Ein Sportcoupé mit der Eleganz eines Ferrari, einem Reihensechszylinder-Motor und Platz für vier Personen, erreichbar nicht nur für Grösstverdiener? Da war die Luft dünn anfangs der Sechzigerjahre. Kein Wunder bestellten die Kunden wie wild und konnten kaum auf die Ankunft ihres neuen Schätzchens warten. Lieferfristen über ein Jahr waren keine Ausnahme. Doch halt, blättern wir zuerst einmal zurück!
Die Limousine definierte die Basis
Fiat war Ende der Fünfzigerjahre eine der dominierenden Automarken in Europa. Vier Limousinenreihen hatte man über die letzten Jahre eingeführt, die älteste war gleichzeitig die grösste der vier und stand nun zur Ablösung an.
Hierzu schufen die Leute um Dante Giacosa einen neuen modernen Reihensechszylindermotor, für den zwar neue Produktionsanlagen nötig waren, der aber dafür Produktionssynergien mit neuen Vierzylindermotoren bot.
Um den 1,8- oder 2,1-Liter-Motor herum entstand eine viertürige Limousine, sachlich durch die interne Design-Abteilung bei Fiat gezeichnet und nur minimal durch Pininfarina im Rahmen eines Beratungsmandates beeinflusst. Offensichtlich aber traf das Aussehen den Nerv der Käufer nicht perfekt.
Ghia, respektive Tjaarda, Sartorelli, Exner, Segre ...
Die Karosseriefirma Ghia, die gerade den Übergang vom Sonderkarosserienbauer zum Hersteller von Serienfahrzeugen meisterte, nahm sich der Plattform der neuen Limousine an und setzte, als Anziehungspunkt für den Turiner Autosalon von 1960, eine Coupé-Karosserie darauf. Das Resultat wurde “2100 S Special Coupé” genannt und stolz auf dem Ghia-Stand präsentiert.
Die Leute um Luigi Segre, zu der Zeit bei Ghia am Zepter, zeichneten ein gradliniges und schnörkelloses Coupé, dessen Besonderheit die dreiteilige Heckscheibe und die ungewöhnlich geformten hinteren Seitenscheiben waren. Wer genau die Zeichenstriche setzte, ist nicht 100% eindeutig überliefert. Manche nennen Tom Tjaarda, andere Sergio Sartorelli, die Automobil Revue deutete damals auf Luigi Segre als eigentlichen Schöpfer, aber auch Virgil Exner Jr. wird ein Teil des "Team-Designs" (nämlich die wichtige Heckfenstergestaltung) zugeschrieben. Wer immer es war, er basierte sein Produkt auf der unveränderten Limousinen-Plattform, was 2,65 Meter Radstand bedeutete und viel Raum für ein elegantes Design und einen grosszügigen Innenraum für vier Personen schuf.
Ghia kündigte eine Serienproduktion mit bis zu 15 Fahrzeugen pro Tag und eine optimierte 2,1-Liter-Maschine an. Doch so schnell ging es dann doch nicht.
Bereits am Genfer Autosalon von 1961 stand das Coupé dann nämlich auf dem Fiat-Stand, Fiat hatte das fremdgeborene Kind bereits adoptiert. Es sollte aber noch bis zum Turiner Salon von 1961 dauern, bis erstmals Aussenstehende den neuen Wagen probefahren konnten. Das Fahrzeug war inzwischen auf das Niveau der modellgepflegten 2,3-Liter-Limousine hochgezogen worden.
... und Carlo Abarth
Fiat liess dem neuen Sprössling das ganze Entwicklungsprogramm und alle Möglichkeiten der erweiterten Fiat-Organisation angedeihen. Carlo Abarth zum Beispiel hatte den Motor intensiv überarbeitet und speziell bei der S-Version umfangreiche Änderungen - zwei Weber-Horizontal-Doppelvergaser, angepasste Ventilsteuerzeiten, Überarbeitung des Ventiltriebs, Verringerung der Dämpfung durch Ansaugfilter und Auspff, etc - vorgenommen, die den Sechszylinder völlig verwandelten und nach SAE-Norm 150 PS stark werden liessen.
Auch fahrwerkstechnisch wurde nichts dem Zufall überlassen. Den Spagat zwischen kosteneffizientem Mitteleinsatz und geringstmöglichen fahrsicherheitsrelevanten Kompromissen schaffte Fiat mit Bravour. Scheibenbremsen ringsum und sorgfältig geführte (Einzel-) Vorder- und Hinterradaufhängungen (Starrachse) zeugen davon.
Hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis
Das ganze Paket wurde 1961 zum Preis von Lire 2’600’000 oder CHF 25’600 oder DM 20’900 angekündet, was angesichts des gebotenen so attraktiv aussah, dass Fiat beinahe von Bestellungen überrannt wurde und entschied, zuerst einmal die italienische Nachfrage zu befriedigen.
Erst im August 1962 kam das erste Fahrzeuge in die Schweiz und bald danach wurde auch der deutsche Markt beliefert, wo schon 1961 eine namhafte Anzahl Kunden das Auto praktisch vom Prospekt weg bestellt hatte.
Beeindruckte Branchen-Presse
Das bereit erwähnte erste offizielle Schweizer Fahrzeug wurde dann auch von der Automobil Revue im Winter 1962 über 5’000 km in einem “Kurztest” (!) bewegt. Die Redakteure lobten das sportliche und luxuriöse Interieur mit Nardi-Lenkrad, die umfangreiche Ausstattung (inkl. Handgas) und die breite Rückbank mit Platz für bis zu vier Kindern.
Mit dem Ausspruch “behende wie ein Wiesel” beschrieben die Testfahrer den Motor, der aussen in sattem, männlichen Ton aufheule, sich innen aber leise und gesittet gebe. Hohe Drehfreude und Durchzugskraft wurden als weitere Vorzüge genannt, genauso wie die mit 198,9 km/h hoch angesiedelte Spitzengeschwindigkeit.
Das Fahrverhalten beschrieben die AR-Schreiber mit untersteuernd, aber nicht schwerfällig. Der hohe Fahrkomfort sorgte für weitere positive Kommentare, genauso wie der mit 13 bis 15 Litern pro 100 km günstig empfundene Benzinverbrauch.
Reinhard Seiffert von der Fachzeitschrift “Auto Motor und Sport” testete das Fiat-Coupé im Jahre 1963. Ein Reisefahrzeug, kein Stadtfahrzeug sei der Fiat. “Fahren ohne Mühe”, war eine der Erkenntnisse, die Seiffert zog. 195 km/h schnell war der Fiat 2300 S und mit 16,1 Liter Benzin pro 100 km ging für die damalige Zeit auch angesichts der hervorragenden Fahrleistungen der Verbrauch in Ordnung.
Den Kraftaufwand für das Lenken bei Rangiermanövern und beim Langsamfahren empfand man als hoch, im normalen Fahrzustand seien aber nur wenig Betätigungskraft nötig.
In einem Vergleichstest von ‘hobby’ im Jahr 1964 mit dem in Deutschland fast gleich teuren Mercedes-Benz 230 SL hatte der Fiat dann doch einen relativ schweren Stand, denn das deutsche Sportcabrio beschleunigte besser (0 bis 100 km/h in 9,8 statt 10,7 Sekunden) und war auch etwas schneller (201 statt 197 km/h).
Die Schlussfolgerung mündete denn auch in der Empfehlung, den Mercedes zu nehmen, wenn nur zwei Personen zu transportieren und technische Finessen gefragt seien, aber zum Fiat zu greifen, wenn mehr Transportkapazität und Praxistauglichkeit wichtig seien.
Beide Wagen erhielten Bestnoten für Leistung und Fahrkomfort. “Preiswerte Reisesportwagen” lautete schliesslich das Verdikt für beide Fahrzeuge, wobei preiswert nicht mit billig verwechselt werden durfte.
Anzumerken wäre bei diesem Vergleich, dass der Fiat 1964 zwar in Deutschland preislich auf gleicher Höhe mit dem 230 SL lag, in der Schweiz aber gute 4'000 Franken oder den Gegenwert eines neuen Fiat 500 D günstiger als der Mercedes zu stehen kam. Angemessener wäre zudem ein Vergleich mit den ähnlich antretenden Alfa 2600 Sprint, Lancia Flaminia Coupé oder Mercedes-Benz 220 SE Coupé gewesen.
Ein Gran-Turismo, wie er im Buche steht
Nähert man sich heute dem glattflächigen Coupé, das mit 4,62 Metern Länge, 1,63 Metern Breite und 1,37 Metern Höhe sofort auffällt, muss man seine Schöpfer unwillkürlich bewundern. Noch heute strahlt der Fiat 2300 S Eleganz und zurückhaltende Schönheit aus, er wirkt teuer und edel. Selbst Stahlräder und Radkappen kreidet man ihm nicht an.

Im Innern trifft man auf das Sportwagen-Flair der frühen Sechzigerjahre und fühlt sich sofort wohl. Bequeme Sitze und eine gute Sitzposition, vor allem aber eine lichtdurchflutete Kabine und übersichtliche Rundinstrumente laden zum Losfahren ein.
Der Motor gibt ein grollendes Geräusch ab, das einen mehr an das Herz des Fiat Dino (V-Motor), als an den typischen Reihensechszylindersound erinnert. Das Getriebe lässt sich butterweich schalten. Gas, Bremse und Kupplung erfordern keine paranormalen Fähigkeiten. Unter 3’000 Umdrehungen tut sich wenig, darüber werden die Geister des Abarth-getunten-Motors wach und auch seine Lautäusserungen fallen mehr auf.
Man spürt, dass sich der 2300 S in langgezogenen Kurven und auf der “Autostrada” wohler fühlt als auf engen Serpentinen oder im Grossttadtdschungel und man geniesst jeden Kilometer Fahrt.
Wäre der Film “The Italian Job” einige Jahre früher gedreht worden, der genusssüchtige Gangster in der Eröffnungsszene hätte vielleicht ein Fiat-Coupé gefahren und nicht einen Lamborghini Miura.
Attraktive Ableitungen und Derivate
Eine ganze Reihe von Schwestern und Brüdern gesellten sich zum Serien-Coupé, Pininfarina baute gleich mehrere Sonderkarosserien auf der 2300-er-Basis, Michelotti baute ein Coupé mit eigenwilliger Front, Moretti stellte 1964 einen 2500 SS vor und auch Ghia vermehrte die Familie mit einer Sportkombi-Variante, einem Cabriolet und dem amerikanisch beeinflussten 230S mit Vieraugengesicht.
Ein wenig Evolution und Weiterentwicklung
Während seines sieben aktive Jahre dauernden Lebens bis 1968 wurden am Fiat 2300 (S) Coupé nur geringe Dinge angepasst.
1963 - Kenner sprechen von der Serie 1b - passte man sich in der Technik an die 2300 De Luxe Limousine an und man liess auch die “schicken” rahmenlosen Seitenscheiben verschwinden. Zudem änderte man die Form des Auspuffendrohres und die Gestaltung der Schriftzüge.
Im August 1964 wurden - mit der Serie 2 - einige Karosserie- und Ausstattungsdetails angepasst, so erhielt das Coupé (vorübergehend) andere Radkappen, sowie praktische Lufteinlässe zwischen Vorderrädern und Seitentüren, geänderte Sitze/Türverkleidungen/Armlehnen und ein Armaturenbrett aus Holz.
Mit dem Erscheinen des Fiat Dino Coupés wurde der 2300 S obsolet. So richtig geliebt hatte Fiat ihren Zögling wohl nie.
Preise tendenziell steigend
Der Fiat 2300 S ist kein Studentenauto, die Technik gilt zwar als zuverlässig, Unterhalt und Reparaturen sind aber nichts für kleine Sackgeldportionen und verlangen zudem nach mechanischem Feingefühl und viel Fachwissen.
Trotz der grossen Seltenheit - im Fiat-2300--Register sind rund 200 Fahrzeuge gemeldet, man kann davon ausgehen, dass weltweit daher total weniger als 300 Autos übrig geblieben sind - sind die Preise noch nicht auf Ferrari-Niveau angelangt. Allerdings können seit ein paar Jahren sanft steigende Preise beobachtet werden.
Ein gutes Coupé sollte seinem neuen Besitzer schon mindestens den Gegenwert einens neuen Oberklassen-Golfs wert sein, wegen der potentiell hohen Restaurationskosten empfiehlt sich einmal mehr, das bestmögliche Fahrzeug zu erstehen.
Ist man denn stolzer Eigner, kann man sich nicht nur wie Marcello Mastroianni im Sonntagsanzug fühlen, sondern dürfte auch beim nächsten Oldtimertreffen eine erfreuliche Abwechslung zum üblicherweise vorhandenen Fahrzeugangebot bieten.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 50 / 1961 vom 23.Nov.1961 - Seite 23: Kurztest Fiat Coupé 2300 und 2300 S
- AR-Zeitung Nr. 3 / 1963 vom 17.Jan.1963 - Seite 23: 5’000 km mit dem Fiat 2300 S Coupé
- AR-Zeitung Nr. 22 / 1966 vom 12.Mai.1966 - Seite 19: Kostproben der GT-Klasse im Rundstrecken-Kurztest, u.a. Fiat 2300 S Coupé
- Hobby Heft 18/1964, ab Seite 36: Fährt der Mercedes 230 SL dem Fiat 2300 S davon?
- Auto Motor und Sport Heft 3/1963, ab Seite 18: Test Fiat 2300 S Coupé
- Motor Klassik Heft 1/2003, ab Seite 42: Fiat 2300 S (Fahrbericht und Kaufberatung)
Wir danken dem Besitzer für die freundliche Zurverfügungstellung seines wunderschönen Coupés der zweiten Serie mit Jahrgang 1966.
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