“Als der kleine Martin, gerade fünf, im Jahr 1955 mit seinem Paps zur IAA nach Frankfurt fuhr, war es um ihn geschehen. Auf Hochglanz poliert stand er da: der 190 SL. «Dieses Auto», das wusste der Dreikäsehoch gleich, «werde ich einmal besitzen.»
Die folgenden Jahre sammelte er fleißig Prospekte, Testberichte und Dutzende von Zeitungsartikeln über seinen Traumwagen.
Auch Hollywood erging es nicht viel anders. Im Nu hatte der Roadster mit seinem eleganten Formen die Herzen von Stars und Produzenten erobert. Im Film «High Society» spielte er neben Grace Kelly und Frank Sinatra eine Hauptrolle. Als der kleine Martin das spitzbekam, piesackte er seine Eltern so lange, bis er in der ersten Reihe saß. In Übergröße fuhr der roadster direkt an seiner Nase vorbei. «Damals», so erinnert sich Martin Voit weiter, «hat es mich fast vom Kinosessel gehauen.»
Heute flaniert Herr Volt in seinem 190 SL übers Land (wenn auch nur bei schönem Wetter). «Wäre ich noch mal fünf», so sagt er, «mein Jugendschwarm wäre jetzt der SLK.» Vielleicht liegt es ja daran, dass man mit dem SLK nicht mehr vergebens auf schönes Wetter warten muss.”
Diese kleine Geschichte, abgedruckt auf Seite 4 des SLK-Verkaufsprospekts aus dem Jahr 2000, mag wahr oder gut erfunden sein, aber sie zieht richtigerweise die direkte Verbindung zwischen dem 1994 auf dem Pariser Autosalon eingeführten kleinen Cabriolet Mercedes-Benz SLK und seinem spirituellen Vorgänger, dem 190 SL, der 1954 in New York präsentiert wurde, fast genau 40 Jahre vorher.
In beiden Fällen gab es bereits ein grosses und teures Cabriolet, nämlich in den Fünfzigerjahren den 300 SL (zu Beginn allerdings noch als Flügeltürer) oder vier Jahrzehnte später den R129 als 280 bis 600 SL.
Dies war aber noch nicht die einzige überraschende Parallele zwischen dem 190 SL der Fünfzigerjahre und dem SLK der Neunzigerjahre. Tatsächlich wiesen beide Autos exakt denselben Radstand (2400 mm) auf und sie nutzten auch beide vergleichsweise biedere Limousinentechnik (Mercedes-Benz 180 respektive C-Klasse) unter dem flotten Kleid. So wollten sie das elegante Offenfahren ein bisschen günstiger ermöglichen.
Ein 190 SLK?
Bis 1963 wurde der 190 SL gebaut, dann wurde er durch die Pagode (230 bis 280 SL, W 113) abgelöst. Damit waren nur noch Sechszylindermotoren verfügbar und der Nachfolger des beliebten 280 SL setzte im Jahr 1971 sogar ausschliesslich auf einen V8-Motor, bis er auch Sechszylinderaggregate zur Seite gestellt bekam.
Die Cabriolet-Baureihen wurden also grösser und teurer, es entstand eine neue Nische für ein preisgünstiges Cabriolet im Mercedes-Programm, vor allem weil sich offene Autos ab Mitte der Achtzigerjahre erneut grosser Beliebtheit erfreuten.
So musste es nicht erstaunen, dass im September 1990 ein Mercedes-Benz 190 SLK auf dem Titelblatt der Zeitschrift «Auto Motor und Sport» auftauchte. Vorhergesagt wurde ein kleiner Mercedes Roadster, bei Porsche gebaut, mit 2300 mm Radstand kurz und daher mit dem «K» in der Bezeichnung beschrieben. Der SLK sollte das Mercedes-Image verjüngen, denn die Marke wirkte zu jener Zeit trotz Baby-Benz doch recht angestaubt.
Das versenkbare Hardtop-Dach wurde bereits erwähnt und es wurde auf Ford verwiesen und auch auf Walter Treser, wo derartige Konstruktionen schon versucht worden waren. Auch schon angedacht waren Sechszylinderversionen, die sich vom Temperament mit dem 500 SL mit V8-Maschine messen lassen könnten. Auf den Zeichnungen wirkte der 190 SLK wie ein geschrumpfter R129.
Der lange Weg in die Serienfertigung
Es dauerte dann aber doch alles etwas länger. Erst im Frühling 1994 wurde auf dem Turiner Autosalon die Studie SLK gezeigt und sie lag schon deutlich näher an der Serie als der Entwurf von 1990. Nur die Bürzel hinter den Kopfstützen verschwanden noch, auf das Lockblech für den Kühlergrill wurde schliesslich verzichtet. Der Radstand hatte sich bereits auf die finalen 2,4 Meter verlängert und die Technik kam nun von der C-Klasse.
Allerdings sprach man noch von SLK 220 und SLK 280, was auf einen Sechszylinder hoffen liess. Porsche Boxster und BMW Z3 wurden im Jahr 1994 für 1995 und 1996 vorausgesehen. Der SLK sollte «puristische Fahrfreude und neue Erlebnisqualitäten» garantieren gemäss Mercedes.
Bis zum Pariser Autosalon im Herbst 1994 wurde die SLK-Studie weiterentwickelt und sie liess sich vom Mercedes-Chef bereits fahren. Das Vario-Dach, das sich in 25 Sekunden automatisch öffnen liess, war weiterhin an Bord, dafür fehlten die Höcker hinter den Sitzen.
Im August 1995 schliesslich konnte der Serienstart des SLK angekündigt werden: Sommer 1996. Die Mercedes-Testfahrer waren zu jener Zeit mit einer ganzen Kolonne offener Zweisitzer unterwegs und verglichen ihren SLK mit der gesamten Konkurrenz, schliesslich sollte nichts dem Zufall überlassen werden. Das Design war nun genauso gesetzt wie die der Kompressormotor mit 2,3 Litern Hubraum und 193 PS. Nur für die Basisvariante ging man noch von 2,3 Litern ohne Aufladung aus.
Bruno Sacco, Design-Direktor bei Mercedes, erklärte damals, warum die Höcker hinter den Sitzen verschwinden mussten:
«Die Variante mit den beiden Kopfstützen war eine Version von mehreren. Aus technischen Gründen haben wir dann aber darauf verzichtet, denn eine der interessantesten Innovationen des Fahrzeugs ist das faltbare Metalldach, das sich im Kofferraum versenken lässt. Diese technische Lösung machte es notwendig, auf die Dome zu verzichten. Wir sind der Meinung, dass das faltbare Metalldach für den Kunden eine nützlichere Einrichtung ist als reine Designelemente, wie sie die Dome hinter den Sitzen darstellen.»
Aus strategischen Gründen hatte Mercedes-Benz sich für ein deutlich niedrigeres Preisniveau entschieden als man es bisher gewohnt war. Um DM 50’000 sollte der Einstiegs-SLK kosten.
Mit Kompressor gegen harte Konkurrenz
Als der SLK schliesslich im Jahr 1996 in die Verkaufsräume gelangte, sorgten die attraktiven Preise sofort für mehr als einjährige Lieferfristen. Dabei gab es keinen Mangel an Konkurrenz. Porsche hatte eben den Boxster lanciert, der mit DM 76’500 oder CHF 59’950 zwar etwas teurer war als der 230 SLK, aber dafür auch sechs Zylinder und 204 PS bot. BMW hatte bereits die 2,8-Liter-Version des Z3 für DM 61’300 angekündigt. Die Sechszylinder-Version des Alfa Romeo Spiders kostete DM 56’500, Mercedes-Benz wollte für den kompressor-gestärkten SLK 230 DM 60’950 oder CHF 50’500.
Von unten drohten BMW Z3 1.9 (DM 49’800 / CHF 40’400), Fiat Barchetta (DM 42’950 / CHF 31’000), Mazda MX-5 (DM 42’950 (1.9) / CHF 29’800) und MGF (DM 39’500 oder CHF 37’500) oder der Alfa Romeo Spider 2.0 (CHF 39’300) dem SLK Marktanteile streitig zu machen. Kein Wunder, war Mercedes mit Kampfpreisen eingestiegen, denn bereits ab DM 52’900 oder CHF 44’500 konnte man sich einen SLK 200 bestellen.
Nur der SLK allerdings konnte mit einem eingebauten Hardtop aufwarten, also überzeugend gleichzeitig als Cabriolet und Coupé dargestellt werden. Bei der Konkurrenz kostete ein Hardtop, soweit überhaupt verfügbar, schnell einige Tausenderscheine und die Montage war meist auch nicht ohne. Im Gegenzug musste sich der SLK-Fahrer mit einem arg kleinen Kofferraum von 145 Litern begnügen, wenn das sogenannte «Variodach» eingeklappt war. Da passte nicht einmal eine Golftasche mehr in den Stauraum. Zudem waren Metallic-Lackierung, Klimaanlage, Sitzheizung, Leder und sogar die Lenkradverstellung aufpreispflichtig, so dass die meisten SLK 230 eher in Richtung 75’000 Deutschen Mark oder 60’000 Schweizer Franken tendierten.
Aber all dies war vergessen, wenn innert 25 Sekunden aus dem geschlossenen Wagen ein sonnenhungriges Cabriolet geworden war. Alleine diese komplett automatische Umbau-Show war das viele Geld fast schon wert.
Es gab ihn in vielen schönen Farben, den SLK. Sie hörten auf Bezeichnungen wie Yellowstone (gelb), Imperialrot, Linaritblau, Vivianitgrün oder Polarweiss. Trotzdem war wohl Brilliantsilber die am häufigsten gewählte Lackoption.
Das Fazit der Automobil Revue lautete nach einem ersten Test im Spätsommer 1996:
"Mit dem SLK ist Mercedes-Benz ein Volltreffer gelungen. Zu einem höchst kompetitiven Preis wird eine gekonnte Mischung aus Sinnlichkeit, Ästhetik, Qualität, Sportlichkeit und Luxus geboten. Dass auch Kritikpunkte ausgemacht werden können, macht den Wagen nur sympathischer, zeigt es doch, dass auch Mercedes-Benz nur mit Wasser kocht."
Den Motor hätte man sich noch etwas sportlicher gewünscht, war von der Elastizität aber begeistert. Kürzere Schaltwege und schnellere Schaltmanöver hätten dem sportlichen SLK noch etwas besser angestanden, fanden die AR-Tester. Wenig auszusetzen gab es an Fahrverhalten und Fahrkomfort. Auch die zielgenaue Lenkung und der angenehm kleine Wendekreis überzeugten. Nur von den Sitzen hätte man noch etwas mehr Seitenhalt gewünscht. Den Testverbrauch bezeichneten die Testfahrer mit 9,7 Liter pro 100 km als angemessen, zumal man bei schonender Fahrweise auch mit 7 bis 8 Litern pro 100 km auskommen könne.
Klaus Westrup griff für die Zeitschrift «Auto Motor und Sport» gar zu Superlativen nach seinem Test im Jahr 1996:
"Was der SLK in Kurven zeigt, ist das Eindrucksvollste in der Mercedes-Hierarchie. Extreme Querbeschleunigungen, äußerst standfeste Bremsen und eine verblüffende Handlichkeit machen den jüngsten Mercedes zusammen mit seinen unspektakulären, aber nicht minder wichtigen Alltagseigenschaften zu einem Novum in der gesamten Sportwagenwelt. So bleibt in Anbetracht der Dachkonstruktion nur noch eines zu sagen: Hut ab."
Monokultur versus Motorenvielfalt
Die Welt der Neunzigerjahre war eine deutlich andere als jene der Fünfzigerjahre. Reichte es, beim 190 SL eine einzige Motorisierung anzubieten, griff Mercedes-Benz 40 Jahre später ins volle Serienteileregal und rüstete den SLK nicht nur mit dem Zweiliter- und Kompressor-Vierzylinderaggregat aus, sondern schon mit dem 218 PS starken 3,2-Liter-V6 mit drei Ventilen pro Zylnider und Doppelzündung. Sogar eine AMG-Variante mit 354 PS gab’s ab dem Jahr 2000.
In der Mitte der Bauzeit wurde dem SLK ein leichtes Facelift verabreicht, statt fünf Gänge konnte man nun deren sechs schalten und die Materialanmutung stieg.
Nachfolger des ersten SLK der Baureihe R 170 wurde der R 171, der ab 2004 mit einer modifizierten Dachmechanik und einem neuen Äusseren mit Formel-1-Nase auf Kundenfang ging.
Insgesamt waren über 311’000 SLK der Baureihe R 170 gebaut worden, mehr als das Zehnfache von dem, was der 190 SL 40 Jahre früher geschafft hatte.
Ein modernes Auto
Wer sich in den R 170 setzt, muss weder das Autofahren neu lernen, noch sich lange mit dem Betriebshandbuch beschäftigen. Zwar muss der Benzinmotor noch durch Schlüsseldreh gestartet werden, aber ansonsten verhindern viele Elektromotoren, dass man sich über Gebühr anstrengen muss. Das Dach senkt oder hebt sich (im Stand) auf Knopfdruck, noch immer beeindruckt der Mechanismus, obschon die meisten Klappdach-Cabriolets bereits wieder aus der Neuwagen-Landschaft verschwunden sind.
Auch die Seitenscheiben werden elektrisch versenkt. Die Lenkung ist natürlich servounterstützt, beim Bremsen hilft ABS. Mit seinen relativ hohen Flanken ist der SLK ein Kind der Neunzigerjahre, auch der Scheibenrahmen dokumentiert das hohe Gewicht, welches Sicherheitsüberlegungen bei der Konstruktion hatten.
Für Spassfahrten würde man sich vielleicht einen etwas charakteristischeren Motorklang, sprich mehr Musik wünschen, aber an Leistung fehlt es nicht. Obwohl die ersten Exemplare schon über 25 Jahre alt sind, mangelt es keineswegs an Kurvendynamik und Vorwärtsdrang, notfalls geht es mit gegen 230 km/h vorwärts und die Kopfbelüftung lässt sich durch die Stellung der Seitenscheiben und ein Windschott nach Wunsch dosieren.
Beim Fahren wirkt der SLK 230 handlich, die fünf Gänge lassen sich gut und exakt schalten, die Bedienung gelingt auf Anhieb, zumal die Beschriftungen kaum Fragen offen lassen. Obwohl schon rund ein Vierteljahrhundert alt, kann man sich einen SLK im Alltag gut vorstellen.
Tatsächlich stehen auch viele Exemplare noch täglich im Einsatz. Es fehlt einem an nichts, mit dem Verkehr mithalten kann man jederzeit. Auch in fünf Jahren wird sich der SLK noch nicht wie ein Oldtimer anfühlen, nur das etwas gar eckige Design mit den kurzen Überhängen und kompakten Ausmassen wird einen daran erinnern, dass die Zeit, in der der R 170 konstruiert wurde, schon lange passé sind.
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