgien so lackiert. Das Fahrzeug besitzt eine Art „gepflegte Patina“, wirkt extrem authentisch, ehrlich, in Würde gealtert und somit einfach besonders schön – und es hat in Natura eine unbeschreibliche Präsenz und Ausstrahlung: Man möchte es am liebsten sofort fahren und erleben – ungeachtet des durch die Pebble Beach-Auszeichnung sicher noch einmal um 30 Prozent gesteigerten Wertes in der Sammlerwelt.
Aus Stuttgart kommen gleich zwei Fahrzeuge von Mercedes-Benz Heritage: der 190 SL Rennsport, auf 150 PS erstarkt und mit Überrollbügel sowie Schalensitzen versehen sowie der 300 SL „417“. Dieses Fahrzeug nahm 1955 an der Mille Miglia, leistet damals beeindruckende 231 PS – und gewann zudem in der GT-Kategorie.
Britische Leichtbau-Kunst ist vertreten mit dem Austin-Healey 100S, einem raren Werks-Rennmodell, sowie dem Lotus Super Seven S1 – puristisch, extrem leicht und auf Fahrspaß reduziert. Diesen geniesst Bernina Gran Turismo Initiator Kurt Engelhorn und er ist nach eigener Aussage angetreten mit dem Ziel, „das preisgünstigste Auto der Veranstaltung zu fahren“; ein sympathischer Zug der zeigt, dass es ihm vor allem um das minmales Gewicht geht, was seit jeher die Lotus-DNA weit stärker prägte, als Luxus-Sportwagen-Preisschilder.
Auch der von Nico Patrone aus Barcelona gefahrene Jaguar XK120 kommt aus Engelhorns Garage. Freunde der Familie sagen, man erkenne dies schon an der grünen Farbe. In den frühen 1950ern war er der schnellste Serienwagen der Welt und ganz besonders das Coupé (britisch-umständlich auch FHC – Fixed Head Coupé) zeigt, wie Jaguar schon damals Eleganz und Geschwindigkeit verband.
Krönender Schlusspunkt: Der Porsche 908/03 Spyder. Sagenhafte 540 kg leicht, flach und hecklastig, gebaut für die Targa Florio. Gefahren einst von Brian Redman, dann vom über viele Jahre vom heutigen Besitzer Ernst Schuster und heuer vom fokussierten wie kenntnisreichen alten Schuster-Freund Franco Gansser. Der Wagen ist ausgestattet mit einem luftgekühlten Achtzylinder, der über 350 PS leistet. Das Auto hier „in action“ zu sehen, zu riechen und zu hören, macht Motorsportgeschichte sehr nah spürbar.
Der Sonntag – der Bolide und die Zeitenjagd
Der zweite Tag bringt nicht nur Klassiker, sondern auch Entscheidungen. In der Competition Class setzt sich Daniele Perfetti mit einer Zeit von 3:16.404 an die Spitze. Ronny Kessel folgt mit 3:37.121 auf Platz zwei. Jüngste Fahrerin ist auch hier Victoria Dold: Mit gerade 19 Jahren treibt sie ihren Subaru in 4:13 ins Ziel – beachtlich für ihr Debüt.
Weitere Fahrzeuge verdienen besondere Erwähnung: Der Lancia 037 Rally in Safari-Spezifikation trägt sein Ersatzrad sichtbar auf dem Dach – ein Relikt der 5.000-km-Etappen quer durch Afrika. Hier fragt man sich eher, ob der Aerodynamik ohne nicht besser wäre und wieviel Zeit das wohl kostet? Doch mit Kompressor statt Turbo, Mittelmotor und Heckantrieb gewann er 1983 die Rallye-Weltmeisterschaft – als letztes zweiradangetriebenes Auto überhaupt.
Mit ohrenbetäubendem Turbo-Pfeifen rollt der Audi Sport Quattro S1 die Passstraße hoch. Seine kurze Basis, riesigen Lader und markanten Lüfter am Heck machten ihn berüchtigt. Walter Röhrl bezeichnete den Wagen einst als „gefährlich“ – was seine Faszination nur verstärkt.
Ein besonderer Fahrer: Erik Comas, Ex-Formel-1-Pilot, steuert den Alfa Romeo GTAm mit breiten Kotflügeln den Pass hinauf. Seine Karriere war von Erfolgen, aber auch von einem schweren Unfall geprägt – Ayrton Senna war damals der Erste, der ihm half. Heute genießt Comas den Rallyesport.
Schliesslich ist der Porsche 911 3.0 RSR aus dem GELO Racing Team, Jahrgang 1974/75. Mit bulligem Sound und kompromissloser Mechanik ein Beispiel für 70er-Jahre-Renntechnik.
Daneben gibt es noch einen japanischen Farbtupfer: die Toyota Celica ST205, Rallyeauto der Saison 1994/95. Legendär wurde sie nicht nur durch ihre Siege, sondern auch durch die Disqualifikation 1995, als ein Turborestriktor-Manipulation aufflog.
Und erneut der Bugatti Bolide. Unter dem Carbonkleid arbeitet ein W16 mit vier Turboladern und rund 1.600 PS. Auf der Bergstraße reichen erster und zweiter Gang. Der Wagen ist kompromisslos als Rennfahrzeug entwickelt; keine Straßenzulassung, keine Kompromisse, maximale Aerodynamik. Heute steuert Fritz Burkard und neben ihm sitzt Andy Wallace, Le-Mans-Sieger und Bugatti-Testfahrer. Es ist vielleicht einer der letzten Einsätze dieses Hypersportwagens auf einer öffentlichen Straße.
Grosser Dank der Organisatoren gilt allen, die dieses Treffen voller Leidenschaft ermöglicht haben. Ohne Streckenposten, Organisatoren und Helfer gäbe es keine Genehmigung und kein Rennen – ihre Rolle ist essenziell. Sie arbeiten unentgeltlich, im Unterschied zu den professionellen Events wie etwa bei der Le Mans Classic. Es sind überwiegend Freiwillige am Werk; aus Leidenschaft und Passion. Und genau deshalb wollen wir auch hier darüber schreiben. Dank gebührt auch den Anwohnern für Ihre Toleranz und Geduld, angesichts der temporären Sperrungen einer wichtigen Verbindungsachsen aus Italien ins Engadin.
2025 wurden Teilnehmer und Besucher der 10. Bernina GT der Neuzeit regelrecht verwöhnt – vom Wetter, aber auch von der Ästhetik eines bunten Starterfeldes, von traumhaften Panorama-Bildern im Kopf und einer perfekten Organisation – all das gepaart mit einer fast familiären, warmen Atmosphäre.
Und allein die Übernahme der Organisation durch die junge Ana Engelhorn und ihr Team könnte dazu führen, dass zukünftig noch mehr jüngere Teilnehmer und auch mehr als eine Handvoll Frauen am Steuer sitzen wollen. Vielleicht regen wir unsere Leser ja nun dazu an – und die Anmeldung für 2026 wird sicher bald möglich sein.

















































































































































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