Wenn auf einem kleinen Gemeinde-Marktplatz etwa 30 Dino-Motoren mit nur zwei oder 2,4 Litern Hubraum, aber auch mit Rennsport-DNA gestartet werden, dann strahlt ganz am Rande sogar eine elegante ältere Dame bis über beide Ohren. Sie ist unmittelbare Anwohnerin an jenem zentralen Platz in Silvaplana, der heute meist sehr ruhig ist und doch, bis 2018, eine Art Zielflagge und stark befahrenes Einfallstor für alle über den Julier-Pass ins Engadin anreisenden Motoristen war. Im Vergleich zum irgendwie ehrlichen Dino-Sechszylinder-Sound mag man sich da kaum den heutigen Stör- und Stresspegel vorstellen, wie er hier aus getunten Porsche-GT3- oder Maserati-Coupé-Klappenauspuff-Klangorgien erzeugt wird, beim Bergab-Gangherunterschalten.
Heute, am kühlen und verregneten und daher etwas schüchternen kalendarischen Sommeranfang, dem 21. Juni, wird der Platz erfüllt von einem stolzen Orchester aus mechanischen Ansaug- und Endrohr-Klängen, herbeigesehnt und dirigiert vom Gastgeber und Initiator Daniel Bosshard, einem umtriebigen Hotelier und zugleich Silvaplanas Gemeindepräsident. Es ist der erste Programmtag des 3. Internationalen Dino Raduno, welches von 20. bis 23. Juni in Silvaplana und mit einem Radius von Davos über die Diavolezza (vor der Haustür) bis Bergamo stattfand. Bosshard ist selbst leidenschaftlicher Dino-Fahrer mit sowohl einem Dino 246 GTS, als auch mit einem frühen Fiat Dino 2000 Spider.
Es ist bemerkenswert, wie unterschiedlich eine handvoll Dino-Modellvarianten aussehen und sich anfühlen kann. Sie alle verbindet die rührende Geschichte von Enzo Ferraris schwer erkranktem und früh verstorbenem Sohn Alfredino, der als talentierter Ingenieur für die Formel 2 einen drehfreudigen Sechszylinder-Rennmotor mit zunächst 1,5 Litern Hubraum entworfen hat. Schon damals sah das Reglement vor, dass er zu Homologationszwecken in 500 Strassenfahrzeuge eingebaut werden musste; die Geburt der Dinos. Gestartet wurde dabei mit zwei Litern Hubraum im 206. Um die Maschine jedoch etwas alltagstauglicher zu machen, wurde der Hubraum auf 2,4 Liter vergrössert. Daher gibt es wenige Zweiliter- und eine Menge 2,4-Liter-Fahrzeuge – welche sich im Verkehr tatsächlich etwas harmonischer und "bäriger" beim Drehmoment anfühlen. Das überrascht wenig und macht das Dino-Fahren aus Sicht vieler Fans nur noch genussvoller.
Heute sind alle Dino-Varianten selten und sehr begehrt. Daniel hat sie alle gerufen, und sie sind zahlreich erschienen: Bis aus Illinois oder gar aus Maui (Hawaii) sind Teams angereist und haben mehr als 30 Fahrzeuge ins gepflegte Silvaplana mitgebracht. Deutsche und Schweizer Teams sind klar in der Mehrheit, doch noch mehr gute Laune versprühen einige Teilnehmer aus Frankreich und Italien. Das berühmteste Dino-Modell, der 246 GT und GTS, ist gleich im Dutzend vertreten. Mit auf dem Platz stehen ein Lancia Stratos HF, eine handvoll Dino 308 GT4, wenige 208 GT4 sowie fünf Fiat Dino Spider und vier Coupés. Auch sie besitzen den Dino-Sechszylinder und sollten auf Wunsch des zweiten Giovanni Agnelli das neue Fiat-Topmodell sein. Im Gegenzug baute Fiat die Dino-Motoren in Serie und löste für Enzo Ferrari ein Problem; dieser hatte damals kaum Kapazitäten für grosse Stückzahlen.
Die Raduno-Teilnehmer erwartet ein Programm mit reichlich Zeit im Auto. Und wie in diesem Sommer üblich, gibt es natürlich zu Beginn eine Starkregen-Etappe – hier über den Flüela-Pass nach Davos. Nach der Rückkehr über den Albula-Pass wird parkiert und trockengeputzt. Denn es wartet ein Concours der Dino-Eleganz, eine immer gut zu Pininfarina- oder auch Bertone-Designs passende Disziplin. Sieger gibt es dabei in allen Fahrzeug-Variationen sowie den Kategorien Rarität, Authentizität oder Gesamterscheinung und Qualität. Es sind harte Entscheidungen für die Jury, angesichts des hohen Niveaus sowohl an Restaurierungsqualität, als auch an erfolgreichem Patina-Erhalt bei charmanten Fahrzeugen mit Erstlack und Erstleder.
Ein Exot und vielleicht noch schöner als die anderen Schönen ist unbestritten eine bereits im Jahr 1967 gebaute Replik des Ferrari Dino 196 S, auch bekannt als "Fantuzzi-Dino", den Albert Vicentini vor einigen Jahren in der italienischen Provinz fand; fast wie ein erfolgreicher Perlentaucher. Er konnte ihn als "absolut unverkäufliches Fahrzeug" erwerben und in der Schweiz originalgetreu restaurieren. Viele Vorlagen gab es nicht; nur ein einziger 1958 bei Scaglietti gebauter 196 S hat als Original überlebt, während zugleich in den 1960er-Jahren etwa zehn weitere Repliken entstanden und bis heute so selten bewegt werden, dass kaum jemand mal je einen gesehen hat. Wie lobenswert erscheint dagegen dieser unerschrockene und freudvolle Regeneinsatz von Vincentini.
Der Samstagmorgen begrüsst die Teilnehmer verheissungsvoll mit Frühnebel, welcher – besser als erwartet – schon zur Fahrerbesprechung um 7:00 Uhr den Weg für die Sonne frei macht. Es fühlt sich an, als hätte der Wettergott allen Prognosen zuwider ein Erbarmen mit Fahrzeugen, die sonst sicher selten Wasser sehen und auch nicht dafür gebaut wurden. Nachdem gegen 8:00 Uhr fast alle Feriengäste Silvaplanas mit fröhlichem Abschieds-Gehupe geweckt wurden, führt die Tour im ästhetischen rot-gelb-blauen Konvoi den Malojapass hinab, entlang des Comer Sees nach Bergamo, mit dem Ziel Dino-Point. "Das ist das wichtigste Spital für unsere Dinos weit und breit.", bringt es ein Teilnehmer auf den Punkt. Und so schwärmen die "Pfleger" vom Dino-Point in stilvollen Dino-Overalls bei der Ankunft der grossen Dino-Familie aus und lauschen beim koordinierten Einparken, welcher Dino etwas Zuwendung vertragen könnte. Dino-Point-Chef Walter Scudeletti begrüsst seine Gäste fliessend in drei Sprachen mit Details zur Firmenhistorie, Anekdoten aus dem Motorenbau und einer Führung durch sein vielleicht weltweit grösstes Dino-Ersatzteillager; vor allem mit geprüften oder bereits überholten Gebrauchtteilen.
Auf der Rückreise ist auch das jüngere Italien langsam aufgewacht und auf dem Weg zum Baden an den See. Diesen kreuzen heute immer wieder die 35 Dino-Fahrzeuge, welche als nationales Erbe ähnlich viel Aufmerksamkeit erregen könnten wie ein unangemeldeter Pabstbesuch. Und sie werden tatsächlich mit reichlich Hupen, Winken und strahlenden Gesichtern begrüsst. Noch interessanter ist eine andere Beobachtung: Ein blauer 208 GT4 im kantigen Siebzigerjahredesign und mit passenden alten Mailänder Kennzeichen erzeugt jedenfalls bei jüngeren Männern deutlich mehr Begeisterung und "Haben-wollen"-Blicke, als die eher rundlichen 206 / 246 GT oder Fiat Dino Spider – welche dafür elegante Zeitungsleser oder Frauen jeden Alters zum Strahlen bringen.
Im kommenden Sommer ist das vierte Dino Raduno Silvaplana geplant und auch, dieses erstmals für ausgewählte Ferrari-Fahrzeuge zu öffnen. "Wir haben hier in Silvaplana eine wunderbare neue Partnerschaft mit dem traditionsreichen Ferrari-Spezialisten Carugati aus Genf besiegelt.", freut sich der Gastgeber Daniel Bosshard. Wer dabei sein will, sollte für 2025 zwingend einen Ferrari oder Dino mitbringen (natürlich inklusive 246 GT / GTS) und sich früh anmelden. Das geht am besten direkt an [email protected] oder über die Webseite der Gemeinde Silvaplana. Dort empfiehlt sich auch eine Beratung zu den Möglichkeiten für Clubtreffen aller Marken.
Festzuhalten bleibt: Es war ein perfekt organisiertes Event, und es gibt wohl selten Gemeinden und Regionen, wo Oldtimer- und Youngtimer-Veranstaltungen so genussvoll und zugleich mit so hoher Wertschätzung durchgeführt werden können wie im Oberengadin; insbesondere in Silvaplana. Und wenn auch dieser Ort bereits spürbar verkehrsberuhigt ist, sollte man sich hier oben davon keineswegs irritieren lassen. Ausnahmen gehören zur Regel – und sie erzeugen kulturelle Vielfalt.























































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