Die Baureihe W 114/155 gehört zu den meist gefahrenen Klassikern im deutschsprachigen Raum und ist unter den Top der Fahrzeug mit H-Kennzeichen in Deutschland zu finden und bei keinem Oldtimertreffen wegzudenken. Eingebrannt ins deutsche Strassenbild als schwarze, später taxi-beige Droschke vor Bahnhöfen und Rathäusern Deutschlands der 70 und 80er Jahre symbolisiert der 200 D – ähnlich wie der Käfer das deutsche Wirtschaftswunder – das anschliessende Jahrzehnt der Lohnerhöhungen bei Arbeitern und Angestellten. Wer es sich leisten konnte und wollte, stieg vom Käfer um, auf einen Mercedes. Es musste ja nicht gleich der 280E sein, der 200 D war günstiger in Unterhalt und beim Einstiegspreis.
Ein neues Image für Mercedes
Alexander F. Storz widmet sich im Buch Mercedes Strich-acht auf knapp 150 Seiten der Geschichte der „Neuen Generation“ W 114/115, die 1968 auf den Markt kam. In elf Kapiteln untergliedert er sein Buch und beleuchtet dabei die Entwicklungsgeschichte, die Modellpflegen , Sonder- und Exportversionen, insbesondere für den US-Markt und bettet den Strich-Achter in die Mercedes-Geschichte ein.
Denn hier liegt die besondere Bedeutung dieses Modells, mit dem erstmals nach 1945 eine klare Trennung zwischen den Modellen mit 4- und 6-Zylindermotoren in zwei Baureihen etabliert wurde. Es gab nun eine Baureihe für die Mittelklasse der Gesellschaft. Direktoren und Vorstände mussten sich noch bis 1972 gedulden, dann wurde die neue S-Klasse (W 116) lanciert. Beide Baureihen sollten das Image von Mercedes auf Jahrzehnte prägen.
Der Mercedes für fast alle
Spiessig oder modern? Auf den Strich-Acht traf beides zu. Der Autor geht auf die Entstehungsgeschichte des Modells ein. Und beschreibt insbesondere die Entwicklung sicherheitsrelevanter Konstruktionsmerkmale allem voran, die Sicherheitszelle der Karosserie aber auch den Prozess der Designentwicklung unter Paul Bracq. Dieser ging Anfang der 60er Jahre daran, parallel den W 108 und den W 114/115 in Form zu bringen. So ist es nicht verwunderlich, dass die „Neue Generation“, verglichen mit der bereits 1965 präsentierten S-Klasse, zierlicher und weniger protzig wirkte, gleichzeitig aber über die konservative Ausstrahlung eines Mercedes verfügte.
Verglichen mit einem NSU Ro 80 oder selbst einem BMW der E3er-Baureihe blieb man konservativ im äusseren Erscheinungsbild, während unter dem Blech, bei Fahrwerk und Antrieb, viele neue Konstruktionen Einzug hielten. Kein Wunder, dass diese Baureihe mit ihrer breit gespreizten Antriebspalette aus Diesel- und Benzinmotoren, aus 4-, 5- und 6-Zylinderantrieben von 55 bis 185 PS nicht nur in Deutschland oder Europa, sondern auch den USA – aber auch vielen Ländern der sogenannten 2. Welt zum Synonym für Erfolg und Wohlstand wurden, gerne auch auf verlängertem Fahrgestell.
Die Popularität und Bedeutung verdeutlicht beispielsweise die Anzahl der Strich-Achter als Filmauto im James Bond-Klassiker aus dem Jahr 1974: „The Man with the Golden Gun“. Nicht weniger als fünf Mittelklassemodelle werden im Film zum Einsatz gebracht. Das waren Zeiten als Product-Placement fern der PR-Abteilung und damit noch kostenlos war.
Innovation der Modellgeschichte
Diesel und Sechszylinder; Einstiegsmodelle, neu nun Coupés und verlängerte Fahrgestelle, zuweilen auch mit Sondereinbauten; Holzzierrat und Chromlametta. Wer jemals eine blaue mehr als 20-seitige Mercedes-Preisliste aus den 70er oder 80er Jahren in den Händen hielt, kennt die Choreografie der Mercedes Verkaufsstrategen. Nichts, was es nicht gegen gutes Geld zu kaufen gab. Und nichts zu schade, aus der S-Klasse nicht auch in die Mittelklasse wandern zu dürfen.
Die Einstiegspreise liessen sich beim Blättern durch die Preisliste zumindest im Kopf auch mal verdoppeln. Denn die vielen schwarzen Punkte stellten eben eine bezahlbare Ausstattungsoption dar. Zwar waren je nach Karosserie- oder Motorversion hier und da auch mal serienmässig ein paar Goodies eingebaut. Aber ein Strich-Achter galt auch im Vergleich zu den Wettbewerbern von Opel, Ford, BMW und Volvo als teuer. Alexander Storz widmet sich den Interieurs, Farben, Karosseriederivaten und Sonderaussttattungen ebenso wie der Funktion des Modells als Versuchsträger.
W 114/115 in den Fussstapfen der S-Klasse
Autonomes fahren, Abstandsassistent, ABS: vieles was heute selbstverständlich in jedem Kleinwagen verbaut ist, wurde anfang der 70er Jahre zum ersten Mal in den Testbetrieb aufgenommen. Vor dem Hintergrund gestiegener Sicherheits- und Komfortansprüche der Kunden als auch der gesetzlichen Vorgaben, insbesondere aus den USA, war Mercedes teilweise federführend in der Entwicklung. Dabei wurde vieles in der Mercedes-Mittelklasse getestet und ausprobiert.
Der Autor liefert hierbei viele interessante Details auch in Bezug auf die Sicherheitsautos, die bei Mercedes in den 70er Jahren auf der Basis von W 114/115 und W 116 entstanden.
Die Sondermodelle
Gerade die Spezialaufbauten auf dem wahlweise erhältlichen verlängerten Radstand trieb viele Exoten auf die Strasse. Mercedes lieferte Teilkarosseriesätze für die kurze und die lange Karosserieversion mit ausgewählten Motoren an die Karosseriebau-Spezialisten, die daraus Bestatter, Ambulanzen und zivile Umbauten schufen.
Das Buch wartet hier mit einer wunderbaren, nicht repräsentativen Ansammlung, an Umbauten nicht nur aus Deutschland auf.
Gut ausgestattet mit Infos und Bildern
Mit knapp EUR 20 wechseln die Monografien des Motorbuch Verlags eher zum Kampfpreis über die Ladentheke. Angesichts des Preises erhält der Käufer dafür aber einen reellen Gegenwert. Alexander F. Storz gelingt es, der Bedeutung des Strich-Achter Mercedes vollumfänglich gerecht zu werden. Einerseits durch eine Vollbebilderung des Buches, kaum eine Seite, die nicht im Minimum zweifach bebildert ist.
Andererseits durch eine stringente Kapiteleinteilung und damit gut nachvollziehbare Modellgeschichte, die mit allen historischen Fakten und technischen Daten abgerundet wird.
Kurze, knappe aber ausreichend kommentierende gut lesbare Texte machen das Buch zu einem Kompendium für Freunde der Baureihe 114/115.
Mit knapp zwei Millionen wurden von den Vier- und Sechszylinder-Baureihen so viele Fahrzeuge gebaut wie von allen vorangegangenen Mercedes-Nachkriegsbaureihen zusammen.
Bis heute sind die schier unverwüstlichen Limousinen und Coupés noch nicht aus dem Straßenbild verschwunden und erfreuen sich besonders im Nahen Osten seit 30 Jahren grosser Beliebtheit. Robust und zuverlässig wie der /8er ist auch das Buch. Und dazu serienmässig noch viel besser ausgestattet.
Bibliografische Angaben
- Titel: Mercedes-Benz/8 - Der Millionenseller
- Autor: Alexander F. Storz
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Motorbuch
- Auflage: 1. Auflage September 2020
- Format: Gebunden, 280 x 210 x 15 mm
- Umfang: 144 Seiten, 200 Bilder
- ISBN: 978-3-613-04315-2
- Preis: EUR 19,95
- Kaufen/bestellen: Online bei amazon.de , online beim Motorbuch Verlag oder in der guten Buchhandlung
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