Gerätselt wird schon lange. Die magische Anziehungskraft der luftgekühlten Bus- und Transportergenerationen von Volkswagen mag in kein bestehendes Raster klassischer Automobile passen. Den Preisen tut das dennoch keinen Abbruch. Im Grunde genommen bewegen sich die Preise irgendwie immer auf Porsche Niveau des selben Baujahrs...Und selbst die Preise der Frontmotor-Nachfolger bewegen sich für 20 Jahre alte gut erhaltene Gebrauchtwagen auf einem stattlichen Preishöcker. Ganz gleich, welche Modellvariante man nun nehmen möchte.
Ein Buch über Prospekte, geht das?
Die Frage scheint berechtigt, schliesslich nimmt sich das Autorenduo Christian Schlüter und Christoph Boltze nicht nur die 40 Jahre der Heckmotormodelle vor, sondern hat auch die Modelle T4 und T5 mit Frontmotor einbezogen. Und nach der ersten Durchsicht stellt man fest, es geht. Es geht sogar prächtig, denn damit wird die Klammer zwischen gestern und heute weit geöffnet, vom ersten Faltblättchen bis zum Luxusfolder aus dem Volkswagen-Zentrum.
Schauen, staunen, lesen
In erster Linie liegt hier ein Bilderbuch vor. Unzählige Prospekte werden chronologisch vorgestellt und vermitteln wunderbare Einblicke in die Ansprüche an Prospektgestaltung über mehr als 60 Jahre. Hilfreich ist dabei der Fokus auf nur ein Modell. Kulturgeschichtlicher Wandel wird genauso deutlich wie gesellschaftliche Veränderungen. Von der Mode über fehlende Sicherheitsgurte bis zu den Ansprüchen an Sonderausstattungen gelingt es dem Buch dem Alltag der Gesellschaft den Spiegel entgegenzuhalten. Was es für den Bulli gab, das wolltet ihr haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und so staunt man über Taximodelle, Schlachterwagen und Viehtransporter oder Bentleybestuhlte Luxusbusse mit Holzeinlagen für zwei Kaminabende. Hilfreich dabei, die Begleittexte, die genau dieser Linie folgen und aus der Typengeschichte des VW Bulli auch immer eine Kulturgeschichte machen.
Die Völker eines Volkswagens
Der Erfolg von VW ist global. Und das von Anfang an. Aus dem Auto für die Deutschen ist ein Auto für Welt geworden. Das war das Erfolgsrezept des Käfers, dem folgte der Bulli. Und so beschränken sich die Autoren zum Glück nicht auf rein deutsche Prospekte, sondern gewähren auch einen Einblick in die Verkaufsunterlagen anderer Länder, bevorzugt solche, in denen der Bulli ebenfalls gebaut wurde: Brasilien oder Südafrika. Und natürlich auf einem der Hauptabsatzmärkte: die USA. Dabei fällt schnell auf, was vielleicht den Erfolg dieses Modells bis heute als Klassiker ausmacht. Sympathie. Ohne bieder zu wirken, strahlen die Kataloge in allen Ländern neben den klassischen Volkswagentugenden eine grosse Sympathie aus, gepaart sogar mit einer Prise Humor.
Samba, Doka, Pritsche, Multivan und Carat
Während die Monokultur des Käfers über Jahrzehnte beinahe das Aus für VW bedeutet hätte, gab es im Transporter-Programm von VW ab Beginn eine breite Palette von Derivaten. Dem Bus folgte der Bus in Luxus-Ausführung (Samba), dem Transporter folgte die offene Pritsche. Für jeden Anspruch wurde ein Modell entwickelt, die später Kultcharakter entwickelten, sowie der Multivan oder der Carat. Diese Derivate kommen nicht zu kurz. Dank geschickter Auswahl der abgebildeten Prospektseiten gewinnt man schnell eine Übersicht, dass neben den klassischen Bussen und Transportern mal eben noch 18 Sonderausführungen für Feuerwehr, Polizei mit Hublift oder Kühlaggregat und vielem anderen mehr zu ordern war. Und was dem europäischen Markt teuer war, war auf den Auslandsmärkten ebenfalls nicht billig. Vanagon für die USA. Sechstürer für Brasiliens Taxigewerbe, Luxus T3 in Südafrika. Wunderbar kann man sehen, wie sie von der jeweiligen Marketingabteilung in Szene gesetzt wurden, an wen sie sich richteten. Dass dabei auch Modelle wie Syncro Tri Star nicht vergessen werden, zeugt von der souveränen Auswahl der Autoren.
Apropos Auswahl
Es muss nicht extra erwähnt werden, in dieses Buch hat nicht jeder Prospekt zum Typ 2 Einzug gehalten. Im Gegenteil: Hier wird chronologisch und analog zur erzählten Typengeschichte eine Auswahl an Prospektseiten exemplarisch abgebildet, die es erlauben, dem Fahrzeug zeitgenössisch nachzuspüren. Wertvoll und spannend zugleich, dass dabei auch die Überseemärkte genug Raum erhalten, um vergleichend staunen zu können. Die Abbildungen sind dabei übrigens von einer besonders guten Qualität, Katalogtexte lassen sich in der Regel lesen (sofern man die Sprache beherrscht auch verstehen).
Was fehlt?
Es ist gar nicht so leicht festzustellen, was dem Buch noch gut anstehen würde. In sich wirkt es geschlossen und rund, obwohl die Kunst hier wohl eher in der Reduktion lag. Dem wäre also nichts hinzuzufügen. Spontan käme einem die vergleichende Darstellung von Prospekten eines ausgewählten Modells in den verschiedenen Märkten in den Sinne. Aber kann das den Horizont aller Leser erweitern und dem Anspruch des Buchs gerecht werden oder ist der Gedanke nur für die Spezialisten interessant? Wohl eher Letzteres. Trotzdem, das Buch erhebt den Anspruch die Verkaufsliteratur des VW Bullis vorzustellen. Und dazu gehört eben neben den Prospekten im Ständer auch die interne Verkaufsliteratur. Also die Broschüren und Kataloge für Service, Verkauf und Werkstatt. Und die kann man hier als erhellende Erweiterung durchaus vermissen. Hilfreich wäre es ebenfalls gewesen, die Drucktermine neben den Abbildungen anzugeben.
Unendlich viele Bullis in einem Buch
Auf über 160 Seiten gelingt es den Autoren die ersten 65 Jahre des VW Transporters anhand ausgewählter abgebildeter Prospektseiten aus verschiedenen Ländern exemplarisch und kurzweilig darzustellen. Dass man dabei eine Zeitreise in die Typengeschichte macht, ist voraussehbar, dass es ebenfalls gelingt dem Zeitgeist in Kunst und Gesellschaft nachzuspüren positiv überraschend. Die kurzen aber prägnanten Begleittexte helfen dabei, genau diesem Zeitgeist mit der Geschichte des Bullis zu verknüpfen und manchmal sogar schmunzelnd über einer Doppelseite zu sinnieren. Sauber und scharf gescannte Prospektseiten runden den guten Eindruck des Buches ab und grenzen es auch deutlich von ähnlich ambitionierten Buchprojekten ab. Dass die Fachleute und Prospektsammler mindestens noch 160 andere Seite gewünscht hätten ist sicher auch den Machern klar. Aber für € 29,90 bekommt man ein Ticket für eine kleine Zeitreise. Und für manchen mag es ja auch der Anfang einer handfesten Liebe zum VW Bus sein. Eine Liebe, die man sich mittlerweile leisten können muss. Und die niemand so richtig erklären kann.
Bibliografische Angaben
- Titel: VW Bulli
- Autor: Christian Schlüter, Christoph Boltze
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Delius-Klasing, 1. Auflage 2015
- Format: 240 x 275 mm, gebunden, 160 Seiten, 2 Farb und 30 s/w-Bilder sowie 185 Farbabbildungen
- Preis: € 29,00, € 30,80 (A); CHF 40,90 (CH)
- ISBN: 978-3-667-101204-4
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