Mit dem Namen D’Ieteren werden vermutlich nicht alle Leser etwas anfangen können, obwohl einige Marken dieses belgischen Konzerns wie bespielsweise Carglass ihnen bestimmt ein Begriff sind. Daher scheint eine knappe Einführung in die Firmengeschichte, die sich vom Kutschenzeitalter bis hin zur heutigen Elektromobilität erstreckt, unerlässlich. Im Jahre 1805 und somit noch vor der Gründung des belgischen Staates startete Jean Joseph D’Ieteren erfolgreich mit dem Bau von Rädern und Kutschen.
Ende des 19. Jahrhunderts respektive zwei Generationen später begann die Firma auf dem Gelände des heutigen Firmenhauptsitzes im Brüsseler Stadtteil Ixelles mit dem Bau von Automobil-Karosserien. Damit war die Firma derart erfolgreich, dass 65 Prozent der Produktion des Jahres 1928 exportiert wurden. Nach der Weltwirtschaftskrise verlegte sich D’Ieteren ab 1931 auf den Import amerikanischer Wagen der Marken Pierce-Arrow, Auburn und Studebaker. Aufgrund geänderter, restriktiver Steuerbestimmungen für Importfahrzeuge lancierte D’Ieteren 1935 einen neuen Geschäftszweig und montierte während den darauffolgenden 35 Jahren aus angelieferten Komponenten in Belgien Studebaker-Fahrzeuge.
Im Jahre 1948 schloss D’Ieteren einen Vertrag mit Volkswagen und führte so den Käfer exklusiv nach Belgien ein, kurze Zeit später kam Porsche dazu. In der eigenen Fabrik wurden zusätzlich über eine Million Käfer in Belgien gebaut. Zeitweilig besaß D’Ieteren sogar im Kongo eine Autofabrik, bis diese durch den Diktator Mobutu enteignet wurde. Später kam der Vertrieb der Marken NSU und Audi hinzu und heute ist D’Ieteren der belgische Generalimporteur für alle Marken des VW-Konzerns (inkl. Lamborghini und Bugatti) sowie für Yamaha-Motorräder. Nach einem temporären Engagement in der Autovermieter-Branche umfasst das Firmen-Portfolio neben der Automobilsparte derzeit unter anderem die weltweit agierende Firma Belron mit der bereits erwähnten Tochterfirma Carglass, eine Immobilienabteilung und die Papierwaren-Firma Moleskine.
Schatz im Hauptsitz
Die über zwei Jahrhunderte währende Firmentradition wird in der D’Ieteren Gallery am traditionellen Hauptsitz an der Rue du Mail in der belgischen Hauptstadt präsentiert. In dessen Schaufenstern stehen zeitgenössische Nobelfahrzeuge der Marken Porsche, Lamborghini und Bugatti, aber auch VWs "Einliter-Auto" in den Schaufenstern.
Die Gallery ist kein reines Automuseum, weil sich die Geschäftstätigkeit der D’Ieteren-Gruppe nicht ausschließlich auf die Automobil-Branche beschränkte. Ferner werden die Exponate nicht nur ausgestellt, sondern durchaus noch an motorsportlichen oder automobilhistorischen Events bewegt. Auf 2’300 Quadratmetern werden knapp einhundert Automobile und einige Zweiräder gezeigt. Bei den Ausstellungsstücken handelt es sich um den kleineren Teil der privaten Fahrzeugsammlung von D’Ieteren. Kurvige Streifen an der Gebäudedecke fungieren als Zeitschiene und zeigen die jeweiligen Aktivitäten der Firma im Laufe der Zeit. Leider werden die Exponate zwar stimmungsvoll, aber letztlich doch etwas zu spärlich beleuchtet.
Von Kutschen und Karosserien
Beginnen wir also nun mit dem Rundgang durch diese beachtliche Sammlung. Für das Kutschenzeitalter sei hier stellvertretend der Nachbau einer eleganten zweisitzigen Tilbury-Kutsche, dessen Deichsel aus geschwungenem Bugholz geformt ist, erwähnt. Dem schließen sich eindrückliche Exponate aus der goldenen Zeit des automobilen Karosseriebaus an. Neben einem Hispano-Suiza Tipo 49 von 1929, dem ein Jahr zuvor von D’Ieteren karossierten Bugatti Type 44 und einem sportlich-eleganten Mercedes-Benz K kann auch der mächtige Torpedo "Baehr Patent" der belgischen Firma Excelsior aus dem Jahr 1924 bestaunt werden.
Da es zu dieser Zeit selbstverständlich noch keine Klimaanlagen für Autos gab und Kurbelfenster kaum verbreitet waren, verschaffte ein besonders trickreicher Mechanismus die ersehnte Kühlung, was der freundliche Museumschef van Boeckel dem Autor anschaulich demonstrierte. Erst werden die Seitenfenster zusammengefaltet und dann nach unten geklappt, um schließlich hinter einer Klappe in der Tür zu verschwinden.
Importiert von Übersee und aus Deutschland
Die 35 Jahre andauernde Liaison von D'Ieteren mit dem amerikanischen Automobilproduzenten Studebaker beziehungsweise ab 1954 Studebaker-Packard wird anhand einer Reihe von Fahrzeugen dargestellt. Darunter befinden sich unter anderem ein Studebaker EG Big Six von 1920 und ein prachtvoller Packard 640 Custom von 1929.
Knapp vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden die beiden Commander-Varianten Sedan (1938) und Business Coupé (1940), ein gutes Jahrzehnt danach der Packard Convertible von 1955. Ein Exemplar des 50er Studebaker Champion Starlight, auch bekannt als “bullet nose”, fehlt ebenso wenig wie die Designikone Studebaker Avanti von 1963.
Einen Großteil der Ausstellung beanspruchen die Fahrzeuge des heutigen Volkswagenkonzerns und seiner Vorgänger. In dieser Abteilung gibt es allerhand Seltenes zu entdecken. Bleiben wir eine Weile beim Volkswagen Typ 1 “Käfer” sowie seinen Vorgängern und Derivaten. Neben einem Brezel-Käfer und einem Typ 166 Schwimmwagen von 1942 wird ein Nachbau des Prototyps "Serie 30" von 1937 gezeigt.
Auch ein Buggy mit Ritter-Rüstung und natürlich ein Karmann-Ghia Typ 14 kann man begutachten. Daneben befinden sich die typischen Vertreter der Siebzigerjahre, VW Golf GTI und Scirocco.
Exotische Prototypen und sportliche Schmuckstücke
Während man von einer belgischen Automobilausstellung einen Apal Coupé fast schon erwartet – und auch gezeigt bekommt – erstaunen den Besucher zwei Neretti-Sportwagen. Wenn man den vermeintlich italienisch anmutenden Markennamen rückwärts liest, geht einem sicher ein Licht auf. Roland D’Ieteren (1942 bis 2020) plante einen Sportwagen mit GFK-Karosserie auf der Basis des Käfers für eine Produktion in Mexiko. Das Projekt wurde nicht umgesetzt, es blieb bei einem einzigen Exemplar von 1964, dem Neretti I.
Auch dem Neretti II war nicht viel mehr Erfolg beschieden. Von ihm entstand in Mexiko City zwischen 1970 und 1971 aber immerhin eine Vorserie von 15 Exemplaren.
In der Nachbarschaft des exotischen Duos sind mehrere Porsche platziert. Und wer genau hinschaut, kann an der Flanke eines 356 statt des vertrauten Namens des Karosseriebauers Reutter die Aufschrift "Anciens Etablissements D’Ieteren Frères Belgium" neben einer stilisierten Kutsche finden. In den Jahren 1960 und 1961 baute D’Ieteren nämlich 724 Exemplare des 356 B Roadster. Neben zwei 911, einem 550 und einem Carrera 6 findet sich ein der britische Elva Mk 7, ein Rennwagen mit Porsche-Motor.
Vielerlei Raritäten aus dem Uni-VW-rsum
Auch die Vorkriegsära der Auto Union wird eindrucksvoll dargestellt. Neben den DKW-Modellen F 1 und F 5 sowie den Wanderer-Wagen W 23 und W 25 K wird ein Audi Typ SS “Zwickau" mit Reihenachtzylinder präsentiert.
Glanzlichter der Auto-Union-Repräsentanz sind sicher die beiden Repliken der Rennwagen Wanderer W 25 Stromlinie und des Auto Union Typ A von 1934 mit 16 Zylindern. Bei den Nachkriegswagen finden sich unter anderem ein DKW Schnellaster, ein F 91 3=6 Sonderklasse Cabriolet von 1954, ein 1000 SP Roadster und ein Audi 60 L von 1972.
Erfreulicherweise wird auch die Firma NSU dokumentiert. Neben einem Prinz III stehen ein Wankel-Spider und ein Ro 80 von 1974. Seat ist mit dem kleinen Sportcoupé 1430 Sport von 1979 vertreten. Auch tschechische Automobile bilden einen Teil der Ausstellung, präsentiert werden ein Škoda 422 Tudor von 1930 sowie ein Popular Cabrio von 1937.
Der Bugatti Type 57 Aravis mit D’Ieteren-Karosserie von 1938 befindet sich neben einem Lamborghini 350 GT und einem Bentley S1 Continental Sports Saloon von 1956 in bester Gesellschaft.
Wie bereits oben erwähnt, hat sich die Firma auch mit Zweirädern beschäftigt. Seines Seltenheitswerts wegen erwähnenswert ist der belgische Motorroller Piatti mit 125 Kubikzentimetern Hubraum, den D’Ieteren von 1952 bis 1954 vertrieb, wenn auch weitgehend erfolglos.
Für den Besuch der Gallery sollte man sich wegen der Qualität der Exponate und der historischen Bandbreite hinreichend Zeit nehmen. Mit Spannung darf auch die weitere Entwicklung der Firma beziehungsweise deren Ausstellung beobachtet werden. Da in Brüssel ab 2030 keine Dieselautos und ab 2035 auch keine Benziner mehr betrieben werden dürfen, setzt D’Ieteren vermehrt auf die Elektromobilität und betreibt am traditionellen Firmensitz in Ixelles ein großes Geschäft für Fahrräder.
Eine Besichtigung der D’Ieteren Gallery ist nach Absprache möglich.
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Martin Schröder