Gegenläufig öffnende Türe ohne Mittelpfosten (B-Säule) oder Wegfahrsperre? Dinge, die als grosse Errungenschaften der Neuzeit gefeiert werden, gab es schon vor über 60 Jahren im Simca 8. Erfunden hatten diesen Kleinwagen allerdings nicht die Franzosen, sondern die Italiener, denn der Simca 8 war ein Lizenzbau des Fiat 508 C Balilla, der bereits Mitte der Dreissigerjahre präsentiert worden war.
Es begann 1935
Simca steht für “Société Industrielle de Mécanique et Carosserie Automobile” und ein gewisser Henri Théodore Pigozzi gründete diese Firma bereits 1935 in Paris-Nanterre, um in Lizenz Varianten der Modelle Fiat 500 und 1100 zu bauen. Zu diesem Zweck richtete sich Pigozzi moderne Produktionanlagen ein, die mit Werkzeugmaschinen amerikanischer Herkunft ausgestattet waren.
Bestanden ursprünglich kaum Unterschiede zwischen den Fiat- und Simca-Modellen, begannen sich diese nach dem zweiten Weltkrieg mehr und mehr zu differenzieren.
Dank der vergleichsweise neuen Maschinen und Produktionsmethoden war Simca schon früh in der Lage, hohe Qualität zu liefern, wie dies auch ein Besuchsbericht der Automobil Revue aus dem Jahr 1948 belegt:
“Ein Musterbeispiel moderner Technik in der Vorfabrikation von Karosserieteilen und Chassisträger stellt das grosse Blechstanzwerk dar, das, in einem weiträumigen, lichten Neubau untergebracht, mit seinen mächtigen «Pressen» einen packenden Eindruck hinterlässt.
Die Spezialmaschinen der Bestandteilfabrikation garantieren ein auf Hundertstelmillimeter genaues Fräsen, Schneiden, Schleifen und Bohren. Nicht nur sind die meisten Maschinen mit Mikrometer-Registrierapparaturen versehen, jeder einzelne Teil wird obendrein noch von einem Facharbeiter kontrolliert. Kein Wechselgetriebe, keine neue Kupplung und selbstverständlich auch kein Motor verlässt die Montagehalle oder das Fliessband ohne genaue Kontrolle.”
Beeindruckend war auch die Lackierung der Wagen, die auf einem schlangenförmig angeordneten Fliessband vorgenommen wurde:
“Jede Karosserie muss nicht weniger als 8 Einzelprozeduren mit der Spritzpistole über sich ergehen lassen und passiert dabei einen 650 m langen Tunnel, bis sie, dauerhaft gespritzt, lackiert, auf Hochglanz poliert und gebürstet, mittels eines Krans durch eine Luke auf das darunterliegende Fliessband herabgelassen werden kann.”
1948 war die Fabrik zwar auf weit über 20’000 produzierbare Fahrzeuge ausgelegt, produziert werden konnten von den in 45-Stunden-Wochen beschäftigten angelernten Arbeiter wegen Rohstoffmangels (Stahl, Gummi, etc.) nur etwa die Hälfte.
Zuverlässigkeit als Verkaufsvorteil
Von der qualitativ hochstehenden Fertigung profitierten die Simca-Modelle von Anfang an. Der Simca 8, vorgestellt auf dem Pariser Salon im Oktober 1937, entsprach weitgehend dem Fiat-Modell 508 C.
Von Anfang an setzte Pigozzi auf den Motorsport und auf Langstreckenfahrten. So liess er 1938 praktisch unterbruchsfrei einen Serien-Simca 8 50’000 km zurücklegen, 10’000 davon auf der Rennpiste von Monthléry, 20’000 auf Landstrassen, 20’000 in der Stadt Paris und bewies damit nicht nur die Langstreckentauglichkeit des Fahrzeugs, sondern auch seine Leistungsfähigkeit. Die Rennrunden waren mit einem Schnitt von 115,1 km/h zurückgelegt worden, die Landstrassen-Etappe endete mit einem Schnitt von 65 km/h. Gleichzeitig erwies sich der Simca als mustergültig sparsam.
Mit dem Appetit eines Vögelchens
Die beeindruckende Treibstoffökonomie wurde natürlich auch in den Verkaufsunterlagen weidlich ausgenutzt, “un appétit de l’oiseau” titelten die Prospektgestalter von Simca. Tatsächlich hatte der Simca 8 bei den 20’000 Stadt-Kilometern nur 6,5 Liter pro 100 km verbraucht, auf der Landstrasse gar nur 6 Liter und auch auf der Rennstrecke hatte sich der Wagen mit 7-8 Litern als sehr genügsam gezeigt.
Auch beim Verbrauchswettbewerb “Concours du Bidon de 5 Litre) gewannen regelmässig Simca-Fahrzeuge, im Jahr 1946 zum Beispiel Herr Boismard auf Simca 8, er legte mit dem Fünfliter-Kanister 68 km und 344 Meter zurück. Noch überzeugender sah das Ergebnis im Jahr 1947 aus, als ein M. Baumard die Passagier-Kilometerwertung mit 81,054 km und sechs Personen im Auto gewann, notabene immer noch mit fünf Litern Treibstoff.
“Plus de 110, moins de 9” fassten die Simca-Verkäufer die Eigenschaften des Simca 8 zusammen, er war schneller als 110 km/h und verbrauchte weniger als 9 Liter pro 100 km.
Moderne Konstruktion
Der Simca 8 profitierte dank seines modern gebauten italienischen “Bruders” von fortschrittlichen Konstruktionsideen. Der Motor wies einen Hubraum von 1’090 cm3 auf und leistete auf 6:1 verdichtet 32 PS bei 4’000 Umdrehungen. Die hängenden Ventile wurden über Stossstangen und Kipphebel angesteuert, der Zylinderkopf bestand aus Leichtmetall. Ein Vierganggetriebe lenkte die Kraft auf die Hinterräder. Die Bordelektrik war auf 12 Volt ausgelegt.
Das unabhängige Chassis wies vorne Einzelradaufhängungen an Querlenkern und Schraubenfedern, hinten eine Starrachse mit Halbelliptikfedern und Torsionsstabilisatoren auf. Die vier Trommelbremsen wurden hydraulisch angesteuert.
Die Karosserie der in der Schweiz 6’950 Franken teuren Limousine bestand aus Stahlblech, war aerodynamisch geformt und wies als Besonderheit je zwei gegenläufig öffnende Seitentüren ohne Mittelpfosten auf. Eher unpraktisch war der nur vom Innenraum zugängliche Kofferraum, doch dieser Nachteil wurde bei der Modellpflege Ende der Vierzigerjahre ausgeräumt.
Sorgfältige Modellpflege
In den Export gingen die Simca-Modell erst nach dem Krieg, der kompakte sportliche Simca 8 fand auch in der Schweiz schnell viele Freunde. Am Pariser Salon 1949 präsentierte Simca dann einen runderneuertes Modell, das einen stärkeren Motor aufwies. Mit nun 1’221 cm3 leistete die Maschine bei auf 6.1:1 erhöhter Verdichtung nun stolze 40 PS, was nicht nur eine verstärkte Kurbelwelle, sondern auch vergrösserte Hauptlager erforderte. Zudem profitierte der verbesserte Motor von einem separaten Ölfilter. Das Getriebe war neuerdings in den oberen drei Gängen synchronisiert und konnte über eine Lenkradschaltung bedient werden.
Auch die Hinterradaufhängung war durch Einbau von Teleskop- anstatt Kolbenstossdämpfern verbessert worden. Für die Käufer wichtiger war aber die funktionalere und wertigere Karosserie, die bereits einige Monate vor der Präsentation in Paris eingeführt worden war. Ein grösseres Rückfenster verbesserte die Rundumsicht und ein vergrösserter und über einen Heckdeckel zugänglicher Kofferraum machte den Wagen reisetauglicher. Auch die Motorhaube und der Kühlergrill waren modernisiert worden, doch dienten diese Änderungen primär ästhetischen Kriterien, genauso wie grosse verchromte Raddeckel und zusätzliche andere Chromapplikationen. Praktisch waren dafür die verstärkten Stossstangen.
Die Automobil Revue lobte in ihrer Berichterstattung im Juli 1950 die Qualität des zweifarbig gestalteten Innenraums, der mit den eher spartanisch anmutenden Ausführungen der ersten Nachkriegsmodelle rein gar nichts mehr zu tun habe.
Die elegante Sport-Variante
Neben den unterschiedlichen Varianten - Berline, Cabriolet Décapotable, Berline Décapotable, Coupé - stach ein Fahrzeug heraus, das formlich nur wenig mit den “normalen” Simcas zu tun hatte, der Simca 8 Sport.
Die bei Facel gebaute zweiplätzige Karosserie erinnerte stark an den Cisitalia und andere damalige italienische Sportwagen. Der Simca 8 Sport war kräftiger (50 PS) und schneller, dabei aber auch fast doppelt so teuer wie die normale Limousine.
Ablösung durch die Schwalbe
Im Vergleich zur ersten Generation (ab 1937) dauerte die Produktionszeit der zweiten Generation (1949-1951) nur kurz, denn schon 1951, nach insgesamt 110’146 in Nanterre produzierten Simca-8-Modellen, wurde mit dem Simca Aronde der Nachfolger vorgestellt. Die Schwalbe (deutsch für “Aronde”) erbte vom Modell 8 den Motor, wies aber einen selbsttragende pontonförmige Karosserie auf.
Simca 8 im Selbstversuch
Rundlich und hoch gewachsen (1,5 Meter) steht ein bei uns heute selten gesehener Simca 8 mit Jahrgang 1950 vor uns, also ein Modell, das alle Verfeinerungen der langen Produktionsgeschichte mitbekommen hat.
Wir bestaunen die formschönen Details der Karosserie, die Verzierungen und Ornamente, die hübsch gestalteten Heckleuchten und die für die heutige Zeit knappe Breite von nur 1,48 Metern. Runde 880 kg nur wieg die massiv gebaute Limousine und sie fühlt sich trotz der fehlenden B-Säulen robust an.

Vor dem Startvorgang ist sicherzustellen, dass die “Wegfahrsperre” in Form eines Metalldorns, der den Stromkreislauf unterbricht, wenn er entnommen ist, einem keinen Strich durch die Rechnung macht. Ist diese Klippe überwunden, wird per Zugschaltung die Zündung eingeschaltet und über einen weiteren Zug der Anlasser in Bewegung gesetzt. Und schon summt das kleine Motörchen.
Die Gänge werden am Lenkrad gewechselt. Und auch die beidseitigen Winker für die Richtungsanzeige werden über einen Ring am Lenkrad ausgefahren. Hat man sich mit den nur spärlich beschrifteten Bedienungsorganen angefreundet, stellt der Simca 8 kaum grosse Anforderungen an den Fahrer, sofern sich dieser für alle Manöver genügend Zeit lässt.
Vier Personen finden auf den französisch-weichen Sitzen Platz und dank der weit öffnenden Türen einen angenehmen Einstieg. Praktisch sind die Lederzüge, die ein Öffnen der Türschlösser erlauben, ohne dass man sich verrenken muss.
Das Gepäckabteil beinhaltet auch das Reserverad, das über eine fast schon geniale Lifteinrichtung nach draussen auf den Boden gehoben werden kann. Dahinter verbirgt sich dann zwar kein 600-Liter-Abteil, aber für damalige Anforderungen genügte es bestimmt.
“Conduire une Simca 8, c’est connaitre une joie nouvelle”, fabulierten die herrlich kreativen Simca-Verkäufer in den Vierzigerjahren, dem ist nichts zuzufügen.
Wir danken dem Autocenter Vogel für die Möglichkeit, uns mit dem Simca 8 ausführlich beschäftigen zu können.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 5 / 1948 vom 4. Feb. 1948 - Seite 10: Simca, ein Beispiel modernen Personenwagenbaus
- AR-Zeitung Nr. 30 / 1950 vom 5. Juli 1950 - Seite 9: Simca 1950
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