Wie fühlte sich das wohl so an, wenn man als Angehöriger des britischen Oberhauses nach der Arbeit zum Club fuhr? Im Rover 3500 kann man dies jederzeit nachvollziehen. Der Übergang von Arbeit zu Freizeit ergibt sich so fast schon fliessend.
Vom Auto des Jahres …
Im Jahr 1964 wurde der Rover P6 als Zweiliter zum ersten “Auto des Jahres” gewählt. Es war dies kein Zufall, denn die Rover-Ingenieure hatten damals tatsächlich mit einem weissen Stück Papier begonnen und alles neu konstruiert, selbst den Zweilitermotor. Dies war ein erhebliches Risiko für die damals gar nicht so grosse, aber noch unabhängige Autofirma Rover. 10,5 Millionen Pfund (damals CHF 130 Millionen) wurden investiert, ein gewaltiger Batzen!
Dabei kam aber im Oktober 1963 auch ein wirklich grosser Wurf heraus, der sich lose am Citroën DS orientierte, aber trotzdem weitgehend eigenständig daherkam, sowohl optisch als auch technisch. Chefdesigner David Bache gestaltete die Form sozusagen um die gewählte Technik herum, schaffte es aber trotzdem, eine elegante und britisch wirkende Limousine auf die Räder zu stellen.
Im Gegensatz zu vielen Konkurrenten wurde weder die Chassis-, noch die selbsttragende Bauweise gewählt, sondern ein Mittelding. Als tragendes Element diente eine Struktur, an der die Karosseriebleche befestigt werden konnten. Diese Konstruktion versprach eine hohe Torsionsfestigkeit, überzeugende passive Sicherheit und günstige Blechreparaturen.
Auch bei den Aufhängungen ging Rover eigene Wege. Vorne lagen nämlich die Federbeine waagrecht und wurden über Gelenke angesteuert. Hinten kam eine modifizierte DeDion-Achse zum Einsatz. Ringsum wurden Scheibenbremsen verbaut, hinten innenliegend.
Im Innenraum herrsche Salonatmosphäre, aber auf vorbildliche “innere” Sicherheit wurde nicht verzichtet. Es gab kaum vorstehende Teile und als Hauptinstrument diente ein gut ablesbarer Bandtacho.
Der Zweilitermotor mit obenliegender Nockenwelle leistete 90 DIN-PS bei 5000 Umdrehungen, was reichte, um die etwa 1,3 Tonnen einigermassen stilgerecht zu beschleunigen, aber nicht für mehr.
… zum Oberklassen-Gleiter
Einen üppig motorisierten P6 konnte man sich ab April 1968 bestellen, als der 3500 V8 (englisch: three-thousand-five - man lasse die Luft dabei ein wenig durch die Nase entweichen) präsentiert wurde. Die Leistung stieg damit gleich einmal um rund 50 Prozent auf fast 150 DIN-PS. Das Drehmoment von 28 mkg lag bereits bei 2800 Umdrehungen an. Gekoppelt wurde der Achtzylinder zunächst ausschliesslich an eine Borg-Warner-Dreigang-Wandlerautomatik.
Der Rover P6 war von Anfang an auf einen grösseren Motor ausgerichtet, allerdings war ursprünglich der Plan, eine Gasturbine im Bug zu verbauen. So ist es auch kein Zufall, dass der Prototyp T4 von 1962 dem später präsentierten Rover P6 ausserordentlich ähnlich war.
Aus der Gasturbine wurde nichts, aber den von Buick samt Produktionsanlagen bereits einige Zeit vorher übernommene Aluminium-V8 stand bereit und passte problemlos in den Motorraum des P6. Nur die Batterie musste in den Kofferraum wandern und einige tragende Elemente, auch wegen der höheren Leistung, verstärkt werden.
Spezielle Hochgeschwindigkeitsreifen der Dimension 185 HR 14 auf 5,5-Zoll-Felgen sorgten für den Kontakt zur Strasse, modifizierte Aufhängungen und etwas härtere Schraubenfedern für die nötige Fahrsicherheit. Die Lenkung wurde etwas indirekter ausgelegt, eine Servounterstützung kam erst etwas später.
1332 kg nannte Rover als Leergewicht, 51,4 Prozent davon lasteten auf der Vorderachse.
Reiselimousine par excellence
Zuerst wurde wie üblich der Heimmarkt bedient, aber ab 1969 kamen auch die Kontinentalkunden in den Genuss der acht Töpfe, etwas was es zu vergleichbaren Preisen (ca. DM 16’000, CHF 18’900) kaum gab, musste man sich doch für dasselbe Geld oftmals mit sechs oder gar nur vier Zylindern begnügen.
Reinhard Seiffert liess sich vom erstarkten Rover für Auto Motor und Sport überzeugen und lobte als dessen Vorzüge den leisen, durchzugskräftigen Motor, das mühelose Fahren dank Vollautomatik und Kraftreserven, den sehr guten Fahrkomfort, die sicheren Fahreigenschaften und die hochwertige Innenausstattung. Das Autofahrerglück wäre fast perfekt gewesen, hätten nicht der Geradeauslauf und die Zielgenauigkeit der Lenkung bei hoher Geschwindigkeit enttäuscht.
Und da war da noch die Sache mit dem Platz. Mit nur 4,56 Metern Aussenlänge und 1,68 Metern Breite konnte der Engländer mit längs eingebautem Achtzylinder kein Raumwunder sein. Vorne hatten zwei Personen zwar sicherlich genügend Bewegungsfreiheit, hinten haperte es aber an Knieraum. Und im Kofferraum stand auch noch das Reserverad und beschränkte das auch sonst vergleichsweise geringe Volumen noch zusätzlich.
Zumindest in diesem Punkte hatte Rover allerdings bereits für Abhilfe gesorgt. Man konnte das Reserverad nämlich auch auf (!) dem Kofferraum montieren. Dort sah es zwar nicht elegant aus, aber es versperrte so keinen Platz mehr, den man lieber dem in Schweinsleder gewandeten Gepäck gönnen wollte.
“Der Gesamteindruck ist der eines durch und durch kultivierten, ausgereiften Automobils mit hoher Leistung, guter Fahrsicherheit und hervorragendem Fahrkomfort. Rover wird mit diesem Wagen seinen Ruf, Autos von ungewöhnlicher Qualität zu bauen, weiter festigen können”, schrieb Seiffert.
Mit 188,5 km/h Spitzengeschwindigkeit und einer Zeit von 13 Sekunden für den Spurt von 0 bis 100 km/h war der Rover zwar kein Sportwagenschreck, aber schnelle Autobahn-Dauerfahrten waren sicherlich sein Revier.
Nachträglich auch noch mit Handschaltung
Für sportlich veranlagte Lords schob Rover 1971 eine handgeschaltete Viergang-Variante “3500 S” nach. Diese war einen Tausender günstiger als die Automatik-Version und beschleunigte deutlich vehementer, auch dank der leicht auf 154,5 PS angestiegenen Leistung. 10,1 Sekunden nahm sich der handgeschaltene Rover 3500 S für den Spurt von 0 bis 100 km/h, als Spitze wurden 197 km/h notiert. Da musste schon mit einem grossen Mercedes oder einem Porsche 911 kommen, wer den Lord von der Überholspur drängen wollte. Die sportlichere Fahrweise wollte allerdings mit 16,4 Litern pro 100 km abgegolten werden, was in etwas auch dem Verbrauch der Automatik-Version bei grosszügiger Gasbetätigung entsprach.
“Mit der Viergangversion 3500 S bietet Rover einen kultivierten Reisewagen, den man beim heutigen Preisgefüge geradezu als wohlfeil bezeichnen kann. Er besitzt zahlreiche Trümpfe, wie den laufruhigen und kräftigen V8-Motor, die komfortable Federung, gute Fahreigenschaften sowie ein reichhaltiges und gediegenes Interieur. Er bleibt aber auch ein bezüglich des Innenraumes für Preis und Gewicht kompakter, ja «kleiner» Wagen. Das gut abgestufte, präzis aber schwergängig zu schaltende Vierganggetriebe ist für schalt- und sparfrohe Liebhaber dieser nicht alltäglichen Komfortlimousine interessant”, schrieb die Automobil Revue als Schlusswort eines ausführlichen Tests im Jahr 1972.
Britisch Elend
Hatte Auto Motor und Sport der Rover Limousine im Jahr 1969 noch bescheinigt, dass sie “nach einigen Anlaufschwierigkeiten zu den anerkannten Qualitätsprodukten der britischen Autoindustrie zähle”, änderten sich die Dinge in den Siebzigerjahren zum Schlimmsten. Rover war bereits in den Sechzigerjahren unter die Fittiche von British Leyland geraten und die Ziellosigkeit der Manager sowie die Arbeitnehmerkonflikte kamen der Qualitätsorientierung der einst stolzen Marke Rover nicht zugute.
Haarsträubende Geschichten machten die Runde. Ein Rover 3500 wurde von “Drive”, dem Magazin der British Automobile Association, 1975 zum schlimmsten Auto Englands gekürt. Auf nicht einmal 10’000 Kilometern hatte dieser im Jahr 1974 gekaufte Wagen drei Motoren, zwei Getriebe und einen kompletten Kabelbaum verschlissen, nebst vielen anderen Problemen. Ein einst gutes Auto wurde samt seinem Ruf wegen Fertigungsproblemen ruiniert.
In zwei Serien
Der Rover 3500 wurde in zwei Serien gebaut, bis 1971 als MK I, danach als MK II mit verändertem Kühlergrill, aufgefrischter Innenausstattung und wahlweise als 3500 S auch als Handschalter. Abgelöst wurde der P6 im Jahr 1976 durch den SD1, der es wiederum zum Auto des Jahres schaffte. Parallel wurde der P6 noch bis 1977 weitergebaut, dann war Schluss.
Insgesamt wurden etwas mehr als 327’000 Rover P6 gebaut, ein Viertel davon hatte, etwa 79’000 hatten den V8 im Bug. Vom MK1 sollen es total 22’290 gewesen sein, wovon nur gerade 3438 Autos auf den Linkslenker verfielen. Diese Variante darf also als Rarität gewertet werden, zumal die Überlebensquote nicht allzu hoch ist.
Mit Lederhandschuhen
Auf das Armaturenbrett eines Rover 3500 gehören Lederhandschuhe genauso wie ein Schirm in den Kofferraum. Man kann sich geradezu vorstellen, wie sich der Lord am Morgen freudig in seinen weissen Rover setzte. Er war auch vermutlich bestens über die teilweise ungewöhnlich, aber durchaus funktionell angeordneten Bedienungselemente instruiert und bei einer allfälligen Panne hätte er sicherlich gewusst, dass die Entriegelung der Motorhaube im Handschuhfach zu finden war.
Die Übersichtlichkeit nach vorne konnte kaum besser sein, selbst in der Nacht waren die Karosserieecken dank der Prismen über den Scheinwerfern einsehbar. Nach hinten störte das riesige Reserverad auf dem Kofferraum dann doch beträchtlich, aber schliesslich will ein richtiger Lord ja seine Golf- oder Reitausrüstung immer dabei haben.
Ohne Servounterstützung - die hätte ja auch 800 (Franken) extra gekostet - artet die Kurbelei am dünnwandigen Kunststofflenkrad schon ein wenig in Arbeit aus, aber schlimm ist das nicht. Der Wagen motiviert den Fahrer automatisch zu einem ruhigen Fahrstil, was keinesfalls mit langsam gleichzusetzen ist. Tatsächlich geht es flott voran, der oberste der drei Gänge ist in Windeseile erreicht, die Fahrgeräusche halten sich im Rahmen. Die guten Sitze und die relativ weiche Federung versöhnen mit Komfort, solange man vorne sitzt. Hinten ginge es dann auf den Einzelsitzen doch eher eng zu, aber dies stört den Selbstfahrer kaum.
Etwa alle 400 bis 500 km steuert man eine Tankstelle an, um Benzin nachzufüllen. Nun kann man endlich den Wagen auch von aussen geniessen. Er hat, obschon keinesfalls zeitlos gestaltet, die Jahre gut überstanden und wirkt noch genauso ur-britisch wie damals vor 50 Jahren.
Wir danken der Oldtimer Galerie Toffen , die uns eine Probefahrt im Rover 3500 von 1970 ermöglicht hat.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 44 / 1963 vom 10.Okt.1963 - Seite 33: Vorstellung Rover 2000
- AR-Zeitung Nr. 20 / 1968 vom 25.Apr.1968 - Seite 37: Ankündigung Rover 3500
- Auto Motor und Sport Heft 19/1969, ab Seite 34: Test Rover 3500 V8
- AR-Zeitung Nr. 15 / 1972 vom 30.Mrz.1972 - Seite 17: Test Rover 3500 S
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War Vorschrift wegen der steilen Hügel und bergigen Strassen.
Ist dann immer herrlich wenn später Defekte an der Bremsanlage aufgetreten sind - es wurden halt irgendwelche Teile aus der damaligen BL Produktionspalette verbaut. Schwierig die richtigen Teile zu finden.
Ansonsten ein schöner Wagen.