Eigentlich muss man den Deutsch-Australier Helmut Newton (1920-2004) nicht vorstellen. Er gehört zu den einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts und Berühmtheiten von David Bowie bis Nastassia Kinski liessen sich von ihm ablichten. Magazine wie Vogue und Playboy waren seine Spielwiese, sein Stil wurde von vielen anderen Fotografen kopiert.
Helmut Newton hatte sicherlich viel Sinn für Ästhetik und Stil und als es in den Sechzigerjahren darum ging, sich für ein besonderes Automobil zu entscheiden, entschied er sich 1964 für einen Bentley, allerdings keinen Neuwagen.
Newtons Bentley-Kauf
Er fuhr also zum Pariser Rolls-Royce- und Bentley-Händler Franco-Britannic und liess sich die gebrauchten Bentleys im Untergeschoss zeigen. Als Budget nannte er 10’000 französische Francs. Dafür wurden ihm allerdings nur einige ältere R-Types offeriert. Doch sein Blick fiel auf einen silber-blau-metallisierten Wagen in der Ecke, erklärte er in seiner Autobiografie von 2003. “Das ist der Wagen, den ich will”, erklärte er dem Verkäufer. “Den können Sie sich nicht leisten, dies ist der Wagen von Frau Peugeot, den sie nutzte, um zum Golfspielen zu fahren”. 23’000 Francs betrug der Preis für den ’S’ Continental Sports Saloon.
Newton zog von dannen, allerdings nur um einen Monat später an einem Samstag Morgen zurückzukehren. Kurz vorher hatter er das Honorar für eine Agentur-Arbeit erhalten und dieser Scheck reichte genau aus für den Kauf des Bentleys. Er übergab das Geld in Neuilly und fuhr den Bentley euphorisch nach Hause.
Bei Madame Peugeot handelte es sich um die Ehefrau von Jean Pierre III Peugeot (1896-1966), zu jener Zeit verantwortlich für die Leitung des Autoherstellers Peugeot. Tatsächlich war Chassis BC4LBG als einer von insgesamt 26 gebauten linksgelenkten Bentley “S” Continental mit Mulliner-Karosserie am 9. Mai 1956 an die Société Anonyme des Automobiles Peugeot ausgeliefert worden, zu jener Zeit in den Farben Silber und Schwarz-Metallic lackiert und das Interieur in hellbraunem Leder ausgeführt.
Als Besonderheiten wurden damals der Tacho in Kilometern, die Marchal Scheinwerfer, eine Fussbetätigung für die Hupe, französische Reflektoren und ein Rouleau an der Heckscheibe genannt.
Auf dem Weg zur Vollkommenheit
Im April 1955 hatte Rolls-Royce neue Modelle vorgestellt. Sie lösten den Rolls-Royce Silver Down und den Bentley B 7 ab. Als Rolls-Royce Silver Cloud und Bentley ’S’ perfektionierten sie die Technik des Vorgängers mit dem Ziel, weiterhin die besten Wagen der Welt zu bieten.
Der Fahrwerksrahmen war neu entworfen worden. An Stelle der früheren U-Profile kamen nun geschlossene Kastenträger zum Einsatz. Rund 145 kg wog der neue Rahmen, der um 30 Prozent steifer war und eine zweieinhalb längere Lebensdauer garantieren sollte.
Viel Gewicht wurde auf Geräuschdämmung gelegt. Gleichzeitig wurden die vorderen Aufhängungen überarbeitet und leichter gestaltet. Auch die hintere Starrachse wurde optimiert, um mehr Komfort und Fahrsicherheit zu ermöglichen.
Auch die Bremsanlage mit Trommeln rundum wurde neu konstruiert und wich nun vom vorher gewählten Prinzip der selbstverstärkenden Bremsen ab.
Der nun 4887 cm3 grosse Reihensechzylindermotor war ebenfalls optimiert worden, um Laufruhe und Lebensdauer weiter zu verbessern. Mit neuen eigens für RR entwickelten Membranvergasern des Typs SU-H 6 konnte das Strömungsverhalten verbessert und die Leistung gesteigert werden. Auf schnöde PS-Angaben verzichtete der Hersteller wie schon zuvor.
Als Kraftübertragung kam ausschliesslich die in GM-Lizenz selbsthergestellte Hydramatic Dual Range mit vier Vorwärtsgängen zum Einsatz.
Das Continental-Chassis
Kurze Zeit nach der Vorstellung der Limousinen Silver Cloud und ’S’ präsentierte der Hersteller auch den Bentley Continental. Dabei handelte es sich im Prinzip um ein optimiertes Silver-Cloud-/’S’-Chassis für Aluminium-Spezialkarosserien, welche die Firmen Park Ward und H.J. Mulliner lieferten. Während Park Ward ein Cabriolet und eine zweitürige Limousine baute, kam von Mulliner ein Sport-Coupé mit schrägem Heck, das an den berühmten R-Type Continental anschloss.
Die Automobil Revue konnte im November 1955 die offene Park-Ward-Version probefahren:
“Die Detailänderungen haben aus dem Bentley Continental einen neuen Wagen gemacht. Entgegen den Erwartungen ist er vom automatischen Getriebe nicht verdorben, sondern verbessert worden. In der Stellung 1-4 weiss der Fahrer selten, in welchem Gang er sich befindet, denn das Getriebe schaltet wesentlich weicher als selbst das Original-Hydramatic. Erst bei hohem Tempo (so etwa bei gegen 130 km/h, wo der dritte Gang bei Vollgas automatisch aus- und der vierte einschaltet) hört man den Drehzahlunterschied beim Gangwechsel. Die Beschleunigung ist noch besser, die Lenkung wesentlich leichter und stossfreier, dabei präziser geworden, und die Insassen spüren auch beim Kurvenfahren kaum, wenn der Wagen schon weit über dem Durchschnitt (und schneller als viele Sportzweisitzer) geführt wird. Von der Wirkung der Verstellung der hinteren Stossdampfer (durch einen kleinen Hebei an der Lenksäule beim Armaturenbrett betatigt) war bei unserem kurzen Test nicht viel zu verspüren. Mit einem Tempo von rund 155 km/h nach Tacho, die auf der kurzen Goodwood-Geraden spielend erreicht wurden, gehört der Continental zu den wirklich schnellen Wagen der heutigen Produktion, die aber auch im Schritttempo allen anderen Typen ein Vorbild sind.
Fazit: Ohne jede revolutionäre Änderung ist es den Konstrukteuren gelungen, mit dem neuen Typ wiederum einen Vorsprung gegenüber dem heute üblichen Stand im Automobilbau herauszuholen. Die Summe der guten Eigenschaften des Bentley Continental dürfte heute unübertroffen sein. Sie muss bekanntlich auch bezahlt werden.”
75’000 Franken (84’000 DM betrug der umgerechnete Pfund-Neupreis) waren 1956 für einen Bentley Continental Sports Saloon mit Mulliner-Karosserie zu bezahlen. Dafür hätte man auch fast zwei Ferraris fahren können. Trotzdem, hätten die AR-Testfahrer dieses Coupé fahren können, wären sie vermutlich noch eine Spur begeisterter gewesen, schliesslich war seine Linienführung im Windkanal optimiert und die hinteren Kotflügel auf Höchstgeschwindigkeitsstabilität ausgerichtet worden. Windgeräusche hatte man soweit möglich minimiert.
Der Mulliner-Continental wirkte gleichzeitig elegant und schnell, ein richtiger Luxus-GT, der es mit den schnellsten Sportwagen der Welt aufnehmen konnte und für den eine Spitzengeschwindigkeit von rund 195 km/h erreichbar war, dies nicht zuletzt dank einer höheren Verdichtung von 7,25:1 beim Motor.
Rund 1600 bis 1700 kg wog ein solcher Continental, der es immerhin auf eine Länge von 533 cm und eine Breite von 183 cm brachte, kombiniert mit einem Radstand von 312,5 cm.
Viel Auto für viel Geld also, genau das Richtig für Leute, denen nur das Beste genügen konnte.
Leihgabe an Eric Rohmer
Der Bentley Newtons hatte 1967 einen vielbeachteten Auftritt im Film “La Collectionneuse” von Eric Rohmer. Wikipedia beschreibt den Inhalt folgendermassen: “Ein Mann lernt ein junges Mädchen kennen, mit dem er sich eigentlich nicht einlassen will, was ihm jedoch zunehmend schwerer fällt.” Na ja …
Immerhin gewann der Streifen den “Silbernen Bären” der Berlinale.
Acht Jahr in Newtons Besitz
Helmut Newton, der ursprünglich übrigens Helmut Neustädter hiess, hielt seinem Bentley acht Jahre die Treue. Der Besitz wurde ihm zu aufwändig, denn aus Mangel an überzeugenden Alternativen fuhr er den Wagen zur Wartung stets nach Genf. Nach einem Herzinfarkt im Jahr 1970 wurde ihm dies zu kompliziert.
Neuer Eigner war dann ein Franzose, der den Wagen wiederum einem bekannten französischen Auktionator verkaufte. Zwei weitere Besitzer folgten bis heute. In den Bentley wurde über die Jahrzehnte viel investiert und die Lackierung änderte mehrmals.
Jetzt soll der Continental an der Bonhams-Versteigerung von Zoute am 8. Oktober 2023 einen neuen Besitzer finden.
Der ’S1’ Continental wurde von 1955 bis 1959 gebaut. Mulliner karossierte 218 Exemplare. Mit dem S1 endete dann die Fastback-Karosserie, die mit dem R-Type Continental ihren Anfang hatte.