Sie ist sicherlich nicht jedermanns Sache, die Oldtimermesse Rétromobile in Paris, aber die, die sie mögen, fahren jedes Jahr wieder in die französische Hauptstadt, um die schönsten, seltensten und teuersten historischen Autos der Welt zu sehen. Und jedes Jahr schafft es die Messe wieder, ihre Besucher zu verblüffen und zu beeindrucken.
Dabei ist es nicht einmal die Grösse, die es ausmacht. Mit 72’000 Quadratmetern, 620 Ausstellern und rund 1000 Fahrzeugen in den Messehallen gehört die Rétromobile sogar zu den kleineren Messen, Techno Classica oder Retro Classics Stuttgart, aber auch die Auto e Moto d’Epoca in Padua sind grösser. An Qualität pro Quadratmeter aber kann der Veranstaltung in Paris kaum einer das Wasser reichen und auch 120 Clubstände sprechen für sich.
110 Jahre Alfa Romeo
Bekanntlich feiert Alfa Romeo im Juni 2020 seinen 110. Geburtstag. Da passte es gut, dass der Schweizer Exklusivhändler Lukas Hüni seinen Stand vom 5. bis 9. Februar 2020 der Mailänder Marke widmete. Wie schon in den vergangenen Jahren mit anderen Marken, wurden besonders eindrückliche und seltene Fahrzeuge zusammengesucht. Als langjähriger und erfolgreicher Autohersteller bot Alfa Romeo dabei natürlich eine reichhaltige Auswahl, doch Hüni konzentrierte sich auf wenige Typen.
Ein Schwerpunkt lag auf dem 8C 2300 der Vorkriegszeit, ein weiterer auf den sportlichen Giulietta der Nachkriegszeit, von denen man auf dem Stand auch einige Zagato-Versionen bewundern kam.
Dazu gesellte sich einer von nur zwei je gebauten Alfa Romeo 2000 Sportiva Coupés und ein Alfa Romeo 33 TT 3, der als letzter offiziell für die Marke in Le Mans angetraten war.
Insgesamt waren 20 seltene Alfa Romeo aufgestellt, für jeden einzelnen hätte sich wohl schon fast ein Messebesuch gelohnt.
Umfangreich dokumentierte Hintergründe zu den einzelnen Fahrzeugen machten die Betrachtung des Hüni-Stands schon fast zu einer halbtägigen Aufgabe. Oh là là!
Über 100 Jahre Tatra
Die Marke Tatra baut heute keine Personenwagen mehr, aber sie tat es über 100 Jahre. Von dieser Geschichte erzählte eine Sonderschau mit rund einem Dutzend Fahrzeugen, die die ganze Entwicklungsgeschichte des ungewöhnlichen Autoherstellers illustrierte, angefangen beim President von 1897 mit Benz-Motor bis zum 210 km/h schnellen Tatra 700 mit V8-Aluminium-Motor, gebaut von 1996 bis 1998.
Dazwischen gab es berühmte Modelle wie den Tatra 87, gebaut von 1937 bis 1950, welcher mit nur 75 PS satte 160 km/h schnell war und das noch vor dem zweiten Weltkrieg. Für kleinere Budgets wurde der Tatraplan T600 zwischen 1947 und 1951 mit Vierzylindermotor gebaut, immerhin 6342 Mal. Dazu kam noch ein Diesel-Prototyp und eine zweitürige Version als Einzelstück.
In den Fünfziger- bis Siebzigerjahren sorgte der Tatra 603 für luxuriöses Reisen, jeweils mit einem 2,5-Liter-V8, aber mit 1968 neu-gezeichneter Karosserie.
Immer wurde Gewicht auf gute Aerodynamik gelegt und meist hielt man an der Heckmotorbauweise fest, obschon es auch Ausnahmen gab.
Mit einem Tatra T87 wurde sogar einmal um die ganze Welt gefahren, 160’000 km lang war die Reise von Miroslav Zikmund und Jiri Hanzelka, 44 Nationen wurden dabei durchfahren. Dass der Wagen dabei einiges erleiden musste und aufs Äusserste geprüft wurde, versteht sich von selber.
Bertones vergessene Schätze
Vor einiger Zeit wurde die verbleibenden Stücke der Bertone-Sammlung versteigert, beim ASI fanden sie eine neue Heimat. Aus diesem Fundus wurden in Paris weniger bekannte Bertone-Kreationen ab den späten Sechzigerjahren gezeigt, darunter der Autobianchi Runabout, der Ferrari Rainbow und der Citroën Camargue.
Nur selten öffentlich zu sehen sind Einzelstücke wie der Lamborghini Genesis von 1988, eine Monospace-Konstruktion ähnlich einem Renault Espace, allerdings mit V12-5.2-Liter Motor, oder der Suzuki Go von 1972, ein Freizeitauto, das 1972 in Brüssel präsentiert wurde.
Ebenfalls kaum je ausgestellt wird der Citroën Zabrus, den Bertone 1986 auf Basis des Gruppe-B-BX 4TC aufbaute.
Ein ganz besonderer Gordini
Wer aufmerksam zwischen den verschiedenen Ständen hindurch schlenderte, konnte immer wieder Autos entdecken, die er vorher wohl noch nie gesehen hat. Eines dieser Autos war der Simca/Fiat Gordini von 1938 mit der Fahrgestell-Nummer 803068. Christian Huet hat diesen verschollenen Wagen nach langem Suchen aufgespürt und in der Folge komplett restauriert. Dieser Rennsportwagen von Amédée Gordini hat eine ganz besondere Geschichte, nahm er doch dreimal bei den 24 Stunden von Le Mans teil und hatte auch sonst ein sehr reichhaltiges Motorsportleben. Bis 1949 stand er im aktiven Einsatz, in jenem Jahr ging er nochmals bei den 24 Stunden von Le Mans an den Start. Nach 13 Stunden gab der Motor seinen Geist auf.
Als Huet den Wagen im Jahr 2009 kaufen konnte, trug er zwar noch seine originale Farbe, aber die Zeit hatte ihren Tribut gefordert. In aufwändiger Eigenarbeit (nur die Sattlerarbeiten gab er auswärts) baute Huet den Wagen wieder neu auf, rettete, was zu retten war, fertigte an, was fehlte.
Das Ergebnis überzeugt, einzig etwas Le-Mans-Patina hätte man sich für den einstigen Rennwagen gewünscht.
Die Raritäten auf den Clubständen
Wer seltene Autos sehen wollte, der war auch an den Clubständen an der richtigen Adresse. Jedes Jahr bemühen sich die Clubs, neue und noch nie gezeigte Fahrzeuge nach Paris zu bringen.
So konnte man am Salmson-Stand ein frisch restauriertes Cabriolet bewundern, durch das noch vor gar nicht so langer Zeit Bäume wuchsen.
Auf dem Simca-Stand wurde ein Fahrzeug des Brasilien-Ablegers namens Emisul 6M Rallye von 1966 gezeigt, das in nur gerade 597 Exemplaren in Südamerika gebaut worden war.
Und auf dem Panhard-Stand gab es einen von 106 in den Jahren 1958 und 1959 fabrizierten Arista Passy mit Panhard-Technik zu sehen.
Elektrizität als Nebenthema
Ganz ohne Elektroautos ging es auch in Paris nicht. Porsche und Peugeot wollten klarstellen, dass die elektrische Antriebstechnik schon eine lange Tradition habe.
Die PSA Gruppe zeigte einen Peugeot VLV électrique von 1941, der es damals dank geringem Gewicht von 350 kg (alleine 160 kg wog die Batterie) bereits eine Reichweite von 75 bis 80 km erreichte. Nur 377 Exemplare des maximal 36 km/h schnellen Wägelchens wurdne gebaut.
Auf etwas grössere Stückzahlen kam ab 1995 der Peugeot 106 E. Er brachte es immerhin auf 3542 Exemplare und bot eine Reichweite von 90 km.
Im Vergleich dazu entstand der Lohner-Porsche in geradezu homöopathischen Dosen, aber dafür bereits um die Jahrhundertwende, also um 1900.
Nicht vergessen werden sollte in dieser Aufstellung der Rosengart, den es auch mit Elektroantrieb gab.
Wer sich für elektrifizierte Klassiker interessierte, fand vor allem im Umfeld von Citroën 2CV und Méhari Hilfe an der Rétromobile.
Auto-Hersteller im Schongang
Insgesamt zeigten sich die Auto-Hersteller zurückhaltend. Mercedes-Benz oder BMW waren genauso wenig offiziell vor Ort wie die Volkswagen-Gruppe (ausser Bugatti, Skoda und Lamborghini) oder japanische Hersteller. Dabei hätte man doch den Audi quattro feiern können oder 100 Jahre Mazda.
So sprangen die lokalen Hersteller, also die PSA Gruppe und Renault in die Bresche. Zudem zeigten FCA, Skoda und Bugatti schöne Fahrzeuge, während das Polo Storico von Lamborghini auf die Restaurierungserfahrungen hinwies.
Bei PSA gab es den 50. Geburtstag von Citroën SM und Citroën GS zu feiern, Renault brachte einige rare Fahrzeuge und Einzelstücke nach Paris.
Französische Spezialitäten
Natürlich durfte man in Paris einige französische Spezialitäten erwarten und es gab sie auch zu sehen. So fand sich beim Delahaye-Club ein Modell 135 MS von 1953 mit einem Coupé-Aufbau von Faget Varnet, das vermutlich der letzte Delahaye mit Spezialkarosserie war.
Formlich nahm der Wagen bereits spätere Facel Vega vorweg und erinnerte an den Ford Comète.
Für viele Rétromobile-Besucher war es das erste Mal, dass sie den Citroën SM von Pietro Frua erblickten. Es war dies im Prinzip ein Gegenentwurf zum schliesslich produzierten Werks-SM und er konnte durchaus überzeugen. Von der Gestaltung erinnerte er an den Porsche 914/6 Hispano.
Der Wagen wurde 1972 am Genfer Autosalon gezeigt und er trat später sogar als Fiat 130 in Erscheinung. In Paris musste man aber gut gucken, um ihn zu finden, denn er war auf einem ziemlich überfrachteten Stand positioniert und dazu noch auf der Ladebrücke eines Citroën SM Abschleppwagens.
Da liessen sich die vielen Bugatti und Talbot-Lago schon einfacher finden, auch Delahaye gab es immer wieder zu entdecken, dafür aber nur einen Ligier JS2.
Exklusive und weniger exklusive Angebote
Wie immer scheuten die internationalen Händler keine Mühe, um exklusive Fahrzeuge nach Paris zu bringen.
Dies ging soweit, dass gegen ein Dutzend Lamborghini Miura in der Halle 1 verteilt war, womit der nur einige Hundert mal produzierte Mittelmotorsportwagen fast schon weniger exklusiv wurde als der einzige Fiat Panda 30, der auf dem Stand der FCA-Gruppe zu sehen war.
Nichtsdestotrotz aber war das Angebot der Händler überwältigend, nur selten sieht man soviele exklusive Autos so nahe beieinander. Allerdings werden auch an der Rétromobile die Autos immer jünger, wie z.B. ein Blick auf den Stand vom Girardo & Co klar zeigte.
Erstmals in Paris stellte Gooding & Co aus, mit einem Bugatti 59, einem Lamborghini Miura P400 SV und einem Aston Martin DB4 GT Zagato hatte man allerdings drei echte Rosinen (der kommenden London-Versteigerung) mitgebracht.
Dass dann auch noch Kidston einen weiteren Aston Martin DB4 GT Zagato und ausgerechnet auch in Rot zeigte, war dann vielleicht einfach Pech.
Einer der drei Ferrari 330 P4
Aber bleiben wir bei Rot und weisen auf das von vielen als absoluter Höhepunkt genannte Auto an der Rétromobile. Die Rede ist vom Ferrari 330 P4 aus dem Jahr 1967, einem der schönsten Sportprototypen aller Zeiten.
Chassis 0858 stand gut sichtbar und mit viel Raum darum herum nahe der Mitte der Halle 1 und dieser Platz gebührte ihm auch. Schliesslich gewann dieses Fahrzeug mit Lorenzo Bandini und Chris Amon am Steuer die 1000 km von Monza im Jahr 1967. Und auch in Daytona war der Wagen siegreich. Bei den 24 Stunden von Le Mans kam der Wagen auf den dritten Gesamtplatz, beim 500 Miles BOAC in Brands Hatch pilotierten Jackie Stewart und Chris Amon den Prototypen auf den zweiten Gesamtrang. Stewart war vom 330 P4 offensichtlich sehr beeindruckt: “The Ferrari 330 Pç, the best car I ever drove”.
Kein Wunder bildeten sich ständig Menschentrauben um den raren Rennwagen, von dem nur drei Exemplare je gebaut wurden.
Wachsender Privatmarkt
Grösser als in vergangenen Jahren war der Privatverkauf im hinteren Teil der Messe.
Da gab es auch durchaus interessante und rare Fahrzeuge zu kaufen, zum Beispiel einen Moretti 500 oder einen Zweitakt-Saab 96.
Die Preise waren durchaus realistisch, so dass schon nach den ersten beiden Tagen das eine oder andere Auto mit “vendu” gekennzeichnet wurde.
Drei Versteigerungen
Wer bei den Händlern und im Privathandel nicht fündig wurde, dem standen an den drei Versteigerungen von RM/Sotheby’s (am Place Vauban), Bonhams (im Grand Palais) und Artcurial (in der Messe) weitere 400 Fahrzeuge zur Auswahl.
Von dieser Gelegenheit wurde auch rege Gebrauch gemacht, meldeten die drei Auktionshäuser doch Verkaufsquote von im Schnitt über 60 Prozent.
Positive Stimmung
Generell warn die Stimmung in den Hallen optimistisch, die Händler spürten ein waches Interesse der Oldtimerenthusiasten. Auch die Auktionsergebnisse zeugten von einer gesunden Nachfrage. Für Max Girardo ist klar: “Der Verkaufsprozess ist im Vergleich zu früher aufwändiger geworden, aber ein gutes Auto zum richtigen Preis findet immer einen Abnehmer”.
Dem pflichtete auch David Gooding bei, der mit seinem Auktionshaus im April 2020 neu auch in Europa eine Versteigerung durchführen wird und überzeugt ist, dass seltene und gute Autos immer auf Interesse stossen. Weitere Auktionen seien jedenfalls nicht ausgeschlossen.
Christoph Grohe fügte noch hinzu, dass er deutlich spüre, dass sich die Stimmung wieder deutlich gebessert habe und verwies stolz darauf, dass er bereits einen Wagen an der Rétromobile verkauft habe.
Who-is-sho
Wer durch die Hallen pilgerte, stiess immer wieder auf bekannte Gesichter.
So war etwa Jean Todt am Bugatti-Stand zu sehen, Valentino Balboni schaute einem Lamborghini Miura unter die Motorhaube.
Angenehmer als in anderen Jahren
Generell zeigte sich die 45. Rétromobile aus Besuchersicht angenehmer als vergangene Austragungen. Die Verpflegungsstände waren dem Ansturm weitgehend gewachsen, es gab auch neue Verpflegungsgelegenheiten.
Zudem herrschte in den Hallen mehr Ordnung, die Clubstände waren grossteils beieinander, die Kunst- und Zubehörstände auch. So konnte man sich einfacher orientieren als in früheren Jahren.
Natürlich war das Durchkommen durch die Engpässe bei hohem Besucheraufkommen auch im Jahr 2020 manchmal schwierig.
Was noch auffiel
Aufgefallen ist noch, dass nur wenige Motorräder, anders als in früheren Messen, zu sehen waren. Auch Museen und ihre Ware waren dünn gesät und auch das Teileangebot war übersichtlich. Zudem vermisste man als Besucher eine gewisse Preistransparenz, bei den wertvolleren Automobilen war kaum je ein Preis angeschrieben.
Und, was natürlich ganz besonders fehlte, war ein lebendiger Fahrbetrieb vor den Hallen, wie es ihn in vergangenen Jahren jeweils gegeben hatte.
Aber das waren nur kleine Minuspunkte im Vergleich zu den vielen Pluspunkten, die die Rétromobile verbuchen konnte.

















































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































































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