Im April 1971 stellte Mercedes-Benz einen neuen Tourensportwagen vor, der in die Fussstapfen des beliebten 280 SL, genannt Pagode, treten sollte. Der Neue war deutlich grösser geworden, 6 cm war der Radstand, 8,5 cm die Länge und 3 cm die Breite gewachsen. Das Mehrgewicht von rund fast 200 kg wurde durch einen nun 3,5 Liter grossen V8-Motor kompensiert, den man wie im Vorgänger mit Vierganghandschaltung oder Viergang-Wandlerautomatik schalten konnte.

Bei der Technik bediente man sich damals vor allem beim Strich-Acht, jedenfalls kamen von dort die Vorder- und Hinterradaufhängungen.
Die Linienführung war gestreckt worden, vor allem der Kühler wirkte deutlich breiter, das ganze Auto flacher. Vorne kamen waagrecht angeordnete Rechteck-Scheinwerfer zum Einsatz, bei den Heckleuchten setzte man auf das Riffelglas, das Verschmutzungen wirksam verringern sollte.
Auf Sicherheit ausgelegt
Insgesamt stand die Sicherheit hoch auf der Prioritätenliste. Die Karosserie war mittels Computer-Unterstützung konzipiert worden. Eingesetzt wurde dabei die sogenannte “Elasto-Statik-Element-Methode” (ESEM), gerechnet wurde auf IBM-Rechnern, die damals wohl halbe Turnhallen füllten. um der Aufgabe gerecht zu werden. Neben eingebauten Knautschzonen waren die Windschutzscheibenpfosten deutlich fester ausgelegt worden, um bei einem Überschlag das Schlimmste zu verhüten. Auf einen Überrollbügel verzichtete man, ein nachträglicher Einbau wurde aber bereits angedacht.
Doch nicht nur die Karosseriestatik sprach für mehr Sicherheit, auch an anderen Elemente des neuen Wagens konnte man sehen, dass der Mercedes für seine Insassen sorgte. Das Lenkrad verfügte über einen verformbaren Pralltopf, der Schaltknauf war aus energieabsorbierendem Schaumgummi gefertigt. Den Tank hatte man nach vorne über die Hinterachse verfrachtet, Aussen- und Innentürgriffe wiesen weniger vorstehende Teile auf und die Blinker waren auch von der Seite sichtbar. Und da war noch einiges mehr.
Kein Ökomobil
Über 1,5 Tonnen und ein Achtzylindermotor, da konnte keine Verbrauchsrekorde erwarten. Tatsächlich konsumierte die Viergangvariante im Test der Automobil Revue 19,6 Liter Superbenzin pro 100 km, die Automatik-Version genehmigte sich sogar noch drei Deziliter mehr, blieb aber immerhin noch knapp unter 20 Litern. Fahrleistungsmässig schnitt der handgeschaltete 350 SL allerdings deutlich besser ab, den Sprint von 0 bis 100 km/h absolvierte er in 9,7 Sekunden, während der Wandlerautomat dafür 11 Sekunden benötigte, allerdings nur, wenn man ihm das Schalten überliess. Wählte man die Gänge von Hand vor, liessen sich im AR-Test 100 km/h sogar in 9,1 Sekunden erreichen.
Interessant war damals (wie heute) der Vergleich des 350 SL mit seinen Vorgängern 230/250/280 SL und 190 SL, den die folgende Tabelle zeigt:
Typ | 190 SL | 230 SL | 250 SL | 280 SL | 350 SL |
---|---|---|---|---|---|
Jahr | 1955 | 1963 | 1967 | 1968 | 1971 |
Zylinderzahl/Ventilsteuerung | 4 (1 OHC) | 6 (1 OHC) | 6 (1 OHC) | 6 (1 OHC) | V8 (2 OHC) |
Bohrung/Hub in mm | 85 X 83,6 | 82 X 72,8 | 82 X 78,8 | 86,5 X 78,8 | 92 X 65,8 |
Hubraum cm3 | 1897 | 2306 | 2436 | 2778 | 3449 |
Verdichtung | 8:1 | 9.3:1 | 9.5:1 | 9.5:1 | 9,5:1 |
Gemischaufbereitung | 2 Reg.-Verg. | mech. Einspr. | mech. Einspr | mech. Einspr. | elektr. Einspr. |
PS (DIN) bei U/min | 105/5700 | 150/5500 | 150/5500 | 170/5750 | 200/5800 |
mkg (DIN) bei U/min | 14/3800 | 20/4200 | 22/4200 | 24,5/4500 | 29,2/4000 |
Getriebe: Anzahl Gänge | 4 | A | 4 (a. W.5) | 4 (a. W. 5) | 4 |
Anzahl Gänge Automatik | — | 4 | 4 | 4 | 4 |
Aufhängung vorne | Querlenker | Querlenker | Querlenker | Querlenker | Querlenker |
Aufhängung hinten | Eingelenk-Pendelachse | Eingelenk-Pendelachse | Eingelenk-Pendelachse | Eingelenk-Pendelachse | Dreieckschwingen |
Bremsen | Trommeln | Sch./Tr. | Scheiben | Scheiben | Scheiben |
Servolenkung | — | a. W. | a.W. | a.W. | serienmässig |
Tankinhalt in Liter | 56 | 65 | 82 | 82 | 90 |
Radstand cm | 240 | 240 | 240 | 240 | 246 |
Länge cm | 422 | 428,5 | 428,5 | 428,5 | 437 |
Breite cm | 174 | 176 | 176 | 176 | 179 |
Höhe cm | 132 | 132 | 132 | 132 | 130 |
Gewicht kg | 1080 | 1295 | 1360 | 1360 | 1545 |
Leistungsgewicht kg/DIN-PS | 10.3 | 8.6 | 9.1 | 8 | 7.7 |
0—100 km/h in s | 14.7 | 11.5 | 10 | 9 | 9.1 |
Spitze in km/h | 180 | ca. 200 | ca. 200 | ca. 200 | 214 |
Preis (Roadster) in SFr. | 20200 | 28900 | 30800 | 31600 | 42400 |
Leiser und komfortabler
Gegenüber seinen Vorgängern trumpfte der 350 SL vor allem mit seinem erhöhten Komfort auf, er war leiser und rollte sanfter ab, er war in seinem ganzen Naturell zum Luxussportwagen geworden. Die Automobil Revue schloss ihren Test im August 1971 mit folgenden Worten ab:
“Die Stärken des jüngsten Mercedes- Sprosses liegen in der bis ins Detail auf Sicherheit ausgelegten Konstruktion, in der kaum zu übertreffenden Verarbeitungsqualität und nicht zuletzt im ungewöhnlichen Limousinenkomfort.
In keiner Weise animiert der 350 SL zu extrem sportlicher Fahrweise, obwohl der drehfreudige Motor und das unproblematische Fahrverhalten eher das Gegenteil erwarten liessen. Mit diesem Wagen hat man aber die Gewissheit, mühelos, komfortabel, rasch und sicher auch an weit entfernte Ziele zu gelangen.”
Eine gute Wahl
Offensichtlich überzeugten die Qualitäten des neuen Sportwagens aus Stuttgart auch einen gewissen Nicolae Ceaușescu. Dieser war seit 1967 der alleinige Regent von Rumänien und für sein wenig zimperliches Regime bekannt. Nachdem er zu Beginn seiner Regierungszeit durchaus populär gewesen war, wurde er über die Jahre immer stärker diktatorisch und paranoid. Seine Geheimpolizei Securitate überwachte alles und jeden. Im Jahr 1989 wurde sein Regime durch eine Volksrevolte gestürzt, er und seine Frau nach einem kurzen Gerichtsverfahren erschossen.
1973 hatte er sich einen Mercedes-Benz 350 SL zugelegt, der handgeschaltet und mit den teuren geschmiedeten Alurädern (in der Schweiz 1550 Franken) ausgestattet gewesen war.
Von seinen Sicherheitsleuten liess er sich zum Becker Mexico Radio noch einen Becker-Kurzwellenempfänger ins Handschuhfach einbauen.
Viel fuhr der Regent wohl nicht mit seinem silbernen SL, denn als der Wagen 1999 von Rumäniens Regierung zusammen mit dem übrigen Nachlass Ceaușescus versteigert wurde, zeigte der Tachometerstand gerade einmal 4038 km an.
Der neue Besitzer fügte weitere 13’000 km dazu, nachdem er den lange gelagerten Wagen mit vielen Neuteilen wieder fahrbar gemacht hatte. 2007 wurde der SL erneut stillgelegt.
Am 19. März 2016 wird Bonhams den jung gebliebenen silbernen Mercedes 350 SL in Stuttgart als Lot 104 im Rahmen der Mercedes-Benz Museums-Versteigerung unter den Hammer bringen. Als Schätzpreis sind EUR 30’000 bis 50’000 (CHF 33’000 bis 54’000) angesetzt. Angesichts des tiefen Kilometerstands und des sicherlich geschichtsträchtigen Vorbesitzers ist dies sicherlich nicht übertrieben. Der Erlös des Verkaufs soll an eine Stiftung namens “Crosscause” gehen, deren Freiwillige sich seit 2003 um behinderte Waisenkinder in Rumänien kümmern - eine schöne Wende der Geschichte.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 19 / 1971 vom 22.Apr.1971 - Seite 49: Tourensportwagen Mercedes 350 SL
- AR-Zeitung Nr. 34 / 1971 vom 05.Aug.1971 - Seite 15: Noblesse oblige (Kurztest 350 SL)
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Der Verbrach war bei mir mit Schnellfahrten ungefähr 25 L/100 Km, wenn man es ruhig anging hat der Verbrauch zwischen 16 L zu 18 L angependelt.
Das Fahrverhalten eines SLC war meiner Ansicht nach viel besser als den Roadster.
Die Michelin XVS-Reifen waren sehr empfindlich für Aquaplaning. Der Fahrspass habe ich später bei menem 500SEC (W126) vermisst, wenig Motorgeräusche und das Gefühl in einem Panzer unterwegs zu sein.
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