War Kowalsky wirklich der letzte amerikanische Held, wie der DJ SuperSoul es verkündet? Im Film “Vanishing Point” (deutscher Titel: Fluchpunkt San Fransciso) aus dem Jahr 1971 überführt er einen weissen 70er Dodge Challenger R/T über 1600 km von Denver (Colorado) nach San Francisco (Kalifornien), oder er versucht es wenigstens. Die halbe Polizei ist ihm auf den Fersten, obschon er nichts Schlimmes verbrochen hat. Barry Newman mimt den schweigsamen Helden und während mindestens der Hälfte des Films ist das Stampfen des grossen V8-Motors zu hören.

Und knapp 45 Jahren später sitze ich in einem ähnlichen Dodge Challenger R/T und geniesse dieses unendlich kraftvolle Achtzylindergrollen. Ich wechsle die Gänge mit dem “Hurst Shifter”, fast genau wie Kowalsky, und lasse mich vom drehmomentstarken 6,2-Liter-Motor in den Sitz pressen. Meine Hände umfassen das dünne Lenkrad, mein Blick streicht über den Tacho bis 240 km/h und den Drehzahlmessern, der bis 8000 Umdrehungen anzeigen kann. Im Gegensatz zu Kowalsky bleibe ich auch ohne "Speed" hellwach ....
Zu spät gekommen?
Im Sommer 1969 wurden die ersten Fotos des neuen Dodge Challenger publiziert. Der Zweitürer, den es als Coupé und Cabriolet geben sollte, wurde als Antwort auf die Pony Cars Ford Mustang und Chevrolet Camaro positioniert. Den grossen Boom dieser Fahrzeugkategorie hatte man aber schon fast verpasst.
Der Challenger war eines von zwei Chrysler-E-Body-Autos, das andere hiess Plymouth Barracuda, welcher zu jenem Zeitpunkt bereits auf eine fünfjährige Geschichte zurückschauen konnte.
Der Dodge Challenger wies für amerikanische Verhältnisse kompakte Ausmasse auf, die Länge betrug 4,86 Meter, die Breite allerdings unbescheidene 1,93 Meter. Mit einer Höhe von 1,29 Metern waren Coupé und Cabriolet ziemlich flach geraten.
Das Design stammte von Carl Cameron, der bereits den Dodge Charger von 1966 gezeichnet hatte. Eine lange Motorhaube und eine kurze Kabine gaben dem Wagen ein kraftvolles Aussehen, das mit Doppelscheinwerfern und breiten Rückleuchten noch gewürzt wurde.
Angeboten wurde eine Vielzahl von Ausstattungsoptionen, mit denen Exterieur und Interieur beeinflusst werden konnten. Für gehobene Ansprüche gab es die “SE”-Ausführung, die ein Vinyldach, Ledersitze, usw. beinhaltete.
Das volle Konzert
Beinahe alle im Chysler-Regal verfügbaren Motoren wurden auch im Dodge Challenger angeboten. Das Spektrum begann mit einem 3,7-Liter-V6 und endete mit 7-Liter-Hemi-V8, der 425 PS lieferte. Zusätzlich gab es noch einen 7,2-Liter-Magnum-Motor als grössten V8.
Darunter rangierte der 383-Magnum-V8 mit 6,28 Litern Hubraum und rund 340 PS, der die Basismotorisierung für das Modell “R/T” (für Road and Track, also Strassen- und Renneinsatz) war. Neben den genannten Motoren gab es noch einige mehr, auch die Vergaserbestückungen variierten.
Klassische amerikanische Muscle-Car-Technik
Gekoppelt waren die Motoren mit handgeschalteten Drei- oder Vierganggetrieben. Auf Wunsch gab es auch eine TorqueFlite-Automatik. Die Kraft wurde zur starren blattgefederten Hinterachse geführt, vorne waren die Räder einzeln aufgehängt. Von der technischen Konzeption unterschied sich der Challenger kaum von anderen Muscle Cars jener Zeit. Mit 1617 kg (Modell R/T 383, DIN-Messnorm) war er auch in derselben Gewichtsklasse.
Beeindruckende Fahrleistungen ...
Grosse Motoren, aufwändige Vergaseraufbauten und überschaubare Masse bedeuteten natürlich auch atemberaubende Fahrleistungen. Bereits der 6,28-Liter mit 340 PS war für den Standard-Sprint von 0 bis 100 km/h in rund 6,5 Sekunden und eine Spitzengeschwindigkeit von knapp 220 km/h gut. Die Automobil Revue jedenfalls notierte nach Fahrversuchen mit der 1970-er-Muscle-Car-Generation, dass für 20’000 bis 30’000 Franken Fahrleistungen geboten würden, die europäische Alternativen für dasselbe Geld nicht liefern würden.
Im Film Vanishing Poing lässt sich übrigens ein Fahrer eines Jaguar E-Types, ausgerüstet mit Überrollbügel und Helm, auf ein Strassenrennen mit dem Challenger ein und endet prompt in einem Flussbett.
Die damals überdurchschnittlichen Dynamikwerte lassen sich auch heute gut nachvollziehen, wenn man sich erst einmal mit der eher für kräftige Waden geeigneten Kupplung angefreundet hat. Das Getriebe lässt sich sehr exakt schalten und der Vortrieb in den einzelnen Gängen erzeugt zusammen mit dem brachialen Sound Gänsehaut.
... und etwas wenig Bodenkontakt
Fordert das Kupplungspedal den ganzen Mann, so lässt sich das Lenkrad dank ausgeprägter Servounterstützung mit dem kleinen Finger drehen. Die Automobil Revue schrieb damals: “Mit 3 1/2 Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag ist die Kugelumlauf-Servolenkung gerade richtig untersetzt; etwas zu leichtgängig, vermittelt sie deshalb nur wenig Bodenkontakt. Die Präzision ist gut und die Rückstellkraft befriedigend”.
Angesichts der damals kolportierten ausgewogenen und sicheren Fahreigenschaften hätte man sich wohl etwas mehr Fahrbankontakt gewünscht.
Kowalski, der übrigens ein 440 Magnum Modell fuhr im Film, kam mit dem Handling jedenfalls gut zurecht und verschiedene Szenen im Film zeigen, wie robust das Gesamtpaket gebaut war. Das Gros der Fahrstrecke bestand allerdings aus fast unendlich langen Geraden und dafür wurden die Muscle Cars damals ja auch gekauft.
Nur fünf Jahre
Der Absatz im ersten Jahr lief gut, immerhin 76’935 Coupés und Cabriolets des Baujahres 1970 konnten verkauft werden.
Auf das Baujahr 1971 hin wurde der Wagen nur geringfügig verändert, so wies das Kühlergitter nun zwei eingelegte Rechtecke auf. Das Motorenprogramm wurde nur minimal angepasst, allerdings wurde die Verdichtung der Aggregate zwecks Entgiftung gesenkt, was auch die Leistung etwas beschnitt. Die Serienausstattung wurde umfangreicher. Mit nur 26’299 verkauften Fahrzeuge enttäuschte das zweite Baujahr.
Für 1972 erhielt der Challenger modifizierte Front- und Heckpartien. Das Cabriolet verschwand genauso wie die grossvolumigen V8 mit über sieben Liter Hubraum. Es war vorbei mit den Muscle Cars, der stärkste Challenger leistete 240 PS. Die Verkäufe lagen auf Höhe des Vorjahres.
Das Baujahr 1973 wies einige technische Modifikationen auf und auch an der Sicherheit wurde gearbeitet. So steigerte man den Insassenschutz mit Stahlplanken in den Türen. An den Motoren änderte sich wenig, der Verkauf blieb mit 27’930 Exemplaren hinter den Erwartungen.
Kaum Anpassungen gab es für das letzte Baujahr 1974, die Stossfänger mussten nun den Aufprall mit 5 Meilen pro Stunde aushalten. Nach 11’354 74-er Modellen oder 164’437 Challenger über die fünfjährige Bauzeit war im April 1974 Schluss.
Der Dodge Challenger wurde nicht nur in den USA gebaut, sondern zum Teil auch in Rotterdam montiert. Auch die AMAG in der Schweiz fertigte Fahrzeuge des Chrysler-Konzerns, aber anders als von Wikipedia genannt keine Dodge Challenger, obschon einige dieser Wagen ein AMAG-Schinznach-Typenschild tragen.
Ein Ende mit Schrecken
Kowalsky rast am Ende des Films in seinem weissen Challenger mit über 100 Meilen pro Stunde in zwei von der Polizei aufgereihte Bulldozer. Hollywood-mässig explodiert der Wagen und geht in Flammen auf, “The End”.
“Unser” Challenger hatte ein deutlich erfüllteres Leben, steht besser da denn je, glänzt mit seinem “Plum Crazy Purple Metallic” Anstrich in der Sonne, lockt zu Ausfahrten auf unendlich langen Highways. Und bringt ein wenig jenes freiheitlichen Lebensgefühls zurück, für das Kowalsky im Film starb ...
Wir danken der Oldtimer Galerie Toffen für die Gelegenheit, den Dodge Challenger des ersten Baujahres für eine Fotosession entführen zu dürfen.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 47 / 1969 vom 06.Nov.1969 - Seite 37: Dodge 1970
- AR-Zeitung Nr. 16 / 1970 vom 02.Apr.1970 - Seite 35: Kurztest Dodge Challenger R/T
- AR-Zeitung Nr. 44 / 1970 vom 15.Okt.1970 - Seite 35: Dodge 1971
- AR-Zeitung Nr. 36 / 1971 vom 19.Aug.1971 - Seite 35: Dodge 1972
- AR-Zeitung Nr. 41 / 1972 vom 28.Sep.1972 - Seite 59: Dodge 1973
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