Fast zwei Dekaden – von 1971 bis 1989 – stand die Baureihe R/C 107 bei Daimler-Benz am Ende der kleinen, blauen Preislisten für die Fahrzeuge von Mercedes, bevor die Coupés bereits 1980 von der stämmigeren Baureihe C 126 und die Roadster von der sportlicheren Baureihe R 129 abgelöst wurden. Mehr noch als die 1971 vorgestellte S-Klasse der Baureihe W 116 prägten die SL-Modelle das Image der Marke bis heute.
Da verwundert es nicht, dass diesem Modell zahllose Bücher gewidmet wurden.
Die Monographie von Brian Long ist bei Delius Klasing in der 3. deutschen Auflage erschienen, die Nachfrage auf dem Klassikermarkt schlägt bis auf den Büchermarkt durch.
Der SL und der SLC
In den Siebzigerjahren drückten der SL und der SLC den Anspruch von Mercedes aus, die besten Autos der Welt zu bauen. Nichts schien zu aufwändig, um die Fahrzeuge wie aus dem vollen geschnitzt erscheinen zu lassen. SL stand hier für Super Leicht in Anlehnung an den Sportwagen 300 SL, der in den Fünfzigerjahren siegreich aus Le Mans heimgekehrt war. Den Begriff hatten sich allerdings die Stuttgarter Nachbarn bei Porsche bereits bei ihrem Start 1951 mit dem 356/02 SL aufs Revers geheftet. Traten sie doch mit den besonders leichten Aluminum-Coupés aus Gmünder Produktion beim Langstreckenklassiker an.
Nun, ganz so leicht wie die SL-Vorväter kam die neue Baureihe von Mercedes nun auch nicht mehr daher. Leergewichte deutlich über der 1,5-Tonnen-Marke drücken auch hier den Anspruch aus, weniger sportlich, dafür besonders komfortabel und auch sicher zu sein. Mit der Vorstellung von Roadster und Coupé unterstrich Mercedes den Anspruch der Marke die besten Autos der Welt zu bauen. Ein Nimbus, der sicher bis in die 80er Jahre anhalten sollte, bevor BMW, zunächst mit der 7er Reihe (E 32) und dem wundervollen 12-Zylinder und dann Audi mit dem A8 (D2) mit Aluminiumkarosserie innovative Massstäbe setzten, mit denen sich der Anspruch als alleiniger Hof- und Elitenlieferant von Daimler-Benz veränderte.
18 Jahre Topmodell
Mehr als 200 Seiten widmet Autor Brian Long, selbst 300 SL- und 450 SLC-Fahrer, der Baureihe 107. Dabei ist seine Begeisterung für Roadster und Coupé als auch für die Geschichte und die Modelle des Unternehmens allgemein und im Detail aus jeder Zeile herauszulesen.
Bevor er zur eigentlichen Geschichte des Buches kommt, stellt Long die Ahnenreihe vor. Ausgehend von den sportlichen Ambitionen von Daimler und Benz bereits vor dem ersten Weltkrieg arbeitet sich das Buch bis in die Zeit nach 1945 vor, in der der Mercedes wie ein Phoenix aus der Asche aus den Trümmern hervor steigt und kontinuierlich mit Sporterfolgen des 300 SL und des 300 SLR u.a. in Le Mans sowie einer behutsamen aber qualitativ anspruchsvollen Modellpolitik spätestens mit dem Modell 600 Anspruch auf den Platz im Olymp des weltweiten Automobilbaus erhebt.
Knapp aber präzise werden die wichtigsten Vorläufer der 107er Baureihe auf gut 50 Seiten vorgestellt. Technik, Design und Menschen sind dabei der rote Faden, der letztlich in der 1971 erfolgten Vorstellung von Coupé und Roadster aufgeht.
Dass insbesondere der SL so lange im Programm bleiben konnte, unterstreicht wie weit Mercedes in manchen Bereichen war, resp. wie konsequent man die Modellpflege sowohl in Sachen Umweltauflagen als auch der stetig wachsenden Komfortansprüche bei diesem Nischenmodell betrieb. Der bereits entwickelte Nachfolger wurde zugunsten des W 201 und des W 124 zurück gestellt. Dabei musste der SLC seine Liebhaber stets suchen und konnte trotz automatikangetriebener Rallyesiege als 450 SLC 5.0 resp. 500 SLC seinen sportlichen Anspruch nie so eindeutig in Kaufakzeptanz umsetzen. Ganz anders sah dagegen beim Roadster aus, der in unzähligen Fernsehserien wie Dallas, Denver-Clan und Kinofilmen insbesondere in den USA zum synonym für schön, erfolgreich und wohlhabend stand.
Zeitlose Eleganz
Long lässt die Entwicklungs- und Bauzeit beider Modelle ausführlich Revue passieren. Stets gut bebildert und reichlich beschrieben zeichnet er die Zäsur nach, die die Modellreihe wie oben bereits beschrieben für Mercedes bedeutet. als Beispiele seien hier nur genannt wie der Autor auf die Lamellenfenster des SLC oder die Schmiedefelgen von Fuchs sowie Extras wie Scheinwerferreinigungsanlage oder Crash-Tests eingeht. Er leuchtet die Details ebenso aus und widmet dem Motorsport ein ganzes Kapitel. Natürlich kommt bei der langen Bauzeit auch die Evolution nicht zu kurz. Sowohl was Technik als auch Ausstattung betrifft, stets liest sich das flüssig und als zusammenhängende Geschichte.
Dabei geht der britische Autor, der heute in Japan lebt auch immer wieder auf die Exportmärkte, insbesondere die USA, interessanterweise natürlich Japan und seine Heimat Grossbritannien, ein. Das eröffnet für Enthusiasten der Baureihe ganz neue Informationen, insbesondere zu Modellen, die in Europa offiziell nicht angeboten wurden, wie der 560 SL. Mit der aufwändigen Modellpflege von 1985 neigte sich bei Mercedes die SL-Ära der 107er Baureihe dem Ende entgegen. Die Nachfrage war ungebrochen und stieg zum Ende nochmals an. Es war abzusehen, dass ein Nachfolger in den Startlöchern auf den Produktionsbändern lauerte. Die Umstellung auf eine neue Motorenfamilie machte den SL fit für die 2. Hälfte der 80er Jahre. So gesehen kann man mit einem 30 Jahre alten SL aus 1989 einen High-Tech-Klassiker fahren, dessen Vergleichbarkeit sich mit einem Modell von 1971 nur in Äusserlichkeiten finden lässt.
Das Beste zum Schluss
Neben dem 600er Mercedes und der S-Klasse von 1972 bedeutet die Baureihe R/C 107 wohl das Ende einer automobilen Ära. Nichts schien den Anspruch von Mercedes bremsen zu können, die besten Autos zu bauen. Konservativ zielte man weniger auf avantgardistische Lösungen und zielte stark auf den amerikanischen Geschmack ab. In den Sechzigerjahren nicht nur aus deutscher Sicht noch nicht verwerflich. Vor diesem Hintergrund beschreibt Brian Long die Geschichte des SL/SLC, womit auch klar wird, dass es notwendig ist einerseits so detailliert auf viele Einzelheiten einzugehen und andererseits eine Modellreihe so flüssig abgehandelt werden kann. Denn trotz vieler technischer Modifikationen war der SL mehr noch als der SLC ein Liebling bei den Käufern und genau diese Sehnsucht nach distinguierter Wucht, gepaart mit deutscher Zuverlässigkeit verlieh dem SL/SLC anfangs der Siebzigerjahre die Gunst vor Exoten aus Italien oder der Konkurrenz aus Grossbritannien und Deutschland.
Dies änderte sich auch zum Ende der Achtzigerjahre nicht, mit der chrombeladenen Karosserie, die mächtigen markanten Rückleuchte im Riffeldesign sowie der holzgetäfelten Armaturentafel war der SL ein letzter Vertreter seines Standes. Wo andere die Nase in den Windkanal duckten, Gewicht durch Kunststoffstossstangen schindeten, vertrat die Baureihe 107 bei Mercedes von 1971 bis 1989 den Anspruch etwas besonderes zu sein. Vor der Ölkrise in den Sechzigerjahren entwickelt, ist diese Baureihe noch ein Vertreter der absoluten Kompromisslosigkeit. Wo soll die Reise hingehen? Zum Mond? Wohl auch da wäre man lieber SL gefahren.
Oft wird der W 123 als letzter echter Mercedes gefeiert, aber der war eben nur Mittelklasse und wo man beim SL motorentechnisch ausstieg, ging es beim SL/SLC erst los. Ausserdem profitierten W 116 und W 123 von zahllosen Entwicklungen, die hier bereits Einzug gehalten hatten. Als Daimler-Benz 1986 den 100 Geburtstag feierte, trat der SL frisch überarbeitet für die letzte Produktion an.
Selbst der Name 300 SL war kein Sakrileg und mit dem 500/560 SL war man sich nicht zu schade in Stuttgart, tiefgreifende Modellpflege zu betreiben. Der Lohn war die globale Akzeptanz als absolute Nobelmarke in den Siebziger- und Achtzigerjahren, die sowohl in Staats- und Königshäusern in den Fuhrpark gehörte, bei denen aber auch Potentaten und Diktatoren, Zuhälter und Direktoren nicht nein sagen konnten. Im Mercedes war man wer. Und davon profitierte nicht nur die Marke, sondern auch der W 123.
SL = Schön lesbar
Das Buch von Brian Long über die Baureihe 107 breitet auf über 200 Seiten die Geschichte des Mercedes SL und SLC aus. Dabei geht der Autor sowohl auf die tief bewegte Historie bei Mercedes zu den Sportwagen als auch auf das Nachfolgemodell des SL, den R 129 ein.
Stets wird die Entwicklungsgeschichte in dieser Monografie breit ausgeleuchtet. Dem Buch gelingt es, die vielen Entwicklungsstufen des Longsellers in zahlreichen Facetten vorzustellen.
Der Autor kann seine britische Herkunft nicht verhehlen so fällt der Blick allerdings aus deutscher Sicht auf eher unbekannten Aspekte der Exportmärkte. Technikenthusiasten werden dagegen hier und da manche Details vermissen. Darüber kann allerdings angesichts des Gebotenen schmerzfrei hinweg gesehen werden.
Wer sich für diese Modellreihe interessiert, der wird mit diesem Buch zum Preis von EUR 39,90 sicher seine Freude haben. Das sehen wohl auch andere so, eine mittlerweile 3. Auflage lässt diesen Schluss zu.
Bibliografische Angaben
- Titel: Mercedes-Benz SL und SLC
- Autor: Brian Long
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Delius Klasing
- Auflage: 3. Auflage 2019
- Format: 256 x 256 mm, gebunden
- Umfang: 208 Seiten mit Schutzumschlag, knapp 200 Fotos (farbig und s/w) sowie über 50 Abbildungen (farbig und s/w)
- ISBN: 978-3-7688-3422-3
- Preis: EUR 39,90
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