Ende der Zwanzigerjahre war Singer der drittgrösste Automobilhersteller Grossbritanniens, hinter Austin und Morris notabene. Rund neun Jahrzehnte später kennen die Marke nur noch eingeschworene Enthusiasten. Nur wenige wissen denn auch, dass Singer mit dem Ten einen der besten Cycle Cars seiner Zeit baute und mit technische Konzepten wie hydraulischen Bremsen oder obenliegenden Nockenwellen Trendsetter im Automobilbau war.
Der Singer Nine und seine Erfolge im Rennsport
Mit dem Singer Nine mit einem Vierzylindermotor und 972 cm3 wurden ab 1932 attraktive Sportwagen angeboten, die es auch im Rennsport weit brachten. 1933 trat man damit in Le Mans an und errang den 13. Rang, war gleichzeitig auch der erste britische Sportwagen unter 1000 cm3 ohne Kompressor, der sich für den Rudge Cup qualifizieren konnte.
Der Le-Mans-Erfolgt führte nicht nur zum erfolgreichen Verkauf des Strassenversion, sondern auch zu einer erstarkten Variante mit Sechszylindermotor.
Der grosse "Nine"
Natürlich hiess der grosse Bruder nicht mehr “Nine”, die Zahl hatte sich ja auf den steuertechnischen Hubraum bezogen. Man nannte die stärkere Variante Singer 1 1/2 Litre Le Mans und führte sie 1934 ein. Mit einem Hubraum von 1493 cm3 leistete der Reihensechszylinder mit obenliegender Nockenwelle und hängenden Ventilen - ein Konzept, das über Jahrzehnte zum Standard bei sportlichen Triebwerken wurde - rund 50 PS mit zwei SU-Vergasern. Schärfere Versionen mit drei SU-Vergasern leisteten sogar über 65 PS. Dabei blieben die Motoren elastisch und konnten sogar von schaltfaulen Piloten gefahren werden.
Chassisseitig übernahm man die Konzeption vom Singer Nine, gab aber rund 2,5 Zentimeter Radstand dazu, um Platz für den längeren Motor zu gewinnen. Trotzdem musste die Sitze von Fahrer und Beifahrer weiter hinten montiert werden, was auch Auswirkungen auf die Unterbringung der bis zu zwei Reserveräder hatte. Grössere Räder und ein paar Verstärkungen gehörten zu den Verbesserungen dazu. 375 Pfund kostete eine Strassenversion im Jahr 1935.
Der 1,5-Liter in Le Mans
Auch die grosse Version sandte man mit einigen Nine wieder nach Le Mans. Im Jahr 1935. Die beiden 1,5-Liter schlugen sich hervorragend und kamen auf Platz 7 und 8 ins Ziel, Brian E. Lewis und Johnny Hindmarsh fuhren dabei Startnummer 26, Frank Stanley Barnes und Alf Langley Nummer 25. Sie schafften 195 respektive 192 Runden und liefen über 100 MPH (ca. 160 km/h) auf der Geraden. Zudem belegten die beiden Werks-Singer die Plätze 2 und 3 im Rudge-Whitworth Biennial Cup. Ein eindrücklicher Erfolg, zumal die Singer Sportwagen auf Achse nach Frankreich fuhren.
Im Folgejahr wurden die Le-Mans-Teilnehmerautos nebst anderen zu Trial- und Rally-Cars umgebaut und machten den MG, Austin und V8-Ford das Leben schwer.
Im Jahr 1935 gab es zudem ein 1,5-Liter-Le-Mans-Special Mark II Chassis für 500 Pfund zu kaufen, das mit höherer Verdichtung, besserer Kühlung, Wettbewerbs-Auspuffanlage und grösseren Trommelbremsen und Speichenrädern ideal für motorsportliche Einsätze war. Inklusive Karosserie kostete dieser Special 595 Pfund.
Komplett ausgerüstet
Das Singer 1 1/2 Litre Le Mans Speical Speed Model von 1935 war mit Ledersitzen ausgestattet und der Boden war mit Teppichen ausgestattet. Es gab Taschen in den Türfuttern, ein Handschuhfach einen Rückspiegel und sogar einen Gepäckträger.
Das Verdeck konnte hinter den Sitzen verstaut werden. Eine Abdeckung sorgte dafür, dass es nicht staubig wurde. Sogar Werkzeug erhielt man zum Wagen, es war im Motorraum untergebracht.
Als Zubehör gab es beispielsweise zweifach ausgeführte Wettbewerbs-Reserveräder, passende Koffer in verschiedenen Grössen, Zusatzinstrumente, Lederriemen für die Haube oder bessere Scheinwerfer von Lucas, um ein paar Beispiele zu nennen.
Ein riesiger kommerzieller Erfolg war der Sechszylinder-Le-Mans nicht, es wurden gerade einmal 71 Exemplare hergestellt.
Unterwegs mit dem Sechszylinder
Auch der 1,5-Liter Singer ist (wie der Singer Nine) ein kleines Auto, 3,58 Meter misst er in der Länge, 1,45 Meter in der Breite. Aber selbst als mittelgrosser Europäer findet man hinter dem Lenkrad genug Platz. Startet man den Sechszylinder, ist man zunächst fast ein wenig enttäuscht. Für ein Fahrzeug mit Le-Mans-Teilnehmer-Ahnen verhält sich der 1,5-Liter-Motor fast ein wenig zu gesittet, seine Laufruhe hätte auch 30 oder 40 Jahre jüngeren Motoren gut angestanden.
Die nächste Überraschung ist der kurze Schalthebel, der über das klassische “H” die vier Vorwärtsgänge wählen lässt. Mit etwas Zwischenkuppeln und -gas gelingen geräuschfreie Schaltvorgänge. Die Fahrleistungen sind gut für ein Auto dieser Epoche, übermotorisiert fühlt sich der Singer aber sicherlich nicht an.
Den grossgewachsenen Piloten stört die obere Begrenzung der Frontscheibe, die genau im Sichtfeld sitzt und zusammen mit der Scheibenwischermechanik etwas von der ansonsten sehr guten Übersichtlichkeit nimmt. Aber abgesehen davon, ist der inzwischen achtzigjährige Singer ein Juwel zum Fahren.
Durchgängige Geschichte
Der portraitierte Singer Le Mans wurde am 28. Januar 1936 ausgeliefert und trägt die Fahrgestellnummer LM64. Damit dürfte er der siebtletzte gebaute Wagen dieses Typs sein. Seinen ersten Besitzer fand er in St. Leonards in Grossbritannien. Danach gelangte der Wagen über verschiedene Besitzer zum Restaurator Cornelius Trevor in Appledore, der ihn zwischen 1995 und 1999 komplett restaurierte. Im Jahr 2010 wurde der Singer mit Zulassung “DY 9255” in die Schweiz überführt und war dann hierzulande auch an Oldtimer-Veranstaltungen zu sehen.
Der für diesen Artikel portraitierte Singer 1,5 Litre Le Mans von 1936 wird am 28. Mai 2016 von der Galerie Fischer an der Swiss Classic World in Luzern versteigert .