Genau heute wäre Jo Siffert 75 Jahre alt geworden – hätte er den Unfall in Brands Hatch am 24. Oktober 1971 überlebt. Der Freiburger war damals einer der populärsten Sportler in der Schweiz. Sein Aufstieg vom Karosseriespengler zum Pilot der Spitzenklasse hatte etwas Unvergleichliches an sich, und beispielgebend waren seine Bescheidenheit wie sein eiserner Wille, der ihn in 99 GP-Rennen zu zwei Siegen führte. Seine Leidenschaft war gleichzeitig sein Schicksal. Und: Siffert war in den 60er und 70er Jahren das Idol einer ganzen Generation.
Race of Champions
Das letzte Rennen von Siffert, das nicht zur Weltmeisterschaft zählte und zu Ehren von Jackie Stewart als „Saisonausklang“ veranstaltet wurde, verlief wie so viele in Sifferts Karriere: Den Vorteil des Startplatzes in der ersten Reihe konnte er beim Start nicht ausnützen und fiel bis auf Rang 10 zurück. Von dort startete er, wie so oft, eine Aufholjagd. Nach 14 Runden lag er bereits wieder auf Rang vier.
Am Ende der 16. Runde fehlte er aber bei der Zieldurchfahrt, und die schlimmsten Vorahnungen bestätigten sich – Rauchschwaden stiegen bei der „Hawthorn-Bend“ in den Himmel. Siffert war von der Strecke abgekommen, der BRM P160 hatte sich überschlagen und fing Feuer. Mit mehreren Beinbrüchen festgeklemmt, erstickte der Schweizer in den Flammen. Das Rennen wurde sofort abgebrochen, die genaue Unfallursache - vermutlich ein Materialdefekt – konnte nie geklärt werden.
Eine Tellerwäscher-Karriere
Jo Siffert wurde am 7. Juli 1936 geboren. In Fribourg wuchs er zweisprachig - deutsch und französisch - auf. Weil er oft in der Schule fehlte und es als wichtiger erachtete, Geld zu verdienen, lernte er eigentlich keine der beiden Sprachen richtig. Nach einer Karosseriespenglerlehre verschrieb er sich für einige Jahre dem Motorradrennsport, bevor er sein erstes Autorennen bestritt: Im Februar 1960 fuhr er einen Eisslalom mit einem Jaguar - der 34. Rang schaute heraus. Mit dem Kauf eines Stanguellini-Formel-Junior-Rennwagens erfüllte sich Sifferts Bubentraum und er hatte auf Anhieb Erfolg. 1961 wurde er Europameister in der Formel Junior! Mit dem letzten zusammengekratzten Geld kaufte sich Siffert einen Formel-1-Wagen und setzte ihn in Eigenregie bei den Grossen Preisen ein.
Die Durststrecke
Danach begann eine jahrelange Durststrecke. „In den Anfangsjahren borgte sich Siffert auf dem Rennplatz nicht selten das Geld für eine Tankfüllung seines Transporters, um überhaupt wieder in die Schweiz zurückkehren zu können“, erinnert sich der Photograph Josef Reinhard aus Sachseln an seine ersten Begegnungen mit Siffert.
Obwohl er grosse Erfolge zu verzeichnen hatte – der legendäre und als unbesiegbar geltende Jimmy Clark wurde von Siffert zweimal geschlagen – konnte sich vorerst kein Team durchringen, dem Fribourger einen Werkswagen zu geben. Erst die Verbindung mit Rob Walker, einem Enkel der Whisky-Dynastie, der auf privater Basis Formel-1-Autos einsetzte, brachte für Siffert einen Aufschwung. Und er hatte damit ein grosses Problem weniger: Er musste sich nicht mehr ums Geld kümmern. Auch die Veranstalter freuten sich: Bei den Banketten fiel nicht mehr das ganze Siffert-Team über das Büffet her.
Nur ein Le Mans-Sieg fehlt
Obschon sich der damalige Porsche-Rennleiter von Hanstein gegen eine Verpflichtung Sifferts ins Langstrecken-Werksteam aussprach, holte Porsche-Neffe Ferdinand Piech den Schweizer nach Stuttgart. Nach einem Test beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1966 folgte für die darauffolgende Saison ein Werksvertrag. Mit der Verpflichtung Sifferts legte das Zuffenhausener Werk den Grundstein für seine Marken-WM-Titel. Praktisch im Alleingang holte er einen Sieg nach dem andern nach Deutschland. Siffert schaffte es, sich bei fast allen klassischen Langstrecken-Rennen ins Buch der Sieger einzutragen, nur ein Erfolg beim Klassiker schlechthin – den 24-Stunden von Le Mans – blieb ihm verwehrt.
Die Sternstunde in Brands Hatch
Seine Sternstunde hatte der Schweizer 1968. In England gewann er seinen ersten Formel-1-Grand-Prix mit einem Lotus. Darauf begannen sich auch die Werkteams um den Schweizer zu reissen. BRM und Ferrari wollten Siffert haben. Die Italiener spielten mit dem Gedanken, dem direkten Marken-WM-Gegner Porsche den stärksten Fahrer wegzunehmen. Siffert entschied aber: „Aus Loyalität fahre ich wieder bei Rob Walker in der Formel 1, die Langstreckenrennen bestreite ich für Porsche“.
Rennen waren sein Ein und Alles
In den folgenden drei Jahren füllte sich sein Terminkalender. Neben Formel-1-Rennen und Marken-WM-Prüfungen veschrieb sich Siffert der CanAm und der Formel 2. Bis 45 Rennen fuhr der Schweizer in einer Saison, manchmal deren zwei an einem Wochenende. Rennen waren sein Massstab. Einmal nach dem Hochzeitsdatum befragt, kam die Antwort: „Ach ja, das war unmittelbar nach Spa“ – das genaue Datum wusste er nicht mehr.
1970 konnte er der Versuchung, als Werksfahrer die Formel-1-Weltmeisterschaft zu bestreiten, nicht mehr widerstehen. Der Fribourger unterschrieb einen Vertrag mit March und bekam in den Medien ein neues Image: Der GP-Sieger von England 1968 holte keinen einzigen WM-Punkt, die Formel-1-Saison im unterfinanzierten March-Team war gekennzeichnet von mangelhafter Vorbereitung und technisch bedingten Ausfällen. Siffert wurde das Image des materialmordenden Piloten angedichtet. Immerhin: Im Porsche konnte der Schweizer zeigen, dass er jederzeit zu guten Resultaten fähig war.
Vierter Schlussrang in der Fahrer-WM
Hervorragend liess sich für Seppi die Saison 1971 an. Mit dem BRM erhielt er endlich denjenigen Wagen, der es ihm erlaubte, um Formel-1-Siege mitzufahren. Drei „Schweizer“ standen beim GP von England in der ersten Startreihe: Clay Regazzoni, in der Mitte der in der Schweiz wohnhafte Jackie Stewart und Jo Siffert. Der Sieg im GP von Österreich war die Krönung der Saison. Mit einem vierten Schlussrang in der WM erreichte Siffert sein bestes Saisonresultat. Die Weichen für die Saison 72 waren bereits gestellt: für BRM sollte er die Formel-1-Rennen bestreiten, und für Alfa Romeo, nach dem Rückzug Porsches, die Langstreckenrennen.
50‘000 Freunde beim Abschied
Von schweren Verletzungen wurde Siffert verschont. Einen fürchterlichen Unfall in Le Mans überstand er unverletzt. Damals philosophierte er: „Autorennen fahren ist wie am Skilift anstehen. Jeder Pilot hat eine Anzahl Billette. Bei jedem Unfall muss er eines abgehen - eines Tages hat er keine Karten mehr, nur weiss er den Zeitpunkt nicht …“.
Dann kam jener unglückliche 24. Oktober 1971 mit dem „Saison-Kehraus-Rennen“. Auf der Strecke, auf der Siffert drei Jahre zuvor den grössten Triumph feierte, kam er ums Leben. Eine buchstäbliche Bilderbuchkarriere fand abrupt ihr Ende. Dass Josef „Jo“ „Seppi“ Siffert beliebt und geschätzt war, zeigte sich fünf Tage nach dem Unfall. 50'000 Menschen säumten die Strassen Fribourgs, als er zu Grabe getragen wurde.
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