“Das beste Strassenmotorrad, das BMW jemals baute”, lautet 1980 in der Zeitschrift Motorrad der Titel des ersten Fahrberichts zur BMW R 80 G/S. In der knorrig wirkenden Modellbezeichnung steht G/S für Gelände/Strasse, R bedeutet Zweizylinder-Boxermotor, die Zahl 80 steht für 800 ccm Hubraum. Die etablierten Motorradexperten beurteilen nach der offiziellen Präsentation am 1. September 1980 bei Avignon/Frankreich dieses Motorrad nach konventionellen Kriterien und üben angesichts der limitierten Möglichkeiten im Gelände verklausulierte bis offene Kritik.
Sticht heraus
Ein Geländemotorrad, darunter versteht man zu dieser Zeit hochbeinige Zweitakter mit Hubräumen bis 250 ccm und weniger als 120 kg Gewicht. Eine Yamaha XT 500 passt mit ihren 145 kg nur noch knapp in dieses Schema. Und nun kommt BMW daher und erklärt ein Motorrad mit einem 800 cm3 grossen Zweizylinder und 200 kg vollgetankt zur Geländemaschine.
Die Experten sind ratlos, loben allenfalls die Wendigkeit auf kurvenreichen Bergstrassen, um sogleich die mittelprächtige Vorderbremse zu bemäkeln. Macht nichts, abenteuerlustige Motorradfahrer erkennen auch ohne Hilfe der Fachleute, was diese Maschine ermöglichen wird: Freiheit und Abenteuer. In der Folge begründet die BMW R 80 G/S eine neue Motorradkategorie, jene der grossvolumigen Reise-E
nduros. In den folgenden Jahren erkunden Fahrer auf BMW R 80 G/S die abgelegensten Winkel der Erde auf Reisen und Routen, die zuvor wesentlich teurere Geländewagen erforderten.
Für Entdecker und Abenteurer
So bricht in den 80er Jahren eine Generation junger, abenteuerlustiger Motorradfahrer auf, um mit kleinem Budget und grossem Freiheitsdrang die Welt zu erkunden. Besonders beliebt und ersehnt sind die Wüsten Nordafrikas, zu denen man damals unkompliziert von zu Hause aus losfahren kann. Befeuert wird diese Sehnsucht nach Freiheit und Weite von den spärlichen Fernsehbildern der Rallye Paris-Dakar und vereinzelten Reportagen in Motorradmagazinen.
Für BMW ist die R 80 G/S ein unerwarteter Glücksfall. Mitte der 60er Jahre erwog man bei BMW die Einstellung des Motorradgeschäfts. Mit einer neuen Modellgeneration, bezeichnet als /5 (Strich fünf), konnten ab 1969 die Verkaufszahlen wieder gesteigert werden, doch der Erfolg ist von kurzer Dauer. Ende der 70er Jahre hat BMW das Leistungswettrüsten gegen die japanischen Hersteller endgültig verloren und gilt als Altherrenmarke, die schwachbrüstige Motorräder mit ungenügender Schräglagenfreiheit baut. In der Chefetage der BMW-Motorradsparte rollen Ende 1978 die Köpfe. Eine neue Führungsriege wird ernannt, die schnellstmöglich Erfolge vorweisen muss.
Das vorläufige Ende vom Motorradrennsport für BMW
Sportlich hat BMW zu der Zeit nichts mehr vorzuweisen: 1974 wurde mit einem BMW-Motor letztmals die Gespann-WM gewonnen, seither ist man mit Motorrädern nurmehr im Geländesport aktiv (die Bezeichnung Enduro kam erst ab 1981), der im Publikums- und Medieninteresse im Schatten des Motocross steht. Nur von Geländesport-Enthusiasten bemerkt holen Fahrer wie Herbert Schek, Richard Schalber und Lazlo Perez von 1970 bis 80 Titel und achtbare Platzierungen in der Geländesport-EM und –DM. Wobei teilweise Klassen für hubraumstarke Maschinen geschaffen werden, nur damit BMW weiterhin dabei bleibt. Doch an den Geländesport-Wettbewerben ist immer schwereres Gelände zu meistern, weshalb leichte Zweitaktmotorräder mit langen Federwegen zunehmend überlegen sind. Ende 1980 zieht sich BMW aus dem Geländesport zurück.
Dass die R 80 G/S aus den im Geländesport eingesetzten Prototypen abgeleitet wurde, ist eine unzutreffende Legende. Es handelt sich bei diesen Sportmotorrädern um handwerklich hochwertig gefertigte Einzelstücke, die für eine Serienproduktion ungeeignet sind. Der letzte Fahrer, der in der Saison 1980 noch von BMW unterstützt wird, ist Laszlo Perez, im Hauptberuf bei BMW Entwicklungsingenieur in der Motorradabteilung. Sein Rennmotorrad ist ein technisches Juwel, nur 142 kg schwer und mit zahlreichen aufwändigen Spezialteilen veredelt. An eine Serienfertigung dieses Prototypen ist nicht zu denken.
Dennoch kann BMW-Entwicklungsleiter Rüdiger Gutschke die Geschäftsleitung überzeugen, eine Geländemaschine zu bauen. Seine Argumente: Mit überschaubaren Entwicklungskosten würde man bereits nach kurzer Zeit ein neues Modell präsentieren können. Das Projekt bekommt im Winter 1978/79 grünes Licht. Zwischenzeitlich wird der italienische Hersteller Laverda mit dem Bau von Prototypen-Fahrwerken beauftragt, weitere Versuchsträger entstehen bei BMW.
Aufstockung der Technik
Die Basis für das Serienmotorrad sind Begleitmotorräder für Geländesportrennen, die auf Basis der Strassenmaschine R 80 aufgebaut wurden. So kommt es, dass die meisten Bauteile von den Strassenmaschinen übernommen oder zumindest nicht ausschliesslich für die G/S entwickelt werden.
Am Rahmen der R 80, eine bieder ausschauende Strassemaschine mit 800 ccm, müssen nur die Aufnahme für das einzelne, rechts montierte Federbein angeschweisst und die Aufnahmepunkte für das angeschraubte Rahmenheck geändert werden. Die Gabel mit 200 mm Federweg wird unverändert von der Strassenmaschine übernommen, ebenso das Fünfgang-Getriebe. Etliche Änderungen gibt’s am Motor, die jedoch alle praktisch gleichzeitig auch für die Strassenmaschinen übernommen werden: Wechsel von der Unterbrecher- auf eine elektronische Zündung, leichteres Schwungrad, Nikasil- statt Graugusszylinder samt entsprechenden Kolben und Kolbenringen, geänderter Luftfilter samt Gehäuse. Auch die Zweikolben-Bremszangen von Brembo werden zeitgleich auch in den Strassenmaschinen verbaut.
Andere Teile sind nur an der G/S zu finden, allen voran die Einarmschwinge samt Federbein, Hinterachsantrieb und das mit drei Schrauben befestigte Hinterrad. Ebenso der G/S vorbehalten ist das geländetaugliche, 21 Zoll grosse Vorderrad, der Tank mit 19,5 Litern Inhalt, die Kotflügel, vorne für den Geländeeinsatz hochgesetzt, das spartanische Cockpit, das Rahmenheck, die hochgezogene Auspuffanlage und die grellrote Sitzbank. Die auffällige Einarmschwinge entwickelte BMW aber nicht ausschliesslich für die G/S. Dieses Bauprinzip wird ab 1983 in den neu entwickelten Vierzylindermodellen der K-Serie und ab 1984 auch in den Schwestermodellen mit Boxermotor verwendet. Metzeler muss für das G/S-Projekt eigens Geländereifen entwickeln, die bis 170 km/h aushalten. Zuvor gab es solche Reifen nur mit Zulassung bis 130 km/h. Die Reifen dürften ein Faktor sein, warum BMW der G/S keine 1000 ccm gönnte, obwohl ein solcher Motor in den Strassenmodellen vorhanden war.
Die Rückkehr von BMW in den Motorradrennsport
Besser hätte das Timing nicht sein können: Am 1. September 1980 wird in Frankreich die G/S der Presse und den Händlern präsentiert. Wozu dieses Motorrad taugt, ist nur fünf Monate später eindrücklich klargestellt: Der Franzose Hubert Auriol gewinnt auf BMW die Rallye Paris – Dakar. 1983, 84 und 85 folgen weitere Siege durch Auriol und Gaston Rahier. Die Werksmaschinen, mit welchen die Siege eingefahren werden, sind Prototypen der spezialisierten Kleinfirmen HPN und Schek. Aber das ist wieder eine andere, eigene Geschichte.
Eine kleinere Stückzahl wird noch im Herbst 1980 ausgeliefert, auf die Saison 1981 wird die G/S zum Verkaufschlager: Gemäss der knappen Kalkulation wäre die Gewinnzone nach 2000 verkauften G/S erreicht, Ende 1981 sind jedoch schon mehr als 6000 Stück abgesetzt, in Deutschland zum Preis von Preis 8350 Mark, in der Schweiz für 7500 Franken, ohne Zubehör. Auf 1982 kommt eine dezentere Farbvariante in dunkelblau mit schwarzer Sitzbank. Auch erinnert man sich bei BMW der lobenden Worte zur Strassentauglichkeit der Enduro und stellt auf 1984 mit kleinem Aufwand die Strassenvariante R 80 ST auf die Räder, bis auf das Vorderrad, die Gabel und das Federbein sowie Cockpit und Lenker identisch mit der G/S. Mit einem Sondermodell mit 32 Liter grossem Tank (mit viel zu kleinen Aussparungen für die Knie des Fahrers) und einplätziger Sitzbank werden die Rallye-Erfolge kommerziell genutzt. “Wenn die G/S gefloppt hätte, dann wäre es ein sehr preiswerter Flop gewesen”, sagte Perez vor 20 Jahren, als an einem GS-Treffen das 20-jährige Modelljubiläum gefeiert wurde.
Cash Cow
Bis 1987 werden 21’864 G/S und dazu 5963 ST gebaut, dann folgt mit den R 100 GS und R 80 GS (ohne den Schrägstrich in der Modellbezeichnung) die zweite Modellgeneration. Die R 100 GS wird nicht in die Schweiz importiert, der Motor mit 1000 ccm schafft die damaligen nationalen Schweizer Abgas- und Lärmvorschriften nicht.
Längst ist die GS-Baureihe das Hauptgeschäft der Motorradsparte, die zweirädrige Cash Cow von BMW. Derzeit ist mit der R 1250 GS die achte Modellgeneration im Handel. Weit über eine halbe Million BMW der GS-Modellfamilie sind bis heute gebaut, ein Ende ist nicht absehbar. Die GS-Modelle tragen von allen Modellfamilien am meisten dazu bei, dass BMW die Motorradproduktion von kaum 25'000 Stück anno 1980 auf aktuell mehr als 175'000 Maschinen steigern kann.
Kann bestehen
Längst hätten alle Jahrgänge der G/S und auch schon Nachfolgemodelle bis Jahrgang 1990 Anrecht auf den Veteranenstatus. Hätten, doch die meisten dieser Motorräder werden weiterhin als Gebrauchs- und Reisemaschinen gefahren, mit Kilometerleistungen von weit mehr als 2000 bis 3000 km pro Jahr, wie sie Veteranenmotorrädern zugestanden werden. Für Reisen in abgelegene Gebiete gelten entsprechend vorbereitete R 80 G/S oder GS weiterhin als gute Wahl. Die Ersatzteilversorgung ist gerade in der Schweiz tadellos, was dem gebürtigen Südafrikaner Mark Huggett und seiner Frau Esther zu verdanken ist. Sie vertreiben mit ihrer Firma Mark Huggett GmbH weltweit Ersatzteile für klassische BMW-Motorräder und lassen nicht mehr lieferbare Teile nachfertigen.
Darüber hinaus ist die Auswahl an Tuning- und Spezialteilen für diese Modellreihen heute reichhaltiger als zu der Zeit, als diese Motorräder noch gebaut wurden. Wenn das so bleibt, werden R 80 G/S und R 80 GS wohl noch jahrelang als Alltags- und Reisemaschinen gefahren. Angezogen haben jedoch die Preise. Nur etwa ein Jahr lang, etwa um 2004, waren ramponierte G/S oder GS mit hohen Kilometerständen um 1500 Franken zu haben.
Um die G/S ist inzwischen ein Hype entstanden, da werden Preise um EUR/CHF 10'000 Franken verlangt. Ab rund EUR/CHF 4000 sind gebrauchte R 80 GS aber noch zu haben. Derzeit.
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Es zeigt, dass mit guter Modellpolitik (fast) alles möglich ist. Es gibt leider auch die umgekehrte Geschichte. BSA war zu Beginn der 60er Jahre einer der weltgrössten Motorradhersteller und gut 10 Jahre später Pleite - wegen einer falschen Modellpolitik und mangelhafter Qualität.
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Ich selber habe auch eine sehr schöne BMW R 80 G/S mit Veteraneneintrag zu Hause. Leider kann ich diese nicht mehr selber fahren und würde diese verkaufen
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