Wem Mitte der Fünfzigerjahre der BMW 502 mit seinen 105 PS nicht exklusiv genug war, der konnte sich bei BMW auch ein weitgehend individuell aufgebautes Cabriolet oder Coupé bestellen, das preislich fast die Hälfte teurer war.
Die Nachkiegsensation
Als der BMW 501 1951 an der IAA in Frankfurt präsentiert wurde, staunte die ganze Welt über den Aufstieg des Phönix BMW aus der (Kriegs-) Asche. Da man bei BMW nach dem Wegfall des Werks Eisenach über keine Karosserie-Fertigung mehr verfügte und sowieso nur kleine Stückzahlen produzieren konnte, hatte man bewusst auf die Ober- und Luxus-Klasse fokussiert und mit dem 501 einen intelligenten Mix aus Vorkriegstechnik (Motor) und innovativen Ideen (Chassis, Vorderrad-Aufhängung) auf die Räder gestellt. Das Design stammte von BMW-Mann Peter Szymanowski und er hatte auf klassische BMW-Akzente und exzessive Rundungen gesetzt, die dem Wagen den Übernamen “Barockengel” sicherten.
Mit rund 65 (später 72) PS hatte der betagte 326-Motor den fast 1,3 Tonnen Trockengewicht allerdings wenig entgegenzusetzen.
Mehr Leistung für den schweren Barockengel
Abhilfe gegen das Leistungsdefizit schaffte der 1954 am Genfer Automobilsalon erstmals präsentierte V8-Motor mit 2,6 Litern Hubraum im BMW 502. Ab sofort standen 105 PS bei dank weitgehender Nutzung von Aluminium beim Motor 1385 kg gegenüber, was für die 4,73 Meter lange und 1,78 Meter breite Limousine deutlich standesgemässer war.
Die Automobil-Fachpresse zeigte sich denn auch entsprechend enthusiastisch. “Endlich hat der BMW eine seinen hervorragenden Fahreigenschaften würdige Maschine bekommen. Der Typ 502 bereichert den Markt um ein höchst fahrsicheres, geräumiges, aber nicht zu grosses Hochleistungs-Gebrauchsfahrzeug, das romanisches Temperament und germanische Gründlichkeit verbindet,” schrieb die Automobil Revue 1955 nach einem Kurztest. Begeistert hatte vor allem die grosse Leistungsfähigkeit und ein bis 5700 U/min hochdrehbarer Motor.
Die Rolle der Karosseriebauer
Da BMW zu Beginn nicht in der Lage war, die Karosserien für den 501 selber zu bauen, kooperierte man mit den Spezialisten Reutter und Baur, beide in Stuttgart ansässig. Während die ersten Versuchswagen noch bei Reutter in Auftrag gegeben wurden, setzte sich bald Baur als primärer Lieferant durch.
Fast alle frühen Karosserien entstanden in einer komplexen Zusammenarbeit, bei der BMW den Rahmen ohne Technik nach Stuttgart lieferte, wo Baur die Karosserie aufsetzte und lackierte, um den Wagen dann wieder nach München zu transportieren, wo die Technik und das Interieur eingebaut wurde.
Vom Serien- zum Sonderkarosserie-Fertiger
Da diese zweitgeteilte Produktion BMW zu teuer kam, installierte man bereits 1953 in München die nötigen Presseinrichtungen, um selber Karosserien zu bauen. Als Baur davon erfuhr, begann man sich Gedanken um Sonderaufbauten zu machen und hatte mit den bisherigen Erfahrungen mit dem BMW-Fahrgestell natürlich über einen gewissen Erfahrungsvorteil.
So entstanden bei Baur auf Basis der BMW-Fahrgestelle 501 und 502 zwei- und viertürige Cabriolets und zweitürige Coupés.
Ab 1954 lieferte BMW die Chassis inklusive Armaturenbrett, Innenkotflügel, Motorhaube und Frontscheiben-Pfosten an alle interessierten Karosseriebauer (Autenrieth, Beutler, Ghia Aigle, Wendler, Worblaufen, usw.), vorher hatte vermutlich Baur die Wünsche begüterter Kunden exklusiv erfüllt.
Insgesamt fertigte Baur 147 Cabriolets und Coupés, den grössten Anteil hat die zweitürige Variante, die auf 501- und 502-Fahrgestellen entstand. Nur 19 oder 20 viertürige Cabriolets wurden gebaut, der Rest waren die zweitürigen Coupés.
Mit diesem Ausstoss war Baur aber eindeutig der grösste Hersteller von Sonderkarosserien auf 501/502-Basis, denn mit Ausnahme von Autenrieth (ca. 30 Stück) verkaufte kein anderer Karossier mehr als 10 Exemplare.
Das zweitürige Baur-Cabriolet
Optisch hielt sich auch die Cabriolet-Version an die Linienführung des Serien-501/502. Anstelle des Blechdachs schütze eine eng anliegende Kapuze die Besatzung.
Anlässlich der Berichterstattung der Automobil Revue zum Genfer Autosalon des Jahres 1955 wurden der BMW 502 und die Baur-Varianten ausführlich erwähnt:
“Der neue BMW-Achtzylindertyp 502, der letztes Jahr am Salon als wirklich grosse Überraschung herausgekommen ist, kam in der Zwischenzeit in das Stadium der Produktion und wird sowohl als Fabriklimousine, als Spezialcoupé von Baur (der Sechszylinder als ähnliches Cabriolet) wie auch als Chassis gezeigt. Dieses letztere Stück gehört zu den schönsten und für den technisch Interessierten zweifellos auch zu den wertvollsten Objekten des ganzen Salons. Es verrät Konstruktionsarbeit, wie sie nur einer kleineren Firma möglich ist, wo die Belange der Riesenproduktion noch nicht nach reiner Stahlblechschweiss- und Pressherstellung rufen, sondern wo auch die Schönheit der technischen Form Beachtung findet. Der klarlinige Aufbau des Achtzylindermotors in V, in Europa derzeit eine einmalige Konstruktion, die saubere Radführung, die hinten durch die Anordnung der Kurbellenker und ihrer Lagerung einen etwas progressiven Charakter der Federung erhält, die eigenartige Lenkung sowie Details wie die Verschalung des Vergasers, geben dem Typ 502 seine besondere Note. Die Fertigung der Serien- wie auch der Spezialkarosserien ist ausserordentlich gewissenhaft; dagegen kann man sich für die Cabriolets und Coupés zweifellos noch eine leichtere Linienführung denken, obwohl es bestimmt nicht leicht war, unter Mitverwendung von Serienteilen das erwünschte Ziel zu erreichen.”
Kostspielig
Baur liess sich den Aufbau zum Coupé oder Cabriolet teuer bezahlen. Während die Limousine in der Schweiz 1956 für 22’500 Franken angeboten wurde, kosteten die zweitürigen Coupé- und Cabriolet-Varianten 30’000 Franken, während das Chassis ohne Aufbau mit dem grösseren Motor für 19’800 Franken abgegeben wurde. In Deutschland kostete ein 502 Cabriolet DM 21’900, während die Limousine mit DM 17’800 in der Preisliste stand.
Das Chassis konnte genauso wie die Cabriolet-/Coupé-Variante über das BMW-Händlernetz bezogen werden.
Baur-Cabriolet 59094
Im Juni 1956 wurde ein cortina-graues zweitüriges BMW 502 Cabriolet (Fahrgestellnummer 59094) mit blauem Lederinterieur an die Firma Siemens & Halske ausgeliefert. Irgendwann nach seinem Einsatz als Repräsentationsfahrzeug gelangte der Wagen nach Kanada, wo ein Dr. Franklin Lam, der in Ottawa Zahnarzt war, ihn fuhr. Im Jahr 2010 sollte der Wagen nach langem Schlafzustand weggebracht werden, dem beauftragten Lastwagenfahrer gelang es, den Wagen von Dr. Lam zu kaufen, mit der Absicht ihn zu restaurieren. Das Projekt wurde ihm aber zu gross, so dass er sich ein Jahr später wieder vom BMW trennte. Der neue Besitzer liess den Wagen nach Europa schiffen, wo die Technik bei Erwin Brummer in der Nähe von München, Karosserie und Interieur bei Matejcek in Tschechien restauriert wurden.
Der Besitzer entschloss sich, den Wagen nicht mehr in der originalen Farbe, sondern in einem blauen BMW-Farbton zu lackieren. Statt der ursprünglichen 2,6-Liter-Maschine, die immer noch vorhanden ist, wurde zwecks besser Leistungsfähigkeit eine spätere 3,2-Liter-Variante eingebaut. Zudem wurden die vorderen Trommelbremsen durch Servo-Scheibenbremsen ersetzt, im Einklang zu den Spezifikationen zu späteren 502-Cabriolets.
Seit der Restaurierung wurde das 502 Cabriolet an mehreren Treffen und Veranstaltungen gezeigt und gefahren.
Am 14. März 2015 versteigert RM Auctions das dunkelblaue Cabriolet in Amelia Island. Als Schätzpreis werden USD 250’000 bis 350’000 genannt.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 9 / 1954 vom 03.Mrz.1954 - Seite 49: Ein neuer BMW-Achtzylinder in V
- AR-Zeitung Nr. 12 / 1955 vom 14.Mrz.1955 - Seite 7: Genf - der deutsche Personenwagen
- AR-Zeitung Nr. 15 / 1955 vom 23.Mrz.1955 - Seite 15: Kurztest BMW 502 V8
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